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75 Jahre Frankfurter Buchmesse: Weltbühne für Proteste

Elizabeth Grenier
26. September 2024

Der Kalte Krieg, Neonazis und eine Fatwa: Oft in ihrer Geschichte waren die Themen der Frankfurter Buchmesse höchst politisch. Obwohl der Fokus eigentlich auf Literatur liegt, kommt die Messe an Politik nicht vorbei.

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Historische Bilder Frankfurter Buchmesse
Bild: picture-alliance / dpa

Die Buchmesse gibt es schon lange. Bereits im 15. Jahrhundert wurde eine Buchmesse in Frankfurt urkundlich erwähnt. In ihrer heutigen Form jedoch fand die Frankfurter Buchmesse erstmals 1949 statt.

Viele sind sich einig: In den 75 Jahren ihres Bestehens ist es eine der größten Leistungen der Messe, immer wieder durch "Buchdiplomatie" Brücken zu bauen. Doch diese Bemühungen haben zuweilen auch Konflikte heraufbeschwört.

Die Illusion einer "geeinten Welt"

Während des Kalten Krieges haben die damaligen Ostblockländer Sowjetunion, Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei und Jugoslawien erstmals 1955 an der Frankfurter Buchmesse teilgenommen. Im gleichen Jahr war auch zum ersten Mal die DDR dabei.

Zwei Jahre später schrieb die Frankfurter Rundschau, die Buchmesse sei die einzige wirtschaftliche Veranstaltung auf der Erde, die die Illusion einer geeinten Welt aufleben lasse: "Friedlich stehen sich die beiden konträren Hälften an der Bücherfront gegenüber, der Westen und der Osten, während beide um die Wette im Hinterland interkontinentale Raketen verfeuern. An der Frankfurter Bücherfront gibt es kein Niemandsland zwischen den Gegnern, man ist aus den Gräben gestiegen, schüttelt sich ohne den Aufwand eines Diplomatenlächelns die Hände."

Frankfurter Buchmesse 1955, Blick auf einige Stände in einer Halle.
Frankfurter Buchmesse 1955Bild: dpa/picture-alliance

Dennoch: Der Eiserne Vorhang überschattete die Messe nahezu vier Jahrzehnte lang - bis die Berliner Mauer fiel. Kurz vor dem geschichtsträchtigen 9. November 1989 erhielt der tschechische Dissident Václav Havel den Friedenspreis des Deutsches Buchhandels, der alljährlich auf der Frankfurter Buchmesse verliehen wird. Havel jedoch bekam kein Ausreisevisum und konnte den Preis nicht entgegennehmen. Kurze Zeit später nahm das Ganze seine dramatische Wendung - der Ostblock zerfiel und Havel wurde noch im selben Jahr tschechischer Präsident.

Ärger mit Rechtradikalismus

Auch innerhalb der deutschen Verlagsszene gab es von Anfang an Reibereien. Denn die Buchmesse hat es sich auf die Fahne geschrieben, allen Verlagen eine Bühne zu geben - auch den neonazistischen. In den ersten Jahren der Messe forderten bekannte Persönlichkeiten aus der Buchbranche, diese Verlage auszuschließen. Die Veranstalter entschieden jedoch, dass selbst rechtsradikale Verlage nicht ausgeschlossen würden, solange sie mit ihren Inhalten nicht gegen deutsches Recht verstoßen. 1955 griffen einige Verleger zur Selbsthilfe und warfen einen neonazistischen Verleger aus der Messehalle, allerdings relativ diskret, "zur Mittagszeit, als es ruhiger zuging", wie es in der Chronik der Frankfurter Buchmesse zu lesen ist.

Protest bei Höcke-Lesung, Menschen halten Plakate hoch, mit den Aufachriften "Ihr könnt nicht schreiben, ihr könnt nur hetzen", "Sill loving books, still not loving hate", "Ein Leser hat's gut, er kann sich seine Autoren aussuchen", "Ihr seid Nazis".
Tumulte bei einer Lesung des AfD-Politikers Björn HöckeBild: Frank Rumpenhorst/picture alliance

Andere Proteste verliefen nicht so ruhig. Die Polizei musste 2017 eingreifen, als Demonstranten eine Lesung von Björn Höcke, dem Vorsitzenden der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Thüringen, störten. Der Politiker, der nach einem Gerichtsurteil offiziell als "Faschist" bezeichnet werden darf, kehrte ein Jahr später zu einer erneuten Lesung nach Frankfurt zurück. Unter Polizeischutz.

Bis heute werden Auftritte rechtsextremer Verlage und Autoren mit Leidenschaft kontrovers diskutiert, die Buchmesse bleibt jedoch bei ihrem Credo: Keine Zensur, Meinungsfreiheit steht an erster Stelle.

Plattform für internationale Angelegenheiten

Bereits 1966 wurde die Frankfurter Buchmesse zum Schauplatz internationaler Proteste, als kroatische Exilanten gegen jugoslawische Aussteller demonstrierten. Ein Jahr später sahen sich griechische Verleger mit Studierenden und Buchhändlern konfrontiert, die gegen die Militärdiktatur in Griechenland protestierten, die im April 1967 an die Macht gekommen war.

Das Jahr 1968 war geprägt von den Massenprotesten der Studierenden in Westdeutschland und weltweit. Dies ging nicht spurlos an der Buchmesse vorbei, die in jenem Jahr als "Polizeimesse" in ihre Geschichte einging. Der Auslöser: Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wurde an den ersten Präsidenten Senegals, Léopold Sédar Senghor, verliehen, der als Dichter und Kulturtheoretiker bekannt war. Aber auch als zunehmend autoritärer Herrscher, der Demonstrationen senegalesischer Studenten gewaltsam niederschlagen ließ. Das trieb während der Buchmesse 1968 hunderte Protestierende vor die Frankfurter Paulskirche, wo der Friedenspreis traditionell übergeben wird.

Demonstranten und Polizei auf einer mit Wasserwerfern bespritzten Straße.
Polizei setzt bei der Demonstration gegen den Friedenspreisträger Senghor Wasserwerfer einBild: picture alliance / dpa

1971 konzentrierten sich die Proteste während der Buchmesse auf den Iran, wo der Versuch, den Schah zu stürzen, mit beispielloser Gewalt beantwortet wurde.

1989: Iran wird nach Mordaufrufen gegen Salman Rushdie ausgeladen

Auch der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie kritisierte den Schah von Persien und unterstützte zunächst auch die Islamische Revolution von 1979.

Zehn Jahre später wurde der Autor jedoch zur prominentesten Zielscheibe des obersten geistlichen Führers des Iran, Ruhollah Khomeini. Sein Buch "Die Satanischen Verse" mit den vielen Anspielungen auf den Propheten Mohammed galt fundamentalistischen Muslimen als Gotteslästerung. Khomeini erließ eine Fatwa, in der er die Ermordung Rushdies forderte.

Der Mordaufruf veranlasste die Organisatoren der Buchmesse, den Iran jahrelang von der Teilnahme auszuschließen - wie auch 1998, als Rushdie unter strengen Sicherheitsvorkehrungen überraschend bei der Eröffnungsfeier auftrat. Ein Jahr später wurde der Iran wieder eingeladen - das Verhältnis aber blieb kompliziert. So hat der Iran die Frankfurter Buchmesse mehrfach boykottiert, unter anderem 2015, als Rushdie eingeladen war, die Eröffnungsrede zu halten.

Salman Rushdie spricht in zwei kleine Mikrofone.
2023: Salman Rushdie erhält den Friedenspreis des Deutschen BuchhandelsBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Im Jahr 2023 erhielt Rushdie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, nachdem er im Jahr zuvor eine Messerattacke überlebt hatte.

Umstrittene Ehrengast-Länder

1986 legte die Buchmesse ihren Schwerpunkt auf indische Literatur. Mit Erfolg. Zwei Jahre später wurde das Programm des "Ehrengast-Landes" offiziell eingeführt, zunächst mit Italien, das auch in diesem Jahr wieder im Rampenlicht steht.

Im Jahr 2008 wurde die Türkei als Ehrengast eingeladen, um unter dem Motto "Faszinierend bunt" die Vielfalt der türkischen Literatur zu präsentieren.

Autoren wie Asli Erdogan, Elif Shafak und Sebnem Isiguzel präsentierten sich als neue starke Stimmen des Landes. Der Bestsellerautor und Literaturnobelpreisträger von 2006, Orhan Pamuk, kritisierte jedoch in seiner Eröffnungsrede die mangelnde Meinungsfreiheit in seinem Heimatland. Pamuk hatte sich zuvor zum Völkermord an den Armeniern und zu den Massakern an den Kurden geäußert und damit die Grenzen der Meinungsfreiheit in der Türkei ausgelotet. Er wurde mehrfach verklagt und aufgebrachte Mobs verbrannten seine Bücher.

Menschen laufen an weißen Wänden mit chinesischen Schriftzeichen vorbei.
Der chinesische Pavillon auf der 2009er BuchmesseBild: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

Chinas Teilnahme als Ehrengast der Messe im Jahr 2009 löste eine noch größere Kontroverse aus.

Einige Wochen vor der Veranstaltung wurden regimekritische chinesische Autoren, die an einem China-Symposium im Vorfeld der Buchmesse teilnehmen sollten, auf Druck Chinas ausgeladen. Die Autoren kamen trotzdem - worauf viele chinesische Delegierte während der Veranstaltung erbost den Saal verließen.

Als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel später gemeinsam mit ihrem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping die Messe eröffnete, ging sie in ihrer Rede auf den Streit ein. Sie betonte, dass sich China bei seiner Zusage für Frankfurt bewusst gewesen sein müsse, dass dort "auch kritische Stimmen zu Wort kommen werden und sollen".

In derselben Eröffnungsrede verwies sie auf die Zensur, die sie in ihrer Jugend im kommunistischen Ostdeutschland erlebt hatte, und betonte die demokratische Kraft von Büchern: "Das ist (...) einer der wesentlichen Gründe, warum in Diktaturen Bücher zensiert oder gar verbrannt werden. Bücher besitzen ein großartiges freiheitliches Potenzial."


Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch

Die Frankfurter Buchmesse 2024 findet vom 16. bis zum 20. Oktober statt.