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PolitikAfrika

Nelkenrevolution in Portugal: Afrika gehört zur Staatsräson

Antonio Cascais
24. April 2024

Die Nelkenrevolution war ein Wendepunkt in der Geschichte Portugals und seiner ehemaligen Kolonien. 50 Jahre danach sind vor allem die kulturellen Beziehungen und Begegnungen in den lusophonen Ländern intensiver denn je.

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Jedes Jahr feiert man in Portugal den 25.April, den Tag der Nelkenrevolution, als Tag der Freiheit für Portugal und die Ex-Kolonien
Jedes Jahr feiert man in Portugal den 25. April, den Tag der Nelkenrevolution, als Tag der Freiheit für Portugal und die Ex-KolonienBild: picture-alliance/dpa/M. de Almeida

Sie wurde von einer linken "Bewegung der Streitkräfte" angeführt und von der großen Bevölkerungsmehrheit Portugals unterstützt: Die Nelkenrevolution beendete nicht nur die fast 50 Jahre währende Diktatur der Machthaber Salazar und Caetano - sie ebnete auch den Weg für das Ende der portugiesischen Kolonialkriege und die Unabhängigkeit von Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, Kap Verde und São Tomé und Príncipe. Die fünf lusophonen Länder Afrikas blicken in diesem Jahr mit besonderem Interesse auf Lissabon, wo am 25. April 2024 der 50. Jahrestag der Nelkenrevolution gemeinsam begangen werden soll.

Angola: Nelkenrevolution ermöglichte Verhandlungen

"In Angola erweckt die Nelkenrevolution positive Gefühle", sagt der Analyst Nkikinamo Tussamba, der selbst 13 Jahre später in der nordangolanischen Provinz Zaire geboren wurde. Für ihn ist klar: "Die portugiesische Revolution hat den Unabhängigkeitsprozess unseres Landes maßgeblich beeinflusst. Dank ihr konnte die Unabhängigkeit unseres Landes bereits anderthalb Jahre später - am 11. November 1975 - proklamiert werden."

Januar 1975: Portugiesische Regierung unterschreibt mit Vertretern von drei angolanischen Befreiungsbewegungen das Abkommen von Alvor, das der MPLA, der UNITA und der FNLA die Macht in Angola überträgt
Mit dem Abkommen von Alvor vereinbarte Portugal im Januar 1975, die Macht an die Befreiungsbewegungen in Angola zu übertragenBild: casacomum.org/Arquivo Mário Soares

Tatsächlich wurden im Zuge des Regimewechsels in Lissabon direkte Verhandlungen zwischen der portugiesischen Regierung und den Unabhängigkeitsbewegungen in Angola aufgenommen. Im Januar 1975 unterschrieb die Regierung Portugals im südportugiesischen Algarvestädtchen Alvor Unabhängigkeitsabkommen mit den drei Befreiungsorganisationen Angolas MPLA, UNITA und FNLA.

Mosambik: Abkommen mit Portugal kurz nach der Nelkenrevolution

Auch für Mosambik war der 25. April ein Meilenstein, bestätigt der Journalist Fernando Lima: "Die Nelkenrevolution war ausschlaggebend dafür, dass die Befreiungsfront FRELIMO im September 1974 in Lusaka ein Unabhängigkeitsabkommen mit Portugal unterschreiben konnte." Als in Mosambik geborener Sohn portugiesischer Siedler entschied sich Lima nach der Unabhängigkeit für die mosambikanische Staatsangehörigkeit, also dafür, "als Afrikaner in Afrika" zu bleiben.

Juni 1974: Portugals damaliger Außenminister Mário Soares (links) trifft den Präsidenten Mosambiks und der FRELIMO Samora Machel in der sambischen Hauptstadt Lusaka
Juni 1974: Portugals damaliger Außenminister Mário Soares (links) trifft den Präsidenten Mosambiks und der FRELIMO Samora Machel in der sambischen Hauptstadt LusakaBild: casacomum.org/Arquivo Mário Soares

Anders Fernando Cardoso, Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Autonomen Universität Lissabon: Er wuchs zu Kolonialzeiten ebenfalls in Mosambik auf, siedelte aber kurz nach der Unabhängigkeit mit seinen Eltern nach Lissabon über. Als Erwachsener reiste er dann als Dozent und Leiter von mehreren Forschungsprojekten nach Mosambik, Angola und Kap Verde.

Wachsender Druck auf die Kolonialmacht Portugal

Die Nelkenrevolution habe die Dekolonisierung "ohne Zweifel" beschleunigt, sagt Cardoso. Aber: "Die Unabhängigkeit der portugiesischen Kolonien wäre auch ohne die Nelkenrevolution in Portugal früher oder später eingetreten." Das portugiesische Kolonialimperium sei in den 1970-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts international als "großer Anachronismus" angesehen worden.

Die internationale Gemeinschaft habe damals enormen diplomatischen Druck auf Portugal, die "erste und letzte Kolonialmacht in Afrika", ausgeübt: Praktisch die gesamten Vereinten Nationen (UN) hätten Portugal in mehreren Resolutionen aufgefordert, seine Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen, so der Politikwissenschaftler.

Auch der militärische Druck auf Portugal wurde erhöht: Angolas Befreiungsorganisationen MPLA, UNITA und FNLA bekamen immer größere Waffenlieferungen und militärische Ausbildung aus der Sowjetunion und anderen Ländern des Ostblocks, aber auch aus China. Vor allem im ländlichen Raum konnten sie so Druck auf die Kolonialmacht ausüben.

In Mosambik rückten die Kämpfer der Befreiungsbewegung FRELIMO immer weiter vom Norden in Richtung Mitte des Landes vor. Es galt nur als eine Frage der Zeit, bis die portugiesische Kolonialarmee die Kontrolle über weite Gebiete des Landes verlieren würde.

Allein was mit São Tomé und Príncipe und den Kapverdischen Inseln ohne die Nelkenrevolution geschehen wäre, ist nach Meinung von Cardoso nicht ganz klar: "In beiden Archipelen gab es keine bewaffneten Befreiungsbewegungen, wohl aber laute Stimmen, die eine umfassende Autonomie oder gar die vollständige Unabhängigkeit der Inseln forderten."

Guinea-Bissau: tonangebend für Portugal und die Kolonien

In Guinea-Bissau war der Unabhängigkeitsprozess am weitesten vorangeschritten: In dem westafrikanischen Land hatte die Unabhängigkeitsbewegung unter Amílcar Cabral bereits am 25. September 1973 - also genau sieben Monate vor der Nelkenrevolution - einseitig die Unabhängigkeit von Portugal erklärt. Als die portugiesische Diktatur und damit das Kolonialregime zusammenbrachen, hatten bereits 34 UN-Mitgliedsstaaten Guinea-Bissau als unabhängigen Staat anerkannt. Militärisch hatte die portugiesische Armee längst die Kontrolle über weite Teile des Landes verloren.

Guinea-Bissau, 1972: Die Befreiungsorganisation PAIGC, unter der Führung von Amílcar Cabral (auf dem Foto im Vordergrund), übernimmt nach und nach die militärische Kontrolle über weite Teile des Landes
Guinea-Bissau, 1972: Die Befreiungsorganisation PAIGC, unter der Führung von Amílcar Cabral (im Vordergrund), übernimmt nach und nach die militärische Kontrolle über weite Teile des LandesBild: casacomum.org/Documentos Amílcar Cabral

"Wir Guineer wollen nicht unbescheiden sein, aber ich wage dennoch zu behaupten, dass wir einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Nelkenrevolution geleistet haben", sagt die Juristin und ehemalige Justizministerin Guinea-Bissaus, Carmelita Pires, im DW-Gespräch. "Durch unseren erfolgreichen Befreiungskrieg haben wir die Forderungen der portugiesischen Bevölkerung nach einem Ende der Kolonialzeit und des Krieges und nach Freiheit indirekt unterstützt." Und sie fügt hinzu: "Gleichzeitig haben wir dazu beigetragen, dass die anderen, von den Portugiesen kolonisierten Länder unserem Beispiel folgten. Wir waren damals echte Vorbilder für unsere Brüderländer, die ebenfalls gegen den Kolonialismus kämpften."

Beziehungen in der Lusophonie: "Nie besser als jetzt"

In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit galten die Beziehungen zwischen den befreiten Staaten und der ehemaligen Kolonialmacht als schwierig. Ideologisch ging man getrennte Wege: Während sich Portugal der Europäischen Union zuwandte, begaben sich die fünf afrikanischen Staaten auf den Weg zum Sozialismus und errichteten mit Hilfe des Ostblocks marxistische Einparteiensysteme.

Der Präsident von São Tomé und Príncipe, Carlos Vila Nova, wird im März 2023 vom Präsidenten von Kap Verde, José Maria Neves, in Praia empfangen
Die Inselstaaten Kap Verde und São Tomé und Príncipe erlangen 1975 die Unabhängigkeit von Portugal. Foto: Der Präsident von São Tomé und Príncipe, Carlos Vila Nova, im März 2023 mit dem Präsidenten von Kap Verde, José Maria NevesBild: Semedo, Àngelo

In den Anfangszeiten bezichtigten diese neuen Regime Lissabon immer wieder, Vertreter von Rebellenorganisationen, vor allem der mosambikanischen RENAMO und der angolanischen UNITA, die die marxistischen Regime in ihren Ländern bekämpften, bei sich aufzunehmen und diplomatisch zu unterstützen.

Die Missstimmung zwischen Portugal und den Ex-Kolonien habe aber nicht lange angehalten, betont die guineische Juristin Carmelita Pires: "Nach einer gewissen Übergangszeit haben wir Guineer uns erneut Portugal angenähert. Für uns war immer klar, dass unser Befreiungskampf gegen das portugiesische Kolonialsystem gerichtet war - und keinesfalls gegen das portugiesische Volk." 

Familiäre und kulturelle Bande

Es seien vor allem familiäre Bande, die Menschen aus Guinea-Bissau und aus Portugal verbänden, so Carmelita Pires. Man dürfe nicht vergessen, dass Portugiesen und Bissau-Guineer über Jahrhunderte interagiert und untereinander geheiratet hätten. Sie selbst sei Nachfahrin eines einfachen portugiesischen Siedlers, der eine Frau aus der Fulani-Ethnie geheiratet und mit ihr eine Familie gegründet habe. "Viele Guineer tragen heute noch portugiesische Namen. Das unterscheidet uns von Völkern aus anderen - etwa anglophonen oder frankophonen - Kolonialsystemen."

Carmelita Pires, Ex-Justizministerin Guinea-Bissaus: "Die kulturellen familiären Bande zwischen Portugal und Guinea-Bissau sind nach wie vor stark"
Carmelita Pires, Ex-Justizministerin Guinea-Bissaus: "Die kulturellen familiären Bande zwischen Portugal und Guinea-Bissau sind nach wie vor stark"Bild: DW/F. Tchumá

Ähnlich sieht es der mosambikanische Schriftsteller Adelino Timóteo, dessen letzter Roman mit dem Titel "Das Jahr des Abschieds von Übersee" zur Zeit der Nelkenrevolution spielt: "Die Portugiesen haben im Vergleich zu anderen Kolonialmächten länger und intensiver mit den Völkern in den Kolonien zusammengelebt und sich ausgetauscht", sagt er der DW.

"Bei uns in Mosambik gab es schon immer enge Kontakte zwischen afrikanischen, europäischen und arabischen Kulturen, später kamen auch Inder und Chinesen aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Asien dazu. Sie alle wurden bei uns integriert. Von diesem Erbe der portugiesischen Kolonialzeit sind wir immer noch beeinflusst und sind deshalb heute besser in der Lage, trotz aller Wunden der Vergangenheit, gute Beziehungen zu Portugal und den Portugiesen zu pflegen."

Gründung der Gemeinschaft portugiesischsprachiger Länder

"Nach der Nelkenrevolution stellten die Leute in Portugal bange Fragen: Was wird aus den Beziehungen Portugals zu Afrika?", erinnert sich André Thomashausen, Professor für Internationales Recht und Verfassungsrecht an der University of South Africa: "Ich war damals in Portugal und vertrat die dezidierte Meinung, dass das Land eine wichtige und besondere Rolle in Afrika spielen sollte, und dass Portugal das Potential habe, als Tor Afrikas nach Europa zu fungieren."

CPLP-Gipfeltreffen im August 2023 in São Tomé und Príncipe
CPLP-Gipfeltreffen im August 2023: Die Gemeinschaft der Portugiesisch-sprachigen Länder, CPLP, wurde 1996 in Lissabon gegründetBild: Ricardo Stuckert/PR

Und das sei auch gelungen, so Thomashausen. Alle ehemaligen Kolonien hätten Portugiesisch als Amtssprache übernommen und für viele junge Menschen, aber auch Geschäftsleute aus den ehemaligen Kolonien, sei Portugal heute tatsächlich das wichtigste Eingangstor nach Europa, betont der Verfassungsrechtler mit deutschen Wurzeln. Portugal habe es verstanden, sehr schnell eine enge Kooperation mit den lusophonen Ländern aufzubauen. Die Lusophonie gehöre für Portugal zur "Staatsräson".

1996 habe man deshalb die CPLP gegründet: die Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder, die alle neun Staaten der Welt umfasst, in denen Portugiesisch Amtssprache ist. Thomashausen: "Die CPLP ist heute wichtiger und funktioniert besser als die Frankophonie der Franzosen. Die portugiesische Diplomatie hat Hervorragendes geleistet."

Wirtschaftliche oder zwischenmenschliche Beziehungen?

Die Beziehungen zu allen ehemaligen Kolonien seien auf allen Ebenen gut. Auf Regierungsebene, im kulturellen und im Ausbildungsbereich. Und auch wirtschaftlich seien die lusophonen Länder Afrikas sehr eng mit Portugal verquickt, fügt Thomashausen hinzu.

Fernando Cardoso von der Autonomen Universität Lissabon bestätigt, dass sich Portugals wirtschaftliche Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien gut entwickelt hätten: "Von viel größerer Bedeutung als der Handelsaustausch ist für die Portugiesen aber die historische und emotionale Dimension: In Portugal ist man davon überzeugt, dass eine privilegierte kulturelle und politische Partnerschaft mit den portugiesischsprachigen Ländern unabdingbar ist. Das war auch die Hauptmotivation für der Gründung der CPLP."

Eine Befestigungsanlage auf der Ilha de Moçambique
Ilha de Moçambique: Die Insel in der Provinz Nampula im Norden Mosambiks ist die ehemalige Hauptstadt des Landes und gab Mosambik auch seinen NamenBild: DW/J.Beck

Portugal habe viel unternommen, um die negativen Seiten der gemeinsamen Geschichte zu verarbeiten und gleichzeitig die positiven Seiten der historischen Verbindungen hervorzuheben, so Cardoso: "Die positiven Aspekte beruhen vor allem auf der gemeinsamen Sprache. Wenn sich São-Tomeser, Kapverder, Angolaner oder Portugiesen im Ausland treffen, dann unterhalten sie sich selbstverständlich auf Portugiesisch und verbrüdern sich."

Das heiße nicht, dass die jeweiligen Regierungen immer im Einklang seien. Ein Beispiel für konträre Positionen in internationalen Fragen sei die Positionierung bezüglich des Krieges zwischen Russland und der Ukraine. "Die Trennlinien in der Ukrainefrage verlaufen quer durch die portugiesischsprachigen Länder. Einige der Länder Afrikas haben sich bei den Abstimmungen in der UNO über die Verurteilung des russischen Angriffskrieges der Stimme enthalten, im Gegensatz zu Portugal", so Cardoso.

Bei allen Auseinandersetzungen, die immer wieder auf Regierungsebene in Erscheinung treten: Die Begegnungen zwischen den Menschen in den verschiedenen lusophonen Ländern nehmen stetig zu. "Die Leute treten gemeinsam auf, nehmen gemeinsam Schallplatten auf, sie organisieren gemeinsame Feste und Konzerte oder Sportveranstaltungen, oder sie geben gemeinsam Bücher über transnationale Themen heraus", fasst Fernando Cardoso zusammen. "Vor 50 Jahren, in den Wirren der Nelkenrevolution, hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass sich die Begegnungen - sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht - so gut entwickeln."

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