Leipziger Mendelssohn-Haus feiert Jubiläum
3. November 2017"Und wo ist Fanny?" Diese Frage nach der Schwester stellten die Besucher des Leipziger Mendelssohn-Haus immer wieder, wenn sie durch die Ausstellung zu Leben und Schaffen des großen Dirigenten, Pianisten und Komponisten der Romantik, Felix Mendelssohn-Bartholdy, gingen. Zwanzig Jahre nach Gründung des Mendelssohn-Hauses – damals unter tätiger Mithilfe des Gewandhaus-Kapellmeisters Kurt Masur – ist es endlich soweit: Die Mendelssohn-Schwester Fanny Hensel (1805-47), eine schon zu Lebzeiten hochgeschätzte Pianistin und Komponistin, wird in einer eigenen Dauerausstellung gewürdigt. Sie kommt mit schmerzlicher Verspätung, mehr als zwanzig Jahre nach der spektakulären Berliner Ausstellung "Das verborgene Band" anlässlich des 150. Todestages der Geschwister.
"Du fehlst, lieber Sohn"
In Leipzig sieht man eine Auswahl ihrer mehr als tausend Briefe an den Bruder, das mit modernster Technik illuminierte Musikzimmer der Berliner Wohnung an der Leipziger Straße, einen animierten Film über Fannys berühmte "Sonntagsmusiken", zu denen auch Franz Liszt kam, ein originales Porträt der Musikerin aus der Feder ihres Maler-Ehemanns Wilhelm Hensel, Alltagsdinge wie Silberlöffel, und vieles mehr. "Felix Mendelssohns Leben ist nicht komplett erzählt ohne seine Schwester Fanny", erklärt Jürgen Ernst, Direktor des Mendelssohn-Hauses, bei der Führung durch die neue Dauerausstellung in der dritten Etage.
Die Geschwister pflegten eine symbiotische Beziehung. Das belegen auch die ausgestellten Briefe Fannys an Felix: "Du fehlst einem früh und spät, lieber Sohn", schreibt die vier Jahre ältere Schwester in einem Brief vom 29. Oktober 1821. "Und die Musik will gar nicht rutschen ohne dich." Beide waren sich die besten Ratgeber, wenn es um die Kompositionsarbeit ging. Doch unterstützte Felix seine Schwester erst spät in ihrem Wunsch, ihre Werke zu veröffentlichen.
Masur und Mendelssohn
Dass es das Mendelssohn-Haus noch original erhalten gibt, ist alles andere als selbstverständlich, betont Direktor Jürgen Ernst. Besonders gefährdet war das spätklassizistische Haus am Ende des Zweiten Weltkriegs. Wer damals vom Leipziger Bahnhof nach Süden schaute, sah das Mendelssohn-Haus als erstes Gebäude, das den verheerenden Bombenangriff der Alliierten in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1944 überstanden hatte. Alle anderen Häuser zwischen Bahnhof und dem früheren Wohn- und Sterbehaus des Komponisten und Leipziger Gewandhaus-Kapellmeister Felix Mendelssohn-Bartholdy waren den Fliegerbomben zum Opfer gefallen.
Zu DDR-Zeiten, Mitte der 1980er Jahre, sicherte Kurt Masur den Erhalt des Kulturdenkmals. Später sorgte er dafür, dass das Haus in den Wirren der Nach-Wende-Zeit nicht zugunsten von Neubauten dem Erdboden gleichgemacht wurde. 1997 war der Dirigent Initiator der Museumsgründung.
Mendelssohns Bedeutung reicht weit über Leipzig hinaus
Wenn man heute das Haus in der Goldschmidtstraße 12, unweit des Gewandhauses, betritt, fällt einem sofort das originale Treppenhaus in dunklem Holz ins Auge. Hier stieg Mendelssohn die Stufen zu seiner großzügigen Wohnung in der Beletage hinauf, in der er bis zu seinem Tod lebte. Die Wohnung und die darunter liegende Etage waren bisher das Herzstück des Museums. Bilder des einstigen Wunderkindes, Partituren, Schautafeln und eine Mediathek mit Audios und Informationen zu allen 750 Werken Mendelssohn-Bartholdys fügen sich zu einem eindrucksvollen Bild des Mehrfach-Genies.
Die Ausstellung macht deutlich: Über sein Schaffen als Komponist hinaus hat Mendelssohn eine unschätzbare Bedeutung für Leipzig und die Musikwelt. Er gründete das Leipziger Musikkonservatorium, das erste seiner Art weltweit. Und ohne Mendelssohn würde es die Konzertsituation, wie wir sie heute kennen, vielleicht gar nicht geben: Der Dirigent leitet vor dem Orchester stehend die musikalische Aufführung. Das war vor Mendelssohn nicht üblich. Im sogenannten "Effektorium", einer Art elektronischem Konzertsaal, kann jeder Besucher nacherleben, wie sich das anfühlt. Bewegungssensoren lassen Jedermann zu einem Dirigenten berühmter Werke wie beispielsweise des "Sommernachtstraums" werden.
Neues Masur-Institut
Kurt Masur fühlte sich mit Mendelssohn Bartholdy, seinem berühmten Vorgänger als Gewandhauskapellmeister, zeitlebens eng verbunden. Und so ist es nur folgerichtig, dass im dritten Stock neben der neuen Dauerausstellung zu Fanny Hensel auch das frisch gegründete Kurt-Masur-Institut eingezogen ist. Den Anstoß zur Institutsgründung hatte Tomoko Masur gegeben, die neben Wohnsitzen in New York und Tokio auch immer noch in Leipzig lebt. Ihr ist es wichtig, dass nicht nur Masurs Lebenswerk als Musiker zwischen Leipzig, New York und Paris, sondern auch seine Rolle als Politiker wider Willen vor und während der dramatischen Tage der "Friedlichen Revolution" 1989 dokumentiert und erforscht wird. Die Akten und Ausstellungsstücke sind fast alle Leihgaben aus ihrem Besitz. Darunter ist auch die Büste ihres Mannes von der Hand des ostdeutschen Bildhauers Jo Jastram, die bisher die Eingangshalle ihres Leipziger Hauses zierte.
Masurs Witwe feiert die Eröffnung, und auch sein einziger Sohn Ken Masur, heute Associate Conductor des Boston Symphony Orchestra, hält das Vermächtnis seines Vaters hoch. "Der Vater wollte kein Denkmal", sagt Ken Masur im Gespräch mit der Deutschen Welle. Im Geiste des Humanismus Musik und das Gespräch zu pflegen, das sei sein Anliegen gewesen. Diese Botschaft solle nun durch das Archiv und die Ausstellung aus dem kleinen Institut von Leipzig in die Welt getragen werden. Was würde er im Geiste seines Vaters heute, in einer völlig veränderten Welt, den Menschen raten? "Singt miteinander, macht miteinander Musik, strahlt Liebe aus und geht ins Konzert. Dann seid ihr für zwei Stunden des Konzertes im Frieden", rät Ken Masur, ohne lange zu überlegen. Bei Festakt und Festkonzerten zum zwanzigjährigen Jubiläum des Mendelssohn-Hauses wird in der nächsten Woche oft Gelegenheit dazu sein.