IG Metall möchte Vier-Tage-Woche
17. August 2020Die Industriegewerkschaft Metall - die nach wie vor mächtigste Arbeitnehmervertretung im Lande - brachte vor einigen Tagen den Vorschlag, in der kommenden Tarifrunde eine Vier-Tage-Woche als Option für die Betriebe zu vereinbaren, um einen Stellenabbau zu verhindern.
Sie "wäre die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie. Damit lassen sich Industriejobs halten, statt sie abzuschreiben", sagte der Erste Vorsitzende der Gewerkschaft, Jörg Hofmann, der Süddeutschen Zeitung.
Details nannte Hofmann nicht. Er sprach lediglich von "einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten, damit es sich die Mitarbeiter leisten können".
Unternehmen wie Bosch, ZF und Daimler hatten erst in diesem Sommer Vereinbarungen zur Reduzierung der Arbeitszeit getroffen.
Die Tarifparteien der Metall- und Elektroindustrie hatten unter dem Eindruck der aufziehenden Corona-Krise im März für rund vier Millionen Beschäftigte der Branche vereinbart, die Entgelte in diesem Jahr nicht zu erhöhen. Mit diesem Not-Abschluss war der eigentlich zum 31. März gekündigten Tarifvertrag bis zum Jahresende 2020 ohne weitere Erhöhungen verlängert worden.
Vier-Tage-Woche - (k)ein Weg aus der Krise?
Der Vorschlag der Vier-Tage-Woche sorgt seitdem für reichlich Diskussionen. So hieß es beim Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie lediglich, es sei noch zu früh, über Themen der Tarifrunde zu sprechen, wie deren Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt dem Handelsblatt sagte. Absenkung der Arbeitszeit sei "generell ein sinnvolles Instrument", allerdings nur "bei gleichzeitiger Absenkung der Lohnkosten".
Hofmann sieht bei Betrieben ein Interesse daran, Arbeitszeit zu reduzieren, statt zu entlassen. "Das sichert Fachkräfte und spart zum Beispiel Kosten für einen Sozialplan."
"Die deutsche Wirtschaft erleidet gerade einen riesigen Produktivitätsschock", so der Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Eine Vier-Tage-Woche mit Lohnausgleich verschärfe diesen Schock noch. "Wir werden die Krise nur überwinden, wenn wir mit mehr Arbeit Wohlstand und soziale Sicherheit ermöglichen", so Kampeter.
Auch Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), betrachtet den von der Gewerkschaft ins Spiel gebrachten Schritt differenziert. "Für ein einzelnes Unternehmen kann eine Vier-Tage-Woche Sinn ergeben, wenn die Auftragslage für eine überschaubare Zeit schwächer ausfällt als erhofft und wenn damit eine Möglichkeit geschaffen wird, sämtliche Beschäftigungsverhältnisse aufrecht zu erhalten", sagt Stettes im DW-Interview.
Doch "als flächendeckendes Instrument der Beschäftigungssicherung halten wir das nicht für sinnvoll, insbesondere natürlich dann nicht, wenn noch ein Lohnausgleich mit vereinbart wird". Auch Stettes kommt auf den Wohlstand zu sprechen. "Wenn man das Modell für eine ganze Wirtschaft, eine ganze Branche, oder für die Volkswirtschaft in Angriff nimmt, bedeutet das ja, dass wir dauerhaft darauf verzichten, ein Fünftel der Arbeitszeit einzusetzen. Das bedeutet nichts anderes als eine Verstetigung der Krise, die wir gerade haben, und Wohlstandsverluste."
Herausfordernde Zeiten
Die deutsche Wirtschaft hat auf dem Höhepunkt der Corona-Krise einen noch nie da gewesenen Einbruch erlebt. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 10,1 Prozent.
Es war der stärkste Rückgang seit Beginn der vierteljährlichen BIP-Berechnungen im Jahr 1970. Bereits zum Jahresanfang war die Wirtschaftsleistung deutlich gesunken. Europas größte Volkswirtschaft steckt in einer tiefen Rezession.
Die deutsche Automobilindustrie beschäftigt rund 830.000 Menschen und trägt rund fünf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes bei. Hinzu kommen weitere 1,3 Millionen Jobs bei Zulieferern, in Reparaturbetrieben und beim Autohandel.
Doch auch in der Autobranche wandelt sich die Arbeitswelt radikal. Viele Jobs, die am Verbrennungsmotor hängen, könnten bald wegfallen. Durch die Umstellung auf Elektromotoren seien in Deutschland bis 2030 möglicherweise fast 400.000 Arbeitsplätze gefährdet, heißt es in einer Anfang des Jahres veröffentlichten Studie der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM). Für den Bau von elektrischen Antrieben für Autos braucht es der allgemeinen Einschätzung zufolge deutlich weniger Personal als für herkömmliche Motoren.
Industrielle Produktion vs persönliche Produktivität
Losgelöst vom IG Metall-Vorschlag hatte sich im Juli auch Linkspartei-Chefin Katja Kipping für eine Vier-Tage-Woche ausgesprochen.
Sie warb für ein neues Kurzarbeitergeld als Anschubfinanzierung für eine flächendeckende Vier-Tage-Arbeitswoche. Demnach sollten Unternehmen, die die Arbeitszeit entsprechend verkürzen, einen einjährigen Lohnzuschuss bekommen. Danach brauche es einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung über eine Vier-Tage-Woche oder eine Höchstarbeitszeit von 30 Stunden ohne weitere staatliche Co-Finanzierung.
Für das Modell erntete Kipping viel Kritik - auch vom IW - doch sie verteidigt ihren Vorschlag. "Die Produktivität hat in Deutschland in den letzten Jahrzehnten enorm zugelegt", so Kipping in einem Beitrag, der der Nachrichtenagentur AFP vorlag und über den zunächst die Frankfurter Rundschau berichtet hatte. "Es gibt einfach keine Notwendigkeit mehr, dass sich Beschäftigte bis zur Erschöpfung an der Werkbank abrackern."
Diese Notwendigkeit werde "künstlich erzeugt von denen, die ein Maximum an Profit aus der Arbeitskraft ihrer Beschäftigten ziehen wollen", schrieb Kipping weiter. Das von ihr vorgeschlagene Modell sei ein Anreiz für Betriebe, einen ersten Schritt zu gehen. "Die Vier-Tage-Woche macht Beschäftigte glücklicher, gesünder und produktiver", betonte Kipping. "Gerade jetzt in der Corona-Krise wäre ein guter Zeitpunkt, um damit anzufangen."
Wenn Mitarbeiter weniger Fehler machten, motivierter und seltener krank seien, profitierten auch die Unternehmen von einer solchen Regelung. Zudem könne eine Vier-Tage-Woche für mehr Gleichberechtigung sorgen, weil sich Paare seltener entscheiden müssten, wer für die Kinder kürzertrete, so die Linken-Politikerin.