150. Geburtstag von Henry van de Velde
Er beeinflusste eine ganze Generation moderner Kunstschaffender: der in Belgien geborene Künstler, Architekt und Designer Henry van de Velde. Er war ein Alleskönner, der in Weimar zum Vordenker des Bauhaus-Stils wurde.
Der Wegbereiter des Bauhauses
Einer der bedeutendsten Architekten und Designer des 20. Jahrhunderts kam vor 150 Jahren auf die Welt: Henry van de Velde. Sein Werk ist umfassend: von Gebäuden über Kleidung bis zum Brieföffner. Mit seinem "Neuen Stil" wurde er Wegbereiter des Bauhauses. Ein "Alleskünstler", wie das Motto des Van-de-Velde-Jahres 2013 in Thüringen und Sachsen lautet. Ein Blick auf sein Leben und Schaffen.
Vom Maler zum Architekten
Geboren wurde Henry van de Velde am 3. April 1863 in Antwerpen in Belgien. Hätte seine Familie bestimmen können, wäre er Jurist geworden. Er wollte aber keine Gesetzbücher wälzen und besuchte ab 1880 die Kunstakademie in seinem Geburtsort. Beeinflusst wurde seine Malerei auch von Vincent van Gogh. Doch was ihn immer stärker interessierte, waren Innenausstattung und Architektur.
Sein erstes Haus in Deutschland
So wandte sich van de Velde ab von der Malerei, hin zur angewandten Kunst. Schon bald machte er sich einen Namen, gestaltete Innenräume in Berlin, Hagen und Paris. Sein erstes Werk als Architekt in Deutschland war die Villa Esche in Chemnitz. Vom Grundriss, über die Möbel bis hin zum Geschirr - alles stammte aus der Feder des Belgiers. Das Zentrum seines Wirkens in Deutschland war aber Weimar.
Van de Velde an der Kunstgewerbeschule
Nach Weimar kam er 1902 als Berater der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule. Er gründete das Kunsthandwerkerseminar, wurde Leiter der Schule und entwarf deren Gebäude. Sie sind seit 1995 UNESCO-Weltkulturerbe. Seine Schüler sollten künstlerisches und handwerkliches Können erlernen. Die Idee, beide Fähigkeiten zu vermitteln und zu verbinden, machten ihn zum Wegbereiter des Bauhauses.
Teller, Vase und Co.
Zweck und Schönheit seien eins, schrieb Henry van de Velde in seinen Memoiren. Kein Wunder, dass er 1907 den Werkbund mitbegründete. Die Vereinigung bringt noch heute Künstler und Industrielle zusammen. Er unterstützte auch Handwerks- und Industriebetriebe bei ihren Entwürfen. Töpfereien im thüringischen Bürgel machten sich dank Skizzen von van de Velde einen Namen mit seinen Keramiken.
Der Architekt und der Philosoph
Van de Velde bezeichnete sich als Schüler des Philosophen Friedrich Nietzsche. Beide waren überzeugt, dass der Einzelne die Gesellschaft verändern kann. Von Nietzsches Schwester, mit der er befreundet war, wurde er 1902 beauftragt, das Nietzsche-Archiv in Weimar zu gestalten. Es entstand in dem Haus, in dem Nietzsche die letzten Jahre vor seinem Tod verbracht hatte. Es ist bis heute unverändert.
Zweckentfremdung
Viele von van de Veldes Werken wurden mit der Zeit verändert und zweckentfremdet. Das Haus des Industriellen Paul Schulenburg in Gera beherbergte später zum Beispiel eine Schwesternschule und stand nach der Deutschen Wiedervereinigung 1990 mehrere Jahre leer. Die heutigen Besitzer rekonstruieren es seit 1996 nach originalen Bauplänen. Mittlerweile steht es unter Denkmalschutz.
Ein Gesamtkunstwerk
Henry van de Velde konzipierte im Haus Schulenburg und in vielen weiteren Gebäuden die gesamte Einrichtung. Nicht nur die Möbel, auch die Lampen oder den Schirmständer dachte er sich aus. Er entwarf die Bauten als Gesamtkunstwerke, in denen alles aufeinander abgestimmt war - immer im Hinblick auf seinen "Neuen Stil": Zweckmäßig sollten die Gegenstände sein, ohne unnötige Verzierungen.
Die eigenen vier Wände
Henry van de Velde entwarf aber nicht nur für Auftraggeber Gebäude. Auch für seine Familie schuf er die eigenen vier Wände: das Haus Hohe Pappeln. Hier wohnte er mit seiner Frau und den fünf Kinder. Die Räume waren klar strukturiert und am Lauf der Sonne ausgerichtet. Das Haus wurde zum Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle: Edvard Munch und Hugo von Hofmannsthal kamen zu Besuch.
Angefeindet und isoliert
Der Erste Weltkrieg veränderte alles: Henry van de Velde wurde als Belgier angefeindet und fühlte sich isoliert. 1914 gab er seine Stelle in Weimar auf. Unterstützung erhielt er in dieser Zeit nur von Wenigen, darunter von der Familie Dürckheim, für die er eine Villa erbaut hatte (Bild). Die Herrin des Hauses sammelte während der Kriegsjahre 170.000 Mark, um van de Velde in Weimar zu halten.
Zurück nach Belgien
Doch in Deutschland hielt Henry van de Velde nichts mehr. 1917 verließ er Weimar und zog zunächst in die Schweiz. Später lebte er wieder in seiner Heimat Belgien: 1925 übernahm er die Professur für Architektur an der Universität Gent und plante den Bücherturm der Universität (Bild). Für die Weltausstellungen in Paris (1937) und New York (1939) entwarf er jeweils den belgischen Pavillon.
Die Gründung des Bauhauses
Weimar verlor mit van de Veldes Weggang zwar eine Persönlichkeit, die die Kunstgewerbeschule maßgeblich geprägt hatte. Jedoch hatte er seinen Nachfolger, Walter Gropius, selbst ausgesucht. Dieser entwickelte van de Veldes Ideen weiter und gründete 1919 das Bauhaus: Zweckmäßige Dinge mit bewusstem Design sollten für die Massenproduktion entwickelt werden. 1925 zog die Schule nach Dessau um (Bild).
Ein globales Phänomen
Henry van de Velde starb am 25. Oktober 1957 in Zürich im Alter von 94 Jahren. Er hatte Design und Architektur in die Moderne geführt und die Grenze zwischen Kunst und Handwerk aufgebrochen. Nicht nur in Europa hatte er sich einen Namen gemacht. Selbst in Tokyo widmete man ihm eine Ausstellung. In heutigem Design findet sich seine Formgebung wieder - auch 150 Jahre nach seiner Geburt.