Schlafen im Weltkulturerbe
30. Dezember 2018Eine Nacht darf ich im Bauhaus schlafen. Nicht in dem riesigen Baumarkt gleichen Namens, der in jedem größeren Gewerbegebiet in Deutschland zu finden ist, sondern in dem Bauhaus. Schon allein die Adresse "Gropiusallee 38" klingt nach ehrfurchteinflößender Geschichtsträchtigkeit. Die Straße ist benannt nach Walter Gropius, dem Chefdenker der berühmten Schule, die 1919 in Weimar gegründet wurde und aus politischen Gründen 1925 nach Dessau umzog. Eingeladen haben mich kurz vor den Feierlichkeiten anlässlich des 100-jährigen Jubiläums die Stiftung Bauhaus sowie das Land Sachsen-Anhalt.
Bauhaus brachte die Moderne nach Dessau
Diese Treppe ist Walter Gropius, oder auch der "Weiße Gott", wie ihn später die Amerikaner nach seiner Emigration in den 1930ern genannt haben, wahrscheinlich hundertmal rauf- und runtergegangen. Es ist ein erhebendes Gefühl, auf seinen Pfaden zu wandeln und einen Blick in sein Büro in der "Brücke" zu werfen. Die Brücke verbindet zwei wichtige Teile des Bauhaus-Gebäudes: das Werkstattgebäude und die ehemalige gewerbliche Berufsschule. Die musste Gropius ebenfalls auf dem Areal unterbringen. Dahinter liegt noch das Atelierhaus und etwas weiter entfernt die Meisterhäuser.
Schlafplatz mit Geschichte
Das Atelierhaus, in dem sich mein Schlafplatz für diese Nacht befindet und das heute an Gäste aus aller Welt vermietet wird, eröffnete 1926. Es läutete eine neue Ära ein. Hier entstand die Idee des Campus, als einen Ort, der Leben und Arbeiten unter einem Dach vereinen sollte. Eine Sensation. Auf den Balkonen, gerade mal groß genug, um einen Stuhl drauf abzustellen, ließen sich unzählige Studierende und Jungmeister ablichten. Diese Fotos verkörperten für mich immer die Verheißung der Moderne: Junge, gut aussehende Männer und Frauen, die in ausgelassener Stimmung feiern. Die Moderne muss eine glückliche Zeit gewesen sein, voller Leichtigkeit des Seins und "Neuer Menschen", die den Ballast des Bürgerturms abwarfen.
Den Aufbruch in ein neues Zeitalter transportieren diese Fotografien aus dem sogenannten "Prellerhaus" jedenfalls aufs Trefflichste. Noch heute erinnert der Beiname, der auf den Landschaftsmaler Friedrich Preller den Älteren aus dem 19. Jahrhundert zurückgeht, an die Gastfreundschaft des Künstlers. Preller ließ Kunststudenten damals in Weimar bei sich wohnen.
Renovierung fürs Jubiläum
Mein Zimmer liegt in der vierten Etage. Man meint noch immer, die Energie der Pioniere von einst zu spüren, wenn man das gerade erst renovierte Treppenhaus hinaufsteigt. Auf jedem Stockwerk gibt es ein großes Sprossenfenster, das den Blick auf die Umgebung freigibt und helles Licht hereinlassen soll. Derzeit sieht es allerdings düster aus in der Stiege. Die Fenster sind von Planen bedeckt, an denen der Wind ruckelt. Die Renovierungsarbeiten an der Fassade im Rahmen des 100-jährigen Jubiläums sind noch nicht abgeschlossen. Es riecht nach feuchter Farbe, auch in meinem Schlafraum, der an ein modernes Loft erinnert: einfach, hell, spartanisch eingerichtet. Niemand würde im Bauhaus plüschige Sofas erwarten. Stattdessen: Linoleumboden, Schreibtisch aus Stahlrohr, Freischwinger, Kugellampe, Regal, Doppelbett. Und ein Waschbecken. Das gab es auch schon 1926. Für damalige Verhältnisse waren die insgesamt 28 Zimmer, von denen 16 über einen eigenen Balkon verfügen, der pure Luxus. Ein Mittelflur verband die Arbeits- und Schlafräume, jede Etage besaß eine eigene Teeküche, eine Gemeinschaftstoilette und eine Dusche. Sogar ein Gymnastikraum befand sich im Keller. Zu DDR-Zeiten beherbergte das Bauhaus ein wissenschaftlich-kulturelles Zentrum und vier Zimmer, je eins pro Etage wurde aufgegeben, um eine Dusche einzubauen. Seitdem logieren Gäste in den Studentenbuden der Bauhäusler, die nun zum Jubiläum nochmals originalgetreu renoviert werden.
Frauen bezogen das Untergeschoss
Weiß wurde - entgegen der Vorstellung von der weißen Moderne - gar nicht so oft verwendet. So war die Etage der Studentinnen im Erdgeschoss, die größtenteils in der Weberei beschäftigt waren, blau. Die darüber liegenden Stockwerke rot beziehungsweise gelb.
Auf den 20 Quadratmeter großen Zimmern müssen sie sich wohlgefühlt haben, aber vor allem waren sie erschwinglich: 20 Reichsmark pro Monat, inklusive Reinigung und Gas. Wahrscheinlich beschwerte sich damals auch kein Bewohner darüber, wenn im Winter die Kälte durch die einfache Fensterverglasung zog und im Sommer die Sonne die Räume ordentlich aufheizte.
Funktionale und praktische Unterbringung
Vom Prellerhaus aus gibt es einen direkten Zugang zur Kantine, und von dort aus geht es weiter zum Werkstattgebäude. Eine Ikone des neuen Bauens, mit Flachdach, vorgehängter Glasfassade und dem berühmten Schriftzug an der Front. Heute beherbergt es neben Verwaltungsräumen der Bauhausstiftung, ein Museum, einen Bauhaus-Shop, den Bauhaus-Club - eine Mischung aus Mensa und Nachtcafé - eine Forschungsbibliothek und eine kleine Bühne. Im Nordflügel des Gebäudes nutzt die Hochschule Anhalt sechs Räume für Design- und Architekturseminare.
Kein Detail ist dem Zufall überlassen
Das Bauhaus ist kein Zufallsprodukt, es ist auf Wirkung gebaut. Je nach Tageszeit sorgt der Sonneneinfall dafür, dass sich die Buchstaben des Schriftzugs BAUHAUS verdoppeln, abhängig vom Schatten auf der Fassade. Außen wie innen ist jedes Detail genau geplant. Sogar der Blick aus der Luft wurde in der Flugzeugstadt Dessau berücksichtigt. Beim Vorbeischlendern an den vorgehängten Fassaden, horizontalen Fensterbändern, Schriftzug und Brücke ist es, als würde man um eine Skulptur herumgehen. Jede Seite sieht anders aus.
Eine Nacht im Bauhaus ist kein Wellness-Urlaub, gut schlafen lässt es sich dort trotzdem. Ein bisschen simpel sollte man es mögen. Und Lust mitbringen, den Geist zu spüren, den Geist der Moderne, der voll von Leichtigkeit und Zukunftsoptimismus war.