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Politik

12.500 Abschiebungen nach Afghanistan - wirklich?

Richard A. Fuchs
17. November 2016

Deutschland will Flüchtlinge nach Afghanistan abschieben - trotz prekärer Sicherheitslage. Auch wenn jetzt über konkrete Zahlen diskutiert wird: Anläufe für mehr Abschiebungen gab es immer wieder.

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Deutschland Hamburg Proteste gegen Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen
Proteste gegen die Abschiebung nach Afghanistan - hier in HamburgBild: DW/B. Rasin

Eine Zahl macht die Runde: Exakt 12.539 Afghanen sollen nach dem Willen des Bundesinnenministeriums in ihr Heimatland abgeschoben werden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei "Die Linken" hervor, aus der Tageszeitungen zitieren. Demnach müssten fünf Prozent der knapp 250.000 in Deutschland lebenden Afghanen mit einer Abschiebung rechnen. Die Begründung der Bundesregierung: Zumindest in den großen Zentren Afghanistans sei die Sicherheit für die Rückkehrer gewährleistet. "Eine Verschlechterung der Sicherheitslage im gesamten Land kann nicht bestätigt werden", zitiert die "Neue Osnabrücker Zeitung" das Innenministerium.

Bisher 27 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben 

Bislang spiegelt die Zahl der durchgeführten Abschiebungen diese Aussage nicht wider. Es seien im Jahr 2015 gerade einmal 27 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan zurück überstellt worden, zitiert die Zeitung weiter. 27 Abschiebungen zu viel, sagen Menschenrechtsaktivisten. Die Sicherheitslage am Hindukusch habe sich gerade in den vergangenen Wochen noch einmal deutlich verschlechtert. Der jüngste Angriff der radikalislamischen Taliban auf die Stadt Kundus oder der Anschlag auf das deutsche Konsulat in Masar-i-Scharif zeugten genau davon.

Allein beim Attentat auf das deutsche Konsulat starben sechs Menschen und über 120 wurden verletzt. Im "Global Terrorism Index", einem Bericht des "Institute for Economics and Peace" in London, wird die Lage in Afghanistan als extrem besorgniserregend dargestellt. Die Zahl der Toten sei im Vergleich zu den Vorjahren deutlich angestiegen. Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke rief die Bundesregierung auf, keine Menschen mehr in das "kollabierende Bürgerkriegsland" Afghanistan zurückzuschicken.

Hilfsorganisationen fordern deshalb eine sofortige Aussetzung der Abschiebepraxis. "Afghanistan ist nicht sicher. Wer abschiebt gefährdet Menschenleben", sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt jüngst. In 31 von 34 Provinzen werde gekämpft. Das habe allein im ersten Halbjahr 2016 mehr als 1.600 Menschen das Leben gekostet, führt er weiter aus. Ohne tatsächlichen Beschluss hatte es von Seiten der Bundesregierung in den vergangen Jahren ein Moratorium für Abschiebungen in das Land gegeben. Dies jetzt kippen zu wollen, sei fahrlässig, sagt Burkhardt. "Es ist unverantwortlich zu denken, man könne Abgeschobene auf dem Flughafen Kabul absetzen und dann von jeder Verantwortung, was mit ihnen geschieht, frei sein."

Afghanistan Aufnahmezentrum in Torcham
Nach der Rückkehr: Szene aus dem Aufnahmezentrum im afghanischen TorchamBild: DW/O. Deedar

Fluchtpunkt Afghanistan

Dabei hatte es in der Vergangenheit immer wieder Anläufe von Seiten der Bundesregierung gegeben, mehr Abschiebungen nach Afghanistan durchzusetzen. Ein häufiges Problem dabei: Viele Flüchtlinge besitzen keine gültigen Pässe mehr - und ohne gültige Reisedokumente verweigerten die afghanischen Behörden bislang die Wiedereinreise.

Rund 200.000 Menschen sollen allein im vergangenen Jahr das Land Richtung Europa verlassen haben. Experten schätzen, dass rund die Hälfte davon auf Asyl hoffen kann. Das bedeutet aber auch: Zehntausende Afghanen werden zukünftig zurück in ihre Heimat müssen. Ein jüngst verabschiedetes Abkommen zwischen der EU und Afghanistan soll die Grundlage dafür legen, dass mehr Geflüchtete freiwillig aus Europa zurückkehren. Britische Medien sprachen von bis 80.000 möglichen Abschiebungen, die jetzt folgen sollen. Die Zeitungen berufen sich dabei auf Arbeitsdokumente aus dem Kreis der EU-Kommission.

Mit dem neuen EU-Afghanistan-Abkommen verpflichtet sich die afghanische Regierung nun, fehlende Pässe binnen vier Wochen auszustellen. Andernfalls können zur Abschiebung auch Ersatzdokumente der EU-Staaten genutzt werden - so die Vereinbarung. Um den Neustart in Afghanistan zu erleichtern, beinhaltet das Abkommen auch Wiedereingliederungsprogramme, die in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) durchgeführt werden. Konkrete Zahlen, wie viel Geld die EU für dieses Programm und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Afghanistan überweist, sind aber nicht bekannt. Nur soviel: Insgesamt unterstützt die EU das Land derzeit mit bis 2020 mit 1,2 Milliarden Euro pro Jahr.

Steinmeier: Rückführungsabkommen umsetzen

Deutschland Steinmeier wird neuer Bundespräsident
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Berlin Bild: picture-alliance/dpa/M: Gambarini

Bedeutet das, die Zahl der Abschiebungen wird sich jetzt deutlich erhöhen? Afghanistan-Experten sind skeptisch und verweisen auf die instabile politische Lage. Immer wieder kommt es zu politischen Eklats. Zudem sind Fragen der Abschiebung in Deutschland Sache der Bundesländer - und schon deshalb nicht zentral zu steuern.  

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) will sich von derlei Querelen nicht beirren lassen. Er rief die afghanische Regierung dazu auf, die getroffenen Vereinbarungen mit der EU umzusetzen. Das Rücknahmeabkommen dürfe nicht "geschriebenes Papier" bleiben, sondern müsse "tatsächlich in die Praxis umgesetzt" werden, sagte Steinmeier am Rande der Afghanistan Geberkonferenz in Brüssel im Oktober. Geberländer, darunter vornehmlich die EU-Staaten, sagten dem Land dabei Unterstützung in Höhe von 13,6 Milliarden Euro bis 2020 zu. Unterstützung, die nicht an die Zahl von Abschiebungen gekoppelt sei, betonte der Außenminister ausdrücklich. Wie viele davon tatsächlich umgesetzt werden können, das bleibt angesichts dieser Vorzeichen völlig offen. 12.539 werden es in keinem Fall sein, so viel lässt sich heute schon sagen.