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100 Tage Milei: Rückschläge und Hoffnung für Argentinien

Tobias Käufer aus Rio de Janeiro
19. März 2024

Argentiniens marktliberaler Präsident Javier Milei ist gut drei Monate im Amt und versetzt das südamerikanische Land in Aufregung. Die Startbilanz fällt durchwachsen aus.

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Argentiniens Präsident Javier Milei spricht im Parlament in Buenos Aires
Argentiniens Präsident Javier Milei Bild: Juan Mabromata/AFP

Steigende Armut, sinkende Inflation: Die ersten 100 Tage des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei geben Anlass zu Sorge und Hoffnung zugleich. Das Sozialobservatorium der Katholischen Universität (UCA) hat einen Anstieg der Armut in Argentinien registriert.

Auf den ohnehin hohen Armutssockel von rund 45 Prozent kam noch einmal eine Steigerung auf nun 57 Prozent. Das Kinderhilfswerk Unicef erwartet einen Anstieg der Kinder- und Jugendarmut von 62 auf 70 Prozent. Das ist das wohl größte Problem der neuen libertär-konservativen Regierung: die wachsenden sozialen Spannungen machen sie angreifbar.

Eine Frau und zwei Kinder durchsuchen einen riesigen grünen Müllcontainer in Buenos Aires
Eine Familie sucht in Müllcontainern in Buenos Aires nach LebensmittelnBild: Tobias Käufer/DW

Erste finanzpolitische Erfolge

Dem gegenüber stehen erste finanzpolitische Erfolge. Die Inflation ging von rund 25 Prozent im Dezember auf rund 20 Prozent im Januar auf nun 13,2 Prozent im Februar herunter. Das Portal Perfil (eine überregionale argentinische Wochenzeitung) prognostizierte jüngst eine weitere Reduzierung bis Juli auf etwa sieben Prozent. Die "kräftige Verlangsamung" der Inflation sei "das Ergebnis der Arbeit der nationalen Regierung zur Durchsetzung einer strengen Haushaltsdisziplin", ließ Milei die Entwicklung kommentieren. Doch auch 13,2 Prozent sind erst einmal ein harter Schlag für die Bevölkerung.

"Der wichtigste Erfolg ist der Rückgang der Inflation, der bisher die Erwartungen übertrifft", sagt der in Buenos Aires ansässige Wirtschaftsberater Carl Moses im Gespräch mit der DW. "Trotz der schweren Rezession sind die Kurse von argentinischen Aktien und Anleihen kräftig gestiegen. Das passt zur Stimmungslage in der Bevölkerung, die besser ist, als man angesichts der noch dramatisch weiter verschlechterten wirtschaftlichen und sozialen Lage erwarten würde."

Ein Polizist, links im Bild, mit Helm, Schutzschild und Schlagstock drängt einen Demonstranten mit Schutzbrille und Atemmaske (re) heftig zurück. Im Bildhintergrund sind weitere Demonstranten mit Transparenten zu sehen
Proteste gegen Mileis Politik - hier am 1. Februar in Buenos AiresBild: Luciano Gonzalez/Anadolu/picture alliance

Reformen bleiben stecken

Bislang konnte Milei aber seine ambitionierten Wirtschaftsreformen nicht durchsetzen. Teils herbe Niederlagen in Kongress (wo Mileis Partei La Liberdad Avanza keine Mehrheit hat) und im Senat lassen die Reformprojekte stagnieren, sagt Moses: "Es fehlen bisher allerdings wirkliche Reformen, die eine dauerhafte Besserung möglich machen würden. Der kurzfristig erreichte Ausgleich der Staatsfinanzen, auf den die Regierung so stolz ist, beruht bisher auf der realen Entwertung von Renten und Löhnen sowie anderen provisorischen Maßnahmen, die man nicht auf Dauer durchhalten kann."

Wirtschaftswissenschaftler Agustín Etchebarne von der Stiftung Libertad y Progreso aus Buenos Aires fordert im Gespräch mit der DW nun eine Umsetzung der Reformen: "Dieser Prozess der wirtschaftlichen Anpassung und Transformation ist unerlässlich, um die Grundlagen für ein nachhaltiges Wachstum und langfristige Stabilität zu schaffen. Wir gehen davon aus, dass sich die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte erholen wird."

Harte Sparmaßnahmen

Die Milei-Regierung versucht, den von den Vorgänger-Regierungen übernommenen, hoch verschuldeten, Staatshaushalt mit knallharten Sparmaßnahmen zu sanieren. Die nach offiziellen Angaben defizitär arbeitende staatliche Nachrichtenagentur TELAM soll geschlossen werden, beim Nationalen Radio wurden unzählige Zeitverträge nicht verlängert. Staatliche Institutionen wurden geschlossen, den Provinzregierungen die Gelder gekürzt.

Javier Milei, umgeben von seinen Anhängern, hält mit beiden Händen eine Kettensäge in die Höhe
Im Wahlkampf hatte Milei bisweilen auch eine Kettensäge dabei Bild: Marcos Gomez/AG La Plata/AFP

"Es gibt kein Geld", hatte Milei zu Beginn seiner Amtszeit den Zustand der Staatskasse beschrieben. Trotz der harten Maßnahmen und der steigenden Armutsrate ist die Zustimmung für Milei vergleichsweise stabil, auch wenn der Präsident in den Umfragen zuletzt einige Punkte verlor. Bislang kommt Milei zugute, dass er ein "schweres erstes Jahr" ankündigte - und dieses 'Versprechen' auch einhält. Der eine Teil der Bevölkerung ist überzeugt, dass sich diese Opfer lohnen, die andere Hälfte sieht die Entwicklung mit großer Sorge.

Sozialorganisationen üben Kritik

Scharfe Kritik am Kurs der Regierung kommt aus dem Lager der Sozialorganisationen und der Opposition. Die katholische Kirche im Heimatland von Papst Franziskus lenkt den Blick auf die Bedürftigen. Armenpriester berichten, die Zahl der Menschen, die bei Armenspeisungen um Hilfe bitten, hätte sich spürbar vergrößert. Der spanisch-stämmige Armenpriester "Paco" Olveira wirft Milei ein gezieltes Vorgehen gegen die traditionell eng mit dem lange regierenden Peronismus verbundenen Sozialbewegungen vor:

"Die Idee der Regierung ist es, alle gemeinschaftlichen, sozialen und politischen Organisationen zu zerstören." Emilio Pérsico von der peronistischen Bewegung Evita vermutet, dass angesichts der gestiegenen Armut die Präsidentschaft vorzeitig enden könnte: "Es wäre ein Wunder, wenn Javier Milei vier Jahre durchhält."