A Soul for Europe: Europas kulturelle Seele lebendig halten
14. November 2024Doris Pack, ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung im Europäischen Parlament, erlebte kurz nach der EU-Osterweiterung 2004, wie schnell Europa seine eigentliche Vision aus den Augen verlieren kann. Im Jahr 2005 sollte anlässlich des 60. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs eine Resolution im EU-Parlament verabschiedet werden - doch Polen wurde darin nicht erwähnt. "Ein polnischer Kollege fragte, warum Polen in der Resolution nicht erwähnt wurde. Das hat mich tief berührt, weil ich gemerkt habe, wie leicht es ist, Länder auszublenden, die so viel durchgemacht haben", erinnert sich Pack im Gespräch mit der DW. "Seitdem bemühe ich mich immer, auf Augenhöhe zu sprechen und nicht von oben herab."
Mit dieser Überzeugung engagiert sich die heute 79-jährige Pack seit Jahren in der Initiative "A Soul for Europe". Diese Plattform, gegründet 2004, bringt regelmäßig Kulturschaffende und politische Akteure zusammen, um darüber zu diskutieren, wie Kunst und Kultur Europa verbinden können. Auch bei der 20-jährigen Jubiläumsfeier (7./8.11.2024) im lichtdurchfluteten Allianz Forum am Pariser Platz in Berlin tauschten Künstler, Theaterdirektoren, Politiker, Medienschaffende, Bürgermeister und Aktivisten ihre Ideen aus - mal harmonisch, mal kontrovers und emotional. "Uns geht es nicht darum, dass Europa die Kultur unterstützt, sondern dass die Kultur Europas Einheit unterstützt", sagt Volker Hassemer, Mitbegründer der Initiative und ehemaliger Berliner Senator für Stadtentwicklung, der DW.
Mehr "Soul" in die politischen Entscheidungen
Wie oft "Soul" in Europa im Hintergrund bleibt, zeigt sich auch in der Erweiterungspolitik. Seit dem EU-Gipfel 2002 in Thessaloniki hoffen die sechs Westbalkanländer auf einen baldigen EU-Beitritt. Doch der Prozess ist von bürokratischen Hürden und nachbarschaftlichen Blockaden geprägt. "Dies könnte anders verlaufen, wenn mehr Seele in die Entscheidungen einfließen würde", sagt Lirak Celaj, Schauspieler und Regisseur aus Kosovo, der DW. "Das mag sehr idealistisch klingen, aber wenn unsere politische Führung von diesen Diskussionen beeinflusst würde, hätten die Entscheidungsträger einen leichteren Weg vor sich."
Celaj, früher stellvertretender Minister in Kosovo, ist seit 20 Jahren Teil dieser Bewegung und spricht über die oft reduzierte Wahrnehmung Europas in seiner Heimat. "In Kosovo wissen wir oft nicht genau, was Europa eigentlich darstellt. Für uns ist es ein Synonym für Freiheit, doch die anderen Dimensionen Europas sind oft wenig bekannt." In seiner künstlerischen Arbeit bemüht er sich, diese Werte zu vermitteln: "Ich möchte zeigen, dass Europa in erster Linie für Vielfalt und Toleranz steht. Herausforderungen können durch Dialog und gegenseitiges Verständnis überwunden werden." Genau das verkörpere Soul for Europe.
Mehr mutige Künstler
Doch A Soul for Europe spürt gerade starken Gegenwind - nicht nur auf dem Balkan: Rechte Parteien werden immer beliebter, verstärkt durch den fast triumphalen Erfolg von Donald Trump in den USA. Haris Pasovic, Theaterregisseur aus der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, sagt der DW, dass viele Künstler heute "zu bequem oder opportunistisch" seien. "Es braucht Mut, um für die Freiheit einzustehen", betont Pasovic und fordert, dass Künstler und Kulturschaffende sich für demokratische und europäische Werte einsetzen.
"Kultur könnte eine zentrale Rolle dabei spielen, Europa näher zusammenzubringen und demokratische Werte zu stärken", sagt Maria Gabriel, ehemalige bulgarische EU-Kommissarin für Kultur, der DW. "Es ist beeindruckend zu sehen, wie vielfältig die kulturelle Landschaft Europas ist, aber gleichzeitig erkennen wir das Potenzial gemeinsamer europäischer Projekte, wenn wir uns zusammen mobilisieren", so Gabriel. Und sie ergänzt: "Das Potenzial ist groß; der kulturelle und kreative Sektor schafft rund zwölf Millionen Arbeitsplätze und macht 4,2 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts aus." Dies zeigt, dass Kultur ein unverzichtbares Element für eine zukunftsfähige EU ist, die auf wirtschaftlichen und kulturellen Werten aufbaut.