20 Jahre Wikipedia: Acht Fragen und Antworten
15. Januar 2021Jimmy Wales dürfte sich nicht im Traum ausgemalt haben, dass heute insgesamt über 50 Millionen Artikel existieren, als er am 15. Januar 2001 zusammen mit Larry Sanger die frei zugängliche Online-Enzyklopädie Wikipedia gründete. Die Plattform zählt heute zu den 20 beliebtesten Websites der Welt und bleibt ohne kommerzielle Absichten. Wales verfasste damals einen ersten englischsprachigen Eintrag und begrüßte - wie für Programmierer üblich - die Leserschaft mit "Hello World" (auf Deutsch: "Hallo Welt").
Allein die deutschsprachige Wikipedia umfasst inzwischen über 2,5 Millionen enzyklopädische Artikel und belegt Platz vier aller Sprachausgaben. Als erste weitere Sprachausgabe ging sie zwei Monate nach der englischen Wikipedia im März 2001 an den Start. Die deutschsprachigen Seiten werden täglich im Durchschnitt etwa 15 Millionen Mal aufgerufen. Die älteste noch erhaltene Version eines Artikels in der deutschsprachigen Wikipedia befasst sich übrigens mit etwas, das derzeit durch die Corona-Pandemie in aller Munde ist: es ging um die "Polymerase-Kettenreaktion" - ein molekularbiologisches Verfahren, das auch unter der Kurzform PCR bekannt ist.
Was außerdem über die digitale Mitmach-Enzyklopädie wichtig zu wissen erscheint, haben wir in diesem Listicle für Sie zusammengestellt:
1. Was bedeutet "Wikipedia"?
Hätten Sie's gewusst? Wikipedia setzt sich aus zwei Begriffen zusammen. "Wiki" heißt auf Hawaiisch "schnell". "Encyclopedia" ist das englische Wort für "Enzyklopädie", was ein umfangreiches Nachschlagewerk meint. Dem Begriff nach soll man also in der "Wikipedia" schnell gesuchte Informationen nachschlagen können.
Heute versteht man unter einem "Wiki" ein Webangebot, das sich ohne Vorkenntnisse benutzen lässt. Laut entsprechendem Wikipedia-Eintrag verbirgt sich dahinter "eine Website, deren Inhalte von den Besuchern nicht nur gelesen, sondern auch direkt im Webbrowser bearbeitet und geändert werden können (Web-2.0-Anwendung). Das Ziel ist häufig, Erfahrung und Wissen gemeinschaftlich zu sammeln (kollektive Intelligenz) und in für die Zielgruppe verständlicher Form zu dokumentieren."
2. Wie entsteht das frei zugängliche Online-Lexikon?
Und so lautet auch das Wikipedia-Prinzip, denn jede und jeder kann mitmachen. In der Regel verfassen ehrenamtliche "Wikipedianer" die Beiträge. Allein zur Mitarbeit an der deutschsprachigen Ausgabe sind 3,6 Millionen Menschen angemeldet, als aktiv gelten aber nur knapp 20.000. Viele Schreibende sagen jedoch noch nichts über die Qualität aus. Das Verfahren, wie die Artikel zu kontrollieren sind, wurde daher laufend weiterentwickelt. Die Regeln der deutschsprachigen Community gelten als besonders strikt.
Allerdings gibt es immer weniger neue Willige, die ehrenamtlich mitarbeiten möchten. Kritik macht die Runde, wonach der Ton unter den Mitwirkenden - Administratoren wie Editoren - eher rau sein soll. Johannes Weberling, Anwalt für Medienrecht und Honorarprofessor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder nennt ihn gegenüber dem NDR "unterirdisch". Weberling ist Mitbegründer von "Wiki-Watch", einer Arbeitsgruppe, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Qualität des Online-Lexikons kritisch zu prüfen.
Hinter der Wikipedia steht die Wikimedia Foundation, der Wales die Enzyklopädie einst schenkte. Werbefrei und allein aus Spenden finanziert sie die Infrastruktur des Online-Lexikons und bezahlt die Programmierer. Zuletzt hat die Stiftung jährlich an die 120 Millionen Dollar eingenommen.
3. Auf welchen Sprachen existieren die meisten Artikel?
Die Liste der Sprachen mit dem umfangreichsten Konvolut an Artikeln führt Englisch an (6,1 Millionen). Von Vielen vermutlich unerwartet landen auf den Plätzen zwei und drei Sprachen, die weltweit gar nicht sehr stark verbreitet sind: Cebuano, eine von circa 18 Millionen Menschen auf den Philippinen gesprochene Sprache, belegt Platz zwei und auf Schwedisch, das Platz drei belegt, existieren ebenfalls mehr Einträge als in der deutschsprachigen Wikipedia (Platz vier).
Dass es so viele Einträge auf Schwedisch und Cebuano gibt, dürfte daran liegen, dass beide Sprachen auch automatisiert und teilautomatisiert erstellte Artikel vorhalten. Zählt man nur Artikel von tatsächlichen Autorinnen und Autoren, liegt die deutschsprachige Wikipedia sogar auf Platz zwei.
4. Gibt es Staaten, die über Wikipedia nicht glücklich sind?
Dass einzelne Länder mit Zensur gegen frei verfügbares Wissen vorgehen, kommt immer wieder vor. So wurde auch Wikipedia in mehreren Ländern bereits gesperrt. Beispielsweise war die Plattform in China und der Türkei mehrere Jahre blockiert, im Iran die kurdische Version und auch die usbekische Version war eine Zeit lang nicht erreichbar.
Russland arbeitet momentan daran, eine eigene Alternative zu dem von den US-Amerikanern Wales und Sanger gegründeten Online-Lexikon zu schaffen. Russischen Medienangaben zufolge existiert für das Projekt bereits ein Etat.
5. Wie umfangreich ist das von der deutschsprachigen Wikipedia dokumentierte Wissen?
Laut Wikipedia-eigener Statistik würde allein die deutschsprachige Wikipedia in gedruckter Form - ohne Bilder wohl gemerkt - 1471 Bände umfassen. Man bräuchte also acht Bücherregale, wenn in jedes Regal auf die verschiedenen Regalböden verteilt 200 Bücher passten. Das letzte würde nur noch knapp zur Hälfte belegt sein.
6. Ersetzt Wikipedia Bücher?
Gedruckte Wissenssammlungen verschwinden nach und nach. 2012 gab die "Encyclopaedia Britannica" bekannt, fortan nur noch digital erscheinen zu wollen und auch der im deutschsprachigen Raum bedeutsame "Brockhaus" zog 2014 ins Digitale um. Wales sagt, die Britannica habe nicht ausschließlich durch Wikipedia, sondern auch durch das Microsoft-Lexikon "Encarta" Probleme bekommen und sich nicht zeitgemäß entwickelt. Er bedauere dennoch, dass derartige Institutionen verschwänden, sagte er 2017 in diesem DW-Interview:
Allerdings glaube er nicht, "dass Wikipedia Bücher oder tiefgreifende Texte ersetzt. Es ergänzt sie. Genau so, wie die Britannica oder der Brockhaus niemals Shakespeare ersetzen könnten. Es bleibt eine Sache, Hintergrundinfos über Shakespeare zu lesen, aber den Text muss man schon selber anpacken." Außerdem erklärt er, dass Bücher und Wikipedia eine gemeinsames Ziel verfolgten: Die Aufklärung.
7. Wie "neutral" ist Wikipedia?
Wikipedia hat sich den Zusatz "Die freie Enzyklopädie" gegeben. Doch wie frei im Sinne von unabhängig ist das Mitmach-Lexikon und wie neutral können die Artikel ausfallen? Martin Rulsch, Mitarbeiter bei der deutschen Wikimedia, der Organisation, die hinter Wikipedia steckt und zudem ehrenamtlich schon viele Jahre für das Online-Lexikon tätig, sagte gegenüber der DW: "Ich glaube, es gibt keine Wahrheit und Neutralität. Aber das Ziel von Wikipedia ist es ja, sich dem möglichst anzunähern und danach zu streben. Und wenn es nicht einen neutralen Standpunkt gibt, dann mehrere Standpunkte darzustellen."
Ein Team der Deutschen Welle hat sich anhand eines Themas angesehen, ob diese unterschiedlichen Standpunkte in verschiedenen Sprachversionen Berücksichtigung finden. Vergleichend widmeten sie sich der "Annexion der Krim 2014" in der deutschsprachigen, russischen und ukrainischen Wikipedia. Wie unterschiedlich die verschiedenen Versionen gestaltet sind, erfahren Sie in diesem Faktencheck.
Dass die Wikipedia nicht frei von Einflussnahmen unterschiedlicher Akteure ist, bemängelt Thomas Spahn aus der DW-Wirtschaftsredaktion. In diesem Video-Kommentar nennt er sie sogar einen "Tummelplatz für Manipulateure". Spahn nutzt als Beleg die Beispiele von über Artikel-Bilder eingeschmuggelten Werbebotschaften und von der Beeinflussung der Darstellung gewisser Themen durch einen Branchenriesen.
8. Gab es einen großen Fauxpas in der Geschichte der Wikipedia-Artikel?
Je mehr Aufmerksamkeit ein Thema erhält, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der zugehörige Artikel von guter Qualität ist. Etwaige Fehler fallen dann schneller auf. Ein Beispiel, bei dem die Korrektur lange auf sich warten ließ, war ein Zahlendreher in einem Artikel über den Rhein. Er misst nicht etwa 1320 Kilometer, wie es zunächst hieß, sondern "nur" 1230 Kilometer.
Schwerer wiegt ein Beispiel aus der englischsprachigen Wikipedia, bei dem die Korrektur ebenfalls lange nicht erfolgte. Ein deutsches Konzentrationslager in Warschau wurde 15 Jahre lang als Vernichtungslager beschrieben, was eine falsche Behauptung war.