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Abrüstung im Wortgefecht

Christoph Hasselbach / (reh)8. Januar 2003

Venezuelas Präsident Chávez droht mit der Verhängung des Ausnahmezustands. "Dabei ist der schon längst eingetreten", meint Venezuela-Experte Michael Lingenthal.

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Tränengas und harte WorteBild: AP

Mehr als fünf Wochen dauert der Generalstreik schon. Die Ölindustrie liegt am Boden, bei der Versorgung hapert es. Und die Nerven liegen blank. Inzwischen sind sogar Tote zu beklagen, nachdem Demonstranten der Opposition von Chávez-Anhängern mit Feuerwaffen und Steinschleudern beschossen wurden. In Venezuela ist eine Situation entstanden, die ausweglos erscheint.

De facto lebt das Land schon jetzt im Ausnahmezustand. Das beweist die Gewalt, die bei Demonstrationen immer wieder ausbricht. "Angriffe auf Oppositionsmärsche wurden von der "Policia Metropolitana" mit Tränengas, Gummigeschossen und Waffeneinsatz zurückgedrängt", berichtet Michael Lingenthal, Venezuela-Beauftragter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Policia Metropolitana ist die Polizei der Hauptstadt Caracas. Präsident Chávez wiederum setzt das Militär gegen seine abtrünnige Polizeitruppe ein. "In dem Maß, wie der Streik in der Ölindustrie Erfolg hat, wird Chávez weiter auf die Armee setzen", prognostiziert Lingenthal. Allerdings vermutet er: "Chávez schreckt bisher wohl aus Gründen seines Ansehens im Ausland davor zurück, den Ausnahmezustand auszurufen."

Eigentlich geht es ums Öl-Geld

Die Opposition fordert den Rücktritt von Präsident Chávez oder zumindest Neuwahlen. Dabei gehe es nur vordergründig um den umstrittenen Präsidenten, meint der Berliner Politikwissenschaftler Dario Azzellini. "Das Grundproblem ist, dass wir es in Venezuela einerseits mit einem Staat zu tun haben, der aufgrund des Erdöls relativ vermögend ist", sagt er. "Gleichzeitig aber wurde dieses Land über Jahrzehnte hinweg von einer herrschenden Schicht ausgenommen, die den staatlichen Erdölbetrieb kontrolliert."

Dass er gegen die Korruption antrat, hat letztlich zum Wahlerfolg für Chávez geführt. Die Proteste gegen ihn werden daher vor allem von Angehörigen der früher begünstigten Mittel- und Oberschicht getragen. Sie sind allerdings zahlenmäßig deutlich in der Minderheit, erklärt Dario Azzellini: "Vor allen Dingen in den ärmsten Bevölkerungsschichten - die in Venezuela 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen - ist der Rückhalt für Chávez sehr, sehr groß." Immerhin habe der Präsident ein kostenloses Gesundheitssystem und kostenlose Schulen eingeführt.

"Terroristen" gegen "Tyrann"

Unterdessen versuchen die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die USA, die Konflikt-Parteien zu besänftigen. Gerade vor dem Hintergrund eines drohenden Irak-Krieges sorgt die Venezuela-Krise für zusätzlich steigende Ölpreise und stellt einen weiteren Unruheherd vor der Haustür der USA dar.

Michael Lingenthal von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Caracas sieht aber im Moment wenig Hoffnung für eine friedliche Lösung. Er findet, dass die Konfliktparteien nicht nur waffentechnisch abrüsten müssten, sondern auch verbal. "‘Putschisten, Terroristen, Saboteure, Verräter am Vaterland‘ ist der tägliche Sprachgebrauch des Präsidenten und seiner Anhänger", sagt Lingenthal. Das staatliche Fernsehen "Canal 8" habe die Hauptstadt-Polizei, die Chávez-Gegner schützte, als "Fascistas en Acción" bezeichnet – Faschisten in Aktion. Laut Lingenthal "tragen auch die Sprecher der Opposition zu dem Sprachkrieg bei". Chávez-Anhänger würden als "Lumpenproletariat" beschimpft, der Präsident selber als "Tyrann" sogar mit Hitler verglichen.