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Auf den Spuren der Atomkatastrophe

Ulrike Sommer26. April 2016

Für Gerd Ludwig ist die Atomkatastrophe in Tschernobyl zum Lebensthema geworden. Als einer der Ersten fotografierte er vor Ort. Im DW-Interview spricht er über seine Motivation und die Angst, die ihn dabei begleitete.

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Der Fotojournalist Gerd Ludwig präsentiert seinen Fotoband 'Der Lange Schatten von Tschernobyl'. (Foto: DW/U. Sommer)
Bild: DW/U. Sommer

Der Deutsche Gerd Ludwig, Jahrgang 1947, war einer der ersten ausländischen Fotografen, die nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl den Reaktor betreten durften. Seit 1993 besucht er das Katastrophengebiet immer wieder, in dem laut Weltgesundheitsorganisation 4000 Menschen an den direkten Folgen des Unglücks ums Leben kamen, 4000 weitere an den indirekten. Ludwigs Fotoarbeiten prägen bis heute unser Bild von Tschernobyl. Eine Auswahl hat er in 2014 seinem Buch "Der lange Schatten von Tschernobyl" veröffentlicht.

Deutsche Welle: Herr Ludwig, wie sind Sie auf das Thema Tschernobyl gestoßen?

Gerd Ludwig: Ich kam eigentlich zufällig nach Tschernobyl, im Rahmen einer Umweltgeschichte in der ehemaligen Sowjetunion. Ich war fünf Monate in der ehemaligen Sowjetunion unterwegs und zu dieser Reportage gehörte auch Tschernobyl. Als ich dann zum ersten Mal dort war, hat mich diese postapokalyptische Welt nicht mehr losgelassen.

Wie waren Ihre ersten Eindrücke vom Unglücksort?

Das war 1993, also sieben Jahre nach dem Atomunfall. Ich bekam keinen Zugang zum Reaktor, sondern durfte mich nur in der Umgebung bewegen. Aber die Aufpasser von der Miliz haben mir geholfen. Leider wussten die ganz wenig über die lokalen Schäden. Meine Assistenten und ich liefen ständig mit unseren eigenen Geigerzählern und mit unseren eigenen Dosimetern herum.

Wie sind Sie mit der Gefahr umgegangen?

Obwohl man die Radioaktivität nicht sieht, nicht hört, nicht schmeckt und auch nicht fühlt - diese ständige Drohung erzeugt eine Spannung in der Psyche.

Porträtbild des lachenden Fotografen: Gerd Ludwig mit seiner Kamera. (Foto: Edition Lammerhuber)
Gerd LudwigBild: Anthony Friedkin

Ich war ja als einziger westlicher Fotograf so tief im Reaktor. Die Spannung, sich in einem dunklen Raum hastig nach vorn zu bewegen, mehr stolpernd als gehend über zerfetzte Metallteile zu stolpern, über Schutt und Schrott, in dem Wissen, dass ständig diese Gefahr der Radioaktivität lauerte, das war ein fast traumatisches Erlebnis.

Aufgabe der Arbeiter war es, riesige Stahlmasten zu stabilisieren. Dafür mussten sie Löcher in den kontaminierten Beton fräsen, so dass ich mit meiner Kamera dem kontaminierten Staub, dem radioaktiven Staub ausgesetzt war und auch dem Funkenregen, den das Fräsen erzeugte.

Denkt man da über die Gefahr nach? Oder will man nur ein gutes Bild machen?

Man muss diesen Gedanken ausblenden. Man muss sich darauf konzentrieren, gute Bilder zu machen. Es ist schon ein ungeheurer Druck, in 15 Minuten ein Bild zu machen, das Bestand hat.

Sie haben viele Opfer fotografiert, viele Kinder mit schweren Behinderungen. Was denkt ein Fotograf in so einer Situation?

Als Fotograf muss ich auch etwas von mir geben, denn ich möchte ja etwas von den Menschen haben. Also, ich setze mich erst mal hin, rede, spiele mit den Kindern und fange dann an, zu fotografieren. Dadurch bekomme ich Zugang zu den Menschen, sie vertrauen mir. Dann entstehen die Bilder. Auch ist wichtig, dass ich als Fotograf erst einmal empfinde. Ich darf die Kamera nie als Schutzschild benutzen. Ich kann nur gefühlvolle, mitfühlende Bilder machen, wenn ich selbst erst mal etwas empfinde.

Buchcover 'Der lange Schatten von Tschernobyl' von Gerd Ludwig. (Foto: Edition Lammerhuber)
In "Der lange Weg nach Tschernobyl" veröffentlicht Gerd Ludwig eine Auswahl seiner eindrucksvollen BilderBild: Edition Lammerhuber

Wie hat Tschernobyl sich im Lauf der Jahre verändert?

Die entscheidende Veränderung sieht man in der Geisterstadt Pripyat. In den ersten Jahren sah es in den Innenräumen der Stadt noch so aus, als hätten die Leute alles stehen und liegen gelassen, viele persönliche Dinge. Diese Innenräume erzählten vom Leben der Leute. Aber über die Jahre hinweg sind Diebe in die Zone eingedrungen und haben alles, was noch irgendwie verwertbar war, nachts im Schutze der Dunkelheit rausgeschleppt, gestohlen und auf den umliegenden Märkten an Ahnungslose verkauft. Heute sind diese Innenräume kahl. Und Tourismus hat sich breit gemacht.

Ein Wissenschaftler in der Zone hat zu mir gesagt, dass man einen Zaun errichten sollte, auf dem steht: 'Nicht geeignet für menschliche Besiedlung für 24.000 Jahre!'

Sie sind dann immer wieder an den Unglücksort zurückgekehrt. Wie konnte Tschernobyl zum zentralen Thema ihres Schaffens, mehr noch: Ihres Lebens werden?

In Tschernobyl laufen zwei Stränge meiner Arbeit zusammen - zum einen die Beschäftigung mit der ehemaligen Sowjetunion und dann die ökologischen Themen. Tschernobyl ist die größte Atomkatastrophe der Welt bisher. Ich verstehe meine Arbeit in Tschernobyl als eine Warnung an die menschliche Hybris. Ich bin der Meinung, dass nicht alles, was technologisch machbar ist, auch wirklich Sinn macht.

Das Gespräch mit Gerd Ludwig führte Ulrike Sommer.