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BMW und die Schatten der NS-Zeit

Sarah Judith Hofmann 5. März 2016

Die 100-jährige Firmenchronik der Bayerischen Motorenwerke hat auch dunkle Seiten: BMW setzte während der NS-Zeit massiv Zwangsarbeiter ein. Ein Rückblick auf eine typisch deutsche Unternehmensgeschichte.

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Dunkelgrüner Oldtimer von BMW auf Steindüne (Foto: BMW AG)
Bild: BMW AG

BMW. Drei Buchstaben, die inzwischen weltweit bekannt sind. Die Bayerischen Motorenwerke, offiziell heute "BMW Group", zählen zu den erfolgreichsten Autokonzernen weltweit. In 14 Ländern ist BMW mit Produktions- und Montagestätten vertreten. Keine Frage, was am 7. März 1916 mit der Gründung eines Werkes für Flugzeugteile beginnt, ist eine Erfolgsgeschichte. Man könnte auch sagen: eine typisch deutsche Erfolgsgeschichte.

Und so findet sich in der Firmenchronik neben den Daten zum ersten Erfolgsmodell, dem Motorrad BMW R 32, auch die Tatsache, dass an etlichen Produktionsstandorten "ab Dezember 1939 Kriegsgefangene, Strafgefangene, Zwangsarbeiter und Häftlinge von Konzentrationslagern in der Fertigung von Flugzeugmotoren eingesetzt" wurden.

BMW verschweigt heute nicht mehr, dass im Unternehmen zur Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter arbeiten mussten. "Bei jeder Führung durch unser Museum und im Werk in München Allach wird darauf hingewiesen", sagt BWM-Sprecher Stefan Behr. Um dann zu präzisieren, Fremd- und Zwangsarbeit sei in dieser Zeit nicht das Phänomen eines Unternehmens gewesen, sondern "ein gesellschaftliches Phänomen, das tatsächlich im ganzen Land gegriffen hat".

Schriftzug "Arbeit macht frei" am Lagertor des KZ-Dachau. Foto von April 2015 als ihn ein Handwerker neu anbringt, nachdem der Originalschriftzug gestohlen worden war. (Foto: Peter Kneffel/dpa)
"Arbeit macht frei" - so lautete der perfide Spruch am Tor von Dachau. Arbeiten mussten etliche der Häftlinge in den Werken von BMWBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Ein werkseigenes Konzentrationslager

Richtig ist: Etliche deutsche Unternehmen setzten während des "Dritten Reichs" Zwangsarbeiter ein, darunter auch alle anderen deutschen Automobilkonzerne. Bei BMW-Konkurrent Daimler waren es rund 40.000 Zwangsarbeiter, bei Volkswagen – jener Konzern, dessen Gründung in Wolfsburg auf Adolf Hitler höchstpersönlich zurückging – um die 12.000. Bei BMW waren zwei Drittel der 56.000 Beschäftigten Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, die im Verlauf der Kriegsjahre "zunehmend diskriminiert und systematisch ausgebeutet wurden", wie eine Doktorarbeit 2008 durch Firmenakten belegte.

Bei Krupp machten Zwangsarbeiter rund ein Drittel der Gesamtbelegschaft aus. Auch bei Bosch, Siemens und nicht zuletzt der I.G. Farben (heutiger Nachfolger sind BASF, Bayer, Hoechst) mussten Zwangsarbeiter schuften. In Auschwitz-Monowitz betrieb jenes Unternehmen, dessen Tochterfirma Degussa Zyklon B herstellte, mit dem Millionen Juden in Vernichtungslagern wie Auschwitz, Belzec oder Treblinka ermordet wurden, gar ein eigenes Konzentrationslager.

Geschäfte mit den Nazis: Zwang oder willkommene Chance?

Facharbeiter mussten an die Front, Produktionsziele wurden vorgegeben, so lautet noch heute das Argument vieler Unternehmen, warum sie Zwangsarbeiter beschäftigten. Auch BMW-Sprecher Behr gibt zu Bedenken, das Unternehmen habe in großer Stückzahl Flugmotoren liefern müssen. "Und gleichzeitig wird einem angedient, ihr könnt doch auf diese Arbeiter zurückgreifen." Das sei keine Rechtfertigung, aber "wie groß in einer solchen Situation die unternehmerische Freiheit ist, ist aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen." Aber ja, gibt er zu, natürlich habe BMW in dieser Zeit auch Geld verdient.

"Wir haben immer die Vorstellung, das Werk der I.G. Farben in Auschwitz-Monowitz ist so etwas wie der unerreichte Tiefpunkt der deutschen Industrie während des Zweiten Weltkriegs", sagt der Historiker Lutz Budrass. Doch: "BMW, Heinkel oder andere Unternehmen stehen dem kaum nach. Mit dem kleinen Unterschied, dass ihre Werke nicht im besetzten Polen sind, sondern in Deutschland." BMW ist - neben dem Flugzeugbauer Ernst Heinkel - eines der ersten beiden Unternehmen, das ab Februar 1943 von KZ-Außenlagern profitierte. Bei BMW mussten Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau-Allach arbeiten.

Der Historiker Lutz Budrass beschäftigt sich seit Langem mit der Rolle der Luftfahrtindustrie zu Zeiten des NS-Regimes. Am 14. März wird seine Studie über die Lufthansa im Blessing Verlag erscheinen ("Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte. 1926 - 1955"). Er kann viel erzählen über die lange Zeit, die deutsche Unternehmen gebraucht haben bis sie bereit waren, ihre Geschichte aufzuarbeiten - und davon, wie viele dies bis heute nicht tun.

Ist das Kriegsende die Stunde Null für BMW?

Die Alliierten fangen zwar gleich nach Kriegsende 1945 an, nach der Schuld der deutschen Industrie zu fragen. "Aber diejenigen, die heute als führende deutsche Unternehmen wahrgenommen werden, sind auf den Nürnberger Prozessen nicht präsent", sagt Budrass. Großindustrielle mit langer Tradition wie Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Friedrich Flick und die Manager der I.G. Farben sitzen auf der Anklagebank. Nicht aber die Verantwortlichen jüngerer deutscher Unternehmen wie Daimler, VW, der Lufthansa oder BMW.

"Nach dem Zweiten Weltkrieg durften wir nicht mehr produzieren, wurden teilweise demontiert. Im Rahmen von Reparationsleistungen wurden Maschinen abtransportiert. Wir hatten in dem Sinne keinerlei Geschäftstätigkeit mehr", sagt BMW-Sprecher Behr. "Ich würde sagen, trotz dieser Zeit gibt es BMW heute noch. Nicht wegen dieser Zeit." Deutsche Unternehmen werden nach 1945 unter Aufsicht gestellt, die Liegenschaften zwangsverwaltet. Finanziell findet nach 1945 ein Bruch statt.

Schwarz-weiß Foto des Konzentrationslagers Auschwitz-Monowitz, in dem die IG Farben Zwangsarbeiter einsetzte. (Foto: picture-alliance/dpa)
Sinnbild der Verknüpfung deutscher Industrie mit Nazi-Verbrechen. Das KZ Auschwitz III - Monowitz, ein Werk der I.G. FarbenBild: picture-alliance/dpa

"Aber wovon Unternehmen wie BMW ganz massiv profitiert haben", so Budrass, "ist so etwas wie eine Anhäufung technischen Wissens. Fließbandfertigung lernt die deutsche Automobilindustrie durch die Massenfertigung in der Kriegszeit seit 1939. Und da kann man fragen: Inwieweit ist die Entwicklung der 50er Jahre abhängig von der Zeit des Nationalsozialismus?" Als die Amerikaner ein Werk brauchen, das ihren riesigen Fuhrpark in Bayern wartet, hat das Know-how für so eine Aufgabe damals nur einer: BMW.

1959, als das Unternehmen vor der Übernahme durch Daimler steht, rettet Herbert Quandt BMW. Er ist der Sohn des Industriellen Günther Quandt, der privat und geschäftlich aufs Engste mit dem NS-Regime verbunden war: Günthers Ex-Frau Magda heiratete einen der engsten Vertrauten Adolf Hitlers, Propagandaminister Joseph Goebbels. Günther Quandt wird für den privaten Verlust anderweitig entlohnt. Er profitiert vom Regime als Ausrüster der Wehrmacht, bei der Waffenproduktion, als Batteriehersteller und bereichert sich durch sogenannte "Arisierungen" aus jüdischem Besitz.

Auch wenn Quandt und BMW während der NS-Zeit zwei völlig unterschiedliche Unternehmen waren, Herbert Quandt rettet BMW mit Mitteln, die sein Vater erst Dank des NS-Regimes erwirtschaften konnte.

Späte Aufarbeitung

Heute können Forscher und Journalisten bei BMW Einsicht ins Firmenarchiv nehmen. Zwei Dissertationen (2005 und 2008) haben die Zeit zwischen 1933 bis 1945 inzwischen aufgearbeitet. Eine erste Studie Anfang der 80er Jahre hatte BMW allerdings noch statt bei Historikern bei dem Schriftsteller Horst Mönnich beauftragt.

Schwarz-weiß Foto von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach bei den Nürnberger Prozessen 1948. (Foto: picture-alliance/dpa)
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wurde bei den Nürnberger Prozessen wegen "Plünderung und Sklavenarbeit" zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Später wurde das Urteil revidiert, er übernahm wieder die Leitung des BetriebsBild: picture-alliance/dpa

"Viele Unternehmen haben begriffen, dass das Verstehen der eigenen Vergangenheit positive Effekte hat. Es zeigt eine Ehrlichkeit des Unternehmens und das darf man als Marketingeffekt nicht unterschätzen", so Budrass. Für die Lufthansa gilt dies nicht. Budrass veröffentlicht seine aktuelle Studie gegen den Willen des Unternehmens, das ihm aber immerhin die Archive öffnete. Und Bayer (immerhin Teilnachfolger der I.G. Farben) sparte bei seinem 150-jährigen Firmenjubiläum die Jahre 1933 bis 1945 einfach aus.

BMW tut dies in seinen Publikationen zum 100-jährigen Firmenjubiläum nicht. Das Unternehmen weist darauf hin, dass die BMW AG 1999 zu den Gründungsmitgliedern der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" gehört. Die Stiftung kümmert sich um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter. Die Firmenchronik notiert für den 30. September 1939: Die BMW AG übernimmt die gesamten Geschäftsanteile der Brandenburgischen Motorenwerke GmbH in Berlin-Spandau. Noch heute steht dort das Motorradwerk von BMW. Was nicht in der Chronik steht: Damals wurde es zum größten Fremd- und Zwangsarbeiterlager im Großraum Berlin-Brandenburg.