10 x Lesevergnügen
8. März 2015Ursula Ackrill: "Zeiden, im Januar" (Wagenbach), der Debütroman der 1974 in Kronstadt, Siebenbürgen, geborenen Autorin, die inzwischen als Bibliothekarin und Schriftstellerin in England lebt. Nominiert für den Leipziger Buchpreis, stößt das Buch auf fast einhellige Begeisterung. Ackrill gibt Einblicke in das Leben der Menschen in Zeiden, einem Kleinstädtchen in Rumänien, im Jahre 1941. Siebenbürger Sachsen, Rumänen, SS-Rekruten, Opportunisten und Menschen mit Gewissen - all das fügt die Autorin zu einem komplexen Romangebilde zusammen .
Sibylle Berg bietet in ihrem Roman "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" (Hanser) literarisches Kontrastprogramm. Ein seit Jahren verheiratetes Paar gerät in eine Krise, wie sie millionenfach passiert. Nur: Diesmal ist es die Frau, die einen anderen Mann kennenlernt und sich mit ihm vergnügt. Berg, zu DDR-Zeiten im deutschen Musentempel Weimar geboren und in der BRD aufgewachsen, lebt heute in Zürich und Tel Aviv. Manche meinen, sie schreibe wie Michel Houellebecq - weil sie auch beim Thema Sex kein Blatt vor den Mund nimmt und sehr ironisch und sarkastisch zu Werke geht.
Dass auch Thomas Brussig witzig und pointiert schreibt, weiß man seit den deutsch-deutschen Nachwendezeiten. Seine Lebensthemen DDR und Wiedervereinigung greift er auch in "Das gibt's in keinem Russenfilm" (Fischer) auf. Darin erzählt er noch einmal die eigene Lebensgeschichte - in Form eines Romans. Doch ungefähr in der Mitte des Buches verlässt er die vorhersehbaren Gleise. Brussig lässt die Mauer einfach stehen und die DDR weiterexistieren. Das ist gewagt und überraschend, meist aber mit der vom Autor bekannten satirischen Schärfe zu Papier gebracht.
Auch Lukas Hartmann beschäftigt sich in seinem neuen Roman "Auf beiden Seiten" (Diogenes) mit jenen Jahren, in denen aus zwei deutschen Staaten wieder einer wurde. Der Schweizer Hartmann schaut dabei aus der Sicht der Eidgenossen auf das Thema Wiedervereinigung. Und wie immer bei diesem Autor kommt es zu einem schönen literarischen Zusammenspiel zwischen Historie und Privatem, zwischen Ereignissen aus der Geschichte und den menschlichen Dingen des Lebens.
Künstler und ihr Platz in der Welt, das ist das Thema von Klaus Modicks "Konzert ohne Dichter" (Kiepenheuer & Witsch). Die Künstlerkolonie Worpswede ist Zentrum des Romans, der Leser begegnet dem Maler Heinrich Vogeler, literarischen Größen wie Rainer Maria Rilke und der Künstlerin Paula Modersohn-Becker. Modick blickt tief in die Psyche von Künstlern und deren Vorstellungen von Mensch und Welt. Doch keine Angst vor dem bildungsbürgerlichen Stoff, das Thema wird leicht und humorvoll serviert!
Norbert Scheuers "Die Sprache der Vögel" (Beck) verknüpft zwei eigentlich ganz unterschiedliche Themen, die so scheinbar gar nichts miteinander zu tun haben: das Engagement der Deutschen in Afghanistan und die Welt der Vögel. Der am Hindukusch eingesetzte Sanitäter Paul begibt sich auf die Spuren eines Ahnen, der sich einst in Afghanistan mit der Universalsprache der Vögel auseinandersetzte. Der Roman des Autors, der in einem kleinen Eifeldorf lebt, ist für den Leipziger Buchpreis nominiert.
Es gibt viele, die halten Frank Schulz für den sprachgewaltigsten Humoristen unter den deutschen Gegenwartsautoren. Schulz´ neuer Roman "Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen" (Galiani) erfüllt alle Erwartungen, die Fans dieses Schriftstellers haben: verrückte Charaktere, eine skurrile Handlung mit vielen Überraschungen, all das sprachmächtig und geschliffen formuliert. "Da wird das Vulgäre sublim und das Komische büchnerpreisverdächtig" schrieb ein Rezensent.
Auch Martin Suter hat die Fähigkeit, ein großes Publikum zu unterhalten und dabei stets niveauvoll zu schreiben - klassische Erzählkunst eben. In "Montechristo" (Diogenes) wendet sich Suter wieder Milieus zu, in denen er sich auskennt: Hochfinanz und Journalismus. Sein Roman liest sich in einem Rutsch weg, doch die handwerkliche Qualität ist nicht zu unterschätzen. Die Erlebnisse des Videojournalisten Jonas Brand haben viel mit der heutigen Wirklichkeit zu tun, und doch hat der Leser nie das Gefühl, belehrt zu werden.
Stephen Thome hat sich mit seinen inzwischen drei Büchern in die erste Riege deutscher Romanautoren geschrieben. Sein neuester Streich "Gegenspiel" (Suhrkamp) bietet erneut genau das, was Leser an diesem Autor schätzen: eine wenig spektakuläre Handlung mit einem Ehepaar in der Krise und einen psychologischen Realismus, der tief in das Innenleben seiner Figuren blickt. Dazu gute Dialoge und Schauplätze, die einem vertraut vorkommen. Mehr braucht Thome nicht für seinen schönen Roman.
Deutsche Geschichte in Thrillerform serviert, dafür gab's auch für Michael Wildenhain und seinen Roman "Das Lächeln der Alligatoren" (Klett-Cotta) eine Nominierung für den Leipziger Buchpreis. Gegenwart, Deutscher Herbst geprägt durch Anschläge der terroristischen Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF) und Nationalsozialismus, all das schnürt der Autor zu einem literarischen Romanpaket zusammen. Auch dieses Buch bündelt das Thema dieses Bücherfrühjahrs deutschsprachiger Schriftsteller: Zeitgeschichte trifft auf individuelle Dramen und Lebensläufe.