50 Jahre ASEAN
7. August 2017Die Liste der Konflikte, Katastrophen und Krisen, die Südostasien in den letzten 50 Jahren getroffen hat, ist lang. Vietnamkrieg (1955-75), Schreckensherrschaft der Roten Khmer (1975-78), Asienkrise (1997), Tsunami (2004), Flüchtlingskrise der Rohingya (2015), Territorialstreit im Südchinesischen Meer. Um all diesen Herausforderungen Herr zu werden, unterzeichneten am 8. August 1967 die Außenminister von Thailand, Malaysia, Indonesien, Singapur und den Philippinen eine gemeinsame Erklärung, die sogenannte "Bangkok Deklaration". Sie legte damit den Grundstein für die ASEAN. Geboren wurde ein Staatenbündnis, das damals kaum jemand für möglich gehalten hätte. Die Region Südostasien war damals vom Kalten Krieg zerrissen. Die fünf Gründungsstaaten des Verbandes südostasiatischer Nationen (ASEAN) schlossen sich in erster Linie aus Sorge vor der Ausbreitung des Kommunismus zusammen, der in Vietnam, Laos und Kambodscha politische und militärische Siege feierte.
Doch über die Jahrzehnte und nach Ende des Kalten Kriegs wurden die ideologischen Hürden überwunden. Heute sind zehn Länder Mitglied in der ASEAN. Brunei, Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam kamen hinzu. Allerdings hat sich bis heute die außerordentlich große Heterogenität der Region erhalten. Etwa 625 Millionen Menschen leben in der ASEAN. Die Ost-West-Ausdehnung allein des Archipel-Staats Indonesien entspricht etwa der Entfernung Lissabon Moskau. Drei große Weltreligionen sind in der Region vertreten: Katholizismus, Buddhismus und Islam. Singapur ist nach Angaben des Internationalen Währungsfonds mit einem Pro-Kopf-Einkommen von über 70.000 Euro im Jahr eines der reichsten Länder der Welt. Kambodscha kommt gerade einmal auf 2.800 Euro im Jahr. Politisch gibt es auf den Philippinen und Indonesien fragile Demokratien. Der restliche Teil der Länder wird autoritär regiert. In Brunei herrscht ein absoluter Monarch, in Thailand eine Militärdiktatur und in Laos, Vietnam und Kambodscha kommunistische Einheitsparteien.
Der ASEAN-Weg
Angesichts der kulturellen Vielfalt, der gewaltigen politischen und wirtschaftlichen Unterschiede und eines großen Misstrauens zwischen den einzelnen Ländern, war es von Anfang an eine besondere Herausforderung, einen Rahmen zu finden, der das Staatenbündnis zusammenhalten konnte. Dabei haben sich die Staaten auf die bis heute gültigen Prinzipien der Nichteinmischung und des Konsenses verständigt. Sämtliche Beschlüsse der ASEAN müssen einstimmig fallen. Und, der Staatenbund mischt sich nicht in die nationalen Angelegenheiten seiner Mitglieder ein.
Dieser besondere politische Stil wird von den Staaten, nicht ohne Stolz, wie Adrienne Woltersdorf, die für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Singapur das Büro für regionale Kooperation in Asien leitet, anmerkt, als den "ASEAN-Weg" bezeichnet. Er sei geprägt durch eine informelle und persönliche Herangehensweise, die auf Konfliktvermeidung ziele und häufig nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen werde. Wichtig sei dabei, die anderen Mitglieder nicht zu beschämen oder in die Enge zu treiben.
Erfolgsgeschichte wirtschaftliche Integration
Dabei bleibt aber die Frage, ob die Geschichte der ASEAN ein Erfolg war oder nicht. "Die Perspektiven auf die ASEAN sind sehr unterschiedlich", betont Woltersdorf. Ob man von Berlin oder Brüssel, von Hanoi oder Singapur auf den Staatenbund blickt, mache einen erheblichen Unterschied. "In der Region sieht sich die ASEAN selbst als erfolgreiche Organisation, was vor allem mit der Gründung der Wirtschaftsunion 2015 zusammenhängt." 2015 rief der Staatenbund die "Wirtschaftsgemeinschaft der ASEAN" aus, die auf einen gemeinsamen Markt und den freien Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Arbeit und Kapital zielt. Zwar sind längst nicht alle Maßnahmen umgesetzt, aber in keinem anderen Bereich arbeitet die ASEAN so kooperativ und zielgerichtet zusammen.
Grenzen der Einigkeit
Der Politologe Andreas Ufen vom GIGA-Institut in Hamburg spricht von einem "gedämpften Optimismus". Er sieht neben wirtschaftlichen auch außenpolitische Erfolge. "Die ASEAN hat dazu beigetragen, Südostasien gegenüber den USA, China und Indien insgesamt zu stärken." Ohne ASEAN wären ihre Mitgliedsstaaten den Groß- und Regionalmächten stärker ausgeliefert.
Eine wichtige Rolle dabei spielt, dass die ASEAN eine Reihe von internationalen Konferenzen und Treffen organisiert, wie zum Beispiel das ASEAN Regional Forum, die ASEAN plus Drei (China, Japan, Südkorea) oder ASEAN plus Sechs (zusätzlich noch Australien, Neuseeland und Indien). "Es gibt außer der ASEAN in Asien keine Organisation, die so viele Länder, darunter Japan, China und Südkorea an einen Tisch bringen kann", sagt Woltersdorf. Dieses multilaterale Konferenz- und Beziehungsgeflecht sei eine wichtige Errungenschaft der ASEAN.
Allerdings hat die Einigkeit der ASEAN durchaus ihre Grenzen. Woltersdorf verweist etwa darauf, dass es China bezüglich des Territorialkonflikts im Südchinesischen Meer immer wieder gelingt, die ASEAN auseinander zu dividieren. Das Bekannteste, aber keineswegs das einzige Beispiel lieferte 2012 Kambodscha. Das Land ließ erstmalig in der Geschichte der ASEAN eine Abschlusserklärung platzen, da es sich weigerte, die Erwähnung des Territorialkonflikts im Südchinesischen Meer aufzunehmen.
Menschenrechte
Der Territorialstreit mit China ist nicht das einzige Feld, wo der Staatenbund keine gemeinsame Linie findet. "Mit Ausnahme des Freihandels und der wirtschaftlichen Kooperation findet sich bei der ASEAN vor allem viel wohlklingende Rhetorik", sagt Ufen. Er nennt als Beispiel die Umweltpolitik. Regelmäßig führt die Brandrodung in Indonesien zu gewaltiger Rauchentwicklung mit Gesundheitsbelastungen für Singapur und Malaysia. Es würden diesbezüglich zwar viele Vereinbarungen getroffen, aber es tue sich im Endeffekt wenig. Hier zeige sich, inwiefern der ASEAN-Weg und insbesondere die Nichteinmischung echte Lösungen und Fortschritte behindern.
Dennoch werde der Staatenbund an diesem Prinzip nicht so schnell rütteln, ist Ufen überzeugt. "Viele autoritäre Staaten in der ASEAN sind nicht bereit, ihre staatliche Souveränität einzugrenzen." Woltersdorf stellt dazu grundsätzlich fest: "Wenn es gut läuft, dann gibt es eine Gemeinschaft. Wenn kontroverse Fragen auf dem Tisch liegen, dann gibt es sie unter Umständen nicht."
Besonders fatal sei das, so Woltersdorf für die Menschenrechtspolitik der ASEAN. "Es gibt kein gemeinsames Verständnis für einen Katalog von Grundwerten. Und die Staaten drücken sich, salopp gesagt, vor dem Thema Menschenrechte." Zwar gibt es seit 2012 eine Menschenrechtserklärung der ASEAN, aber es mangelt an Implementierung oder institutionellen Strukturen, um diese einzuklagen. "Keine Menschenrechtsgruppe kann sich innerhalb der ASEAN unabhängig von der eigenen Regierung beschweren."
Herausforderungen für die Zukunft
Der Politologe Ufen glaubt, dass mit Blick auf eine weitere Integration nur noch wenig Spielraum besteht. "Ich glaube erst, wenn der Großteil der Länder in Südostasien demokratisiert ist, ist es möglich, die nächsten Integrationsschritte zu gehen." Eine weitergehende Integration stoße auch deshalb an ihre Grenzen, weil die ASEAN im Wesentlichen ein Eliten-Projekt ist. Woltersdorf sieht das ähnlich: "Wenn man die Menschen fragt, ob es so etwas wie eine ASEAN-Identität gibt, sind die meisten Leute völlig erstaunt. Darüber haben sie nie nachgedacht."
Allerdings wäre eine weitere Integration und Vertiefung der Beziehungen wichtig, um die Bedeutung des Staatenbundes aufrecht zu erhalten. "Es gibt viele Stimmen, die sagen, dass sich die ASEAN sehr anstrengen muss, wenn sie nicht in die Irrelevanz abgleiten will", sagt Woltersdorf.
Erzwungene Fortschritte bei der Integration könnte es vielleicht im Anti-Terrorkampf geben, sagt Ufen. "Die Ausbreitung des Islamischen Staates im Süden Thailands, im Süden der Philippinen, in Malaysia und Indonesien, stellen eine ernsthafte Gefahr dar." Vielleicht bringe das eine vertiefte Kooperation. Wünschenswerter sei freilich, die Demokratisierung unter Einbezug der Zivilgesellschaft und Berücksichtigung der Menschenrechte.