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Ökostrom auch für Heizung und Verkehr

Gero Rueter28. Juni 2016

Die Pariser Klimaziele mit einer Erderwärmung von möglichst unter 1,5 Grad kann Deutschland nur erreichen wenn Ökostrom der dominante Energieträger wird. Das hieße: Wind- und Solarausbau auch für Heizung und Verkehr.

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Deutschland Merkel besucht den Windpark Baltic 1 (Foto: Getty Images/ G. Bergmann)
Bild: Getty Images/G. Bergmann

Deutschland erzeugt bereits ein Drittel seines Stroms mit erneuerbaren Energien. Da aber auch der Verkehr, die Heizung und Industrie viel Energie verbrauchen und hier die fossilen Energien stark dominieren, liegt der Anteil der erneuerbaren Energien im gesamten Energiemix bei nur 13 Prozent. Besonders gering ist der erneuerbare Anteil im Verkehr. Hier liegt er bei fünf Prozent.

Um den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten die Treibhausgasemissionen aus der fossilen Energieerzeugung sehr rasch sinken. Eine aktuelle Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin) geht davon aus, dass zur Erreichung dieses Ziels in Deutschland die CO2-Emissionen schon 2040 bei Null liegen müssten.

"Danach darf kein fossiles Erdgas, Erdöl und keine Kohle mehr genutzt werden", so Studienautor Volker Quaschning. "Die Energieversorgung in den Sektoren Strom Wärme und Verkehr sollte daher bis 2040 vollständig mit erneuerbaren Energien gedeckt werden", so der Professor für Elektrotechnik.

Infografik Klimaneutrale Energieerzeugung bis 2040 in Deutschland
Fossile Energien verursachen in allen Sektoren viel CO2. Wind- und Solarenergie könnte dies ändern.

Wind- und Solarstrom auch für Wärme und Verkehr

Quaschning berechnet wie Deutschland die fossilen Energien bis 2040 in allen Sektoren ersetzen kann. Ambitionierte Effizienzmaßnahmen hält er für erforderlich, damit der Energiebedarf weitgehend mit erneuerbaren Energien aus Deutschland gedeckt werden kann.

Nach seiner Studie sollten Windkraft und Photovoltaik die wichtigsten Quellen der zukünftigen Energieversorgung sein und dieser Strom dann nicht nur für Elektromobilität, sondern auch für die Heizung genutzt werden.

So sollen gut gedämmte Gebäude zukünftig vor allem mit Wärmepumpen beheizt werden. In der Industrie sollten Stromheizungen die erforderlichen hohen Temperaturen erzeugen statt Gas oder Öl zu verfeuern.

Welche Energieträger für den Verkehr?

Berlin Pressekonferenz mit Volker Quaschning
Große Veränderungen in der Energieversorgung: Professor Volker Quaschning stellt in Berlin die Studie vor.Bild: Christoph Rasch/Greenpeace Energy eG

Eine große Herausforderung ist der Ersatz fossiler Brennstoffe vor allem im Verkehr. Ein Potential für mehr Biotreibstoffe aus Mais und Weizen sieht die Studie wegen des hohen Flächenbedarfs in Deutschland nicht.

Stattdessen ließe sich Wind- und Solarstrom in Batteriefahrzeugen direkt nutzen oder man könnte synthetische Kraftstoffe aus Wind- und Solarstrom erzeugen. Hier wird mit Hilfe der Elektrolyse im sogenannten Power-to-Gas-Verfahren Wasserstoff erzeugt.

Erste Autos gibt es bereits die mit Wasserstoff und Brennstoffzelle fahren. In einem weiteren Schritt kann aus Wasserstoff aber auch Biogas oder Biodiesel erzeugt werden und Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren wie heute fahren.

Die Studie empfiehlt vor allem die direkte Stromnutzung mit Batterie und beim Schwerlastverkehr auch mit Oberleitung. Der Grund liegt in der Effizienz: Laut Quaschning fährt ein Batterieauto mit derselben Energie mehr als doppelt so weit wie mit Brennstoffzelle und fünf Mal weiter als mit synthetischen Biosprit und Verbrennungsmotor.

Fehlender Sachverstand in der Politik?

Um die fossilen Energien in Deutschland komplett zu ersetzen, muss der Ausbau von Wind- und Solarkraft laut Studie stark beschleunigt werden. Für das Jahr 2040 empfiehlt Quaschning eine installierte Windkraftleistung in Deutschland, die im Vergleich zu heute sieben Mal höher ist und bei der Photovoltaik eine zehn Mal höhere Gesamtinstallation.

Für dieses Ziel "müssen wir die Wind- und Solarenergie drei bis sechs Mal schneller ausbauen als von der Bundesregierung geplant", so Quaschning. Zugleich kritisiert der Hochschulprofessor die derzeitige Regierungspolitik. "Mit den geringen Zubaukorridoren des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist ein Einhalten der Paris-Ziele praktisch unmöglich. Entweder fehlt den politisch Verantwortlichen der nötige Sachverstand oder sie beabsichtigen das Klimaschutzabkommen gar nicht einzuhalten", so Quaschning.

Infografik: Klimaneutrale Energieerzeugung bis 2040
Wind- und Solarstrom soll zunehmend auch für Heizung und Verkehr genutzt werden. Fossile Energien werden so ersetzt.

Viel Zustimmung und etwas Kritik

"Die Studie zeigt eindrucksvoll, welche große Transformation notwendig ist, um die Klimaziele in Deutschland zu erreichen", sagt Prof. Claudia Kemfert, Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftforschung (DIW). "Leider setzt die Politik derzeit dafür die falschen Signale. Mit den derzeitigen politischen Maßnahmen wird man die Klimaziele nicht erreichen können", so Kemfert gegenüber der DW.

Energieexperte Joachim Nitsch, Autor von zahlreichen Studien für die Regierung, sieht ebenfalls Handlungsbedarf der Politik, damit erneuerbarer Strom zukünftig auch im Wärme- und Verkehrssektor eine breite Anwendung findet. "Ich stimme der Grundaussage der Studie voll zu. Zugespitzt lautet die Aussage: Wind- und Solarstrom muss die überwiegende zukünftige Primärenergie sein", so Nitsch.

Solarpark Templin in Ostdeutschland
Auch eine Option: Solarstrom wird vor allem in sonnenreichen Ländern unschlagbar günstig. Mit dem Strom könnten synthetische Kraftstoffe produziert und exportiert werden.Bild: BELECTRIC.com

Die Richtung der Studie hält auch Europas führender Solarforscher Professor Eicke Weber für richtig. Der Leiter des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme ISE kritisiert jedoch, dass die Studie von einer weitgehenden Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien aus Deutschland ausgeht und nur wenig Energieimporte vorsieht.

"Langfristig macht es mehrfach viel Sinn, dass Energie auch zukünftig mit umliegenden Ländern gehandelt wird. Länder die heute starke Energie-Exportnationen sind, können auch zukünftig damit Geld verdienen - und das sind ja gerade die Länder des Sonnengürtels."

IPPC-Autor Professor Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut sieht dies ähnlich. "Synthetische flüssige Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien könnten zukünftig aus sonnen und windreichen Ländern kommen, aus Nord und Ostafrika".

In der Studie fehlt ihm zudem noch der Hinweis, dass eine so große Transformation der Energiesystem "auf massive Widerstände stoßen dürfte und die gesellschaftliche Akzeptanz hart erarbeitet werden muss." Proaktiv sei es deshalb beispielsweise wichtig soziale Verwerfungen in den jetzigen Kohleabbaugebieten zu vermeiden und abzupuffern.

Positiv aufgenommen wird die Studie auch von Experten aus den Bundestagsfraktionen. "Sie belegt eindrucksvoll wir stark die Energiewende beschleunigt werden müsste, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen", sagt Josef Göppel von der CSU.

Wie Göppel plädieren auch Energieexperten von Grünen und SPD für eine Verknüpfung von Strom mit Wärme und Mobilität. "Die Sektorenkopplung verlangt von uns eine Neuberechnung des Ausbaupfades für Strom aus erneuerbaren Energien. Die Frage der Netzengpässen rechtfertigt dabei keine Drosselung des Ausbaus", betont Klima- und Energieexpertin Nina Scheer von der SPD.