Abschiebeflug erreicht Kabul
6. Dezember 2017Zum insgesamt achten Mal ist ein Abschiebeflug von Deutschland nach Afghanistan gestartet. Die Maschine hob nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Abend mit 27 Afghanen an Bord vom Frankfurter Flughafen ab, darunter zwei sogenannte Gefährder. Der Großteil der Gruppe kommt demnach aus Bayern, einer aus Hessen. Die Maschine sollte über Tiflis in die afghanische Hauptstadt Kabul fliegen.
Wunschziel Deutschland
Deutschland ist das Land in der EU mit dem größten Zustrom von Asylsuchenden. Im Jahr 2016 wurden hier mit knapp einer drei Viertel Million knapp 60 Prozent aller Asylanträge in Europa gestellt. Insbesondere die vorübergehende unkontrollierte Grenzöffnung vom August 2015 hat zu einem Anstieg der illegalen Einwanderung und zur Zunahme der Asylbewerberzahlen 2016 geführt. Eine Situation, die maßgeblich zum Aufstieg der rechtsradikalen AfD und zum Abrutschen von CDU und CSU bei den Bundestagswahlen beigetragen hat. Denn in weiten Teilen der Bevölkerung ist das Gefühl verbreitet, dass die Bundesregierung die Asyl- und Einwanderungspolitik nicht im Griff hat.
Deutschland als Musterknabe bei Einwanderungskontrolle?
Einen anderen Eindruck könnte man bekommen, wenn man sich Zahlen von Eurostat zum Verhältnis von Ausländern aus Nicht-EU-Staaten, die zur Ausreise aufgefordert wurden, mit den tatsächlich Ausgereisten vor Augen führt: Demnach entsprach die Zahl derjenigen, die Deutschland verlassen haben, zumindest 2015 und 2016 fast genau der Zahl, die zur Ausreise aufgefordert wurden.
Womit Deutschland in punkto Einwanderungskontrolle im europäischen Vergleich fast wie ein Musterknabe aussieht, und was den Schluss nahelegt, dass die vielgescholtenen Einwanderungsbehörden jedenfalls besser funktionieren als bei den europäischen Nachbarn.
Allerdings: Die Zahlen von Eurostat beziehen sich nur auf das Ende eines möglicherweise langwierigen Vorgangs: Bei weitem nicht jeder abgelehnte und damit "eigentlich" ausreisepflichtige Asylbewerber muss ausreisen. Es gibt in Deutschland eine Vielzahl von Rechtsmitteln, um eine Abschiebung nach einem abgelehnten Asylantrag zu vermeiden. Wie viele Abschiebungen auf diese Weise letztlich verhindert werden, ist unklar.
"Erfolgreiche Einwanderung trotz Ausreisepflicht"
Die entscheidende Rolle spielen die Ausländerbehörden der Bundesländer, die eine sogenannte "Duldung " aussprechen können, also eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Diese Duldung kann aus verschiedenen Gründen erfolgen, beispielsweise bei Reiseunfähigkeit wegen Krankheit oder wegen fehlender Papiere. Besonders oft wird diese Duldung im Falle von Afghanen ausgesprochen.
Drei von vier ausreisepflichtigen Afghanen in Deutschland haben laut der Tageszeitung die "Welt", die sich auf Zahlen des BAMF bezieht, den Status der Duldung. 2016 wurden knapp 70.000 Entscheidungen über Asylanträge von Afghanen entschieden, davon rund 30.000 negativ, also "eigentlich" verbunden mit der Pflicht zur Ausreise. Wie viele Ausreisen davon tatsächlich stattfinden werden, steht aus den beschriebenen Gründen in den Sternen. Insgesamt lebten Ende 2016 253.000 Afghanen in Deutschland, fünf Mal mehr als Ende 2010.
Der prekäre Status der Duldung bedeutet oftmals, dass die Chancen für eine Integration einzelner in die Mühlen der Bürokratie gerät. Sie kann aber auch bedeuten, dass "aus der unerlaubten Einreise trotz Ablehnung des Asylantrags eine erfolgreiche Einwanderung wird", wie die "Welt" schreibt.
Freiwillige Ausreise vs. Abschiebung
Kein Wunder, dass der Andrang von Asylbewerbern aus Ländern wie Afghanistan mit einer schlechten Sicherheitslage anhält (wenn auch auf niedrigerem Niveau als 2016). Kein Wunder auch, dass die von der Bundesregierung angestrebte freiwillige Rückkehr von Asylbewerbern aus diesen Ländern nicht in gewünschtem Maße stattfindet.
Deshalb hat Berlin die Anreize zur freiwilligen Rückkehr von abgelehnten Asylbewerbern und solchen, deren Antrag noch nicht entschieden wurde, verstärkt. "Eine dreiköpfige Familie konnte bislang etwa 3000 Euro an Rückkehrhilfen bekommen, mit Extra-Hilfen sind es bis zu 6000", schreibt die DPA. Dass solche auf den ersten Blick verlockenden Anreize zur Rückkehr auch tragische Folgen haben kann, liegt auf der Hand, etwa wenn schlecht vorbereitete und traumatisierte junge Flüchtlinge sich überstürzt auf solche Angebote einlassen.
In der zwischen Deutschland und Afghanistan im Oktober 2016 geschlossenen "Migrationsvereinbarung" wird die freiwillige Rückkehr als die "bevorzugte" Art und Weise zur Erfüllung der Ausreisepflicht beschreiben. Beide Seiten bekräftigen aber auch, dass "wirksame Zwangsmaßnahmen" nötigenfalls ergriffen werden müssen, sprich Abschiebungen. Tatsächlich werden solche aber nur in sehr geringem Umfang nach Afghanistan – 2017 waren das bis Jahresmitte das 245 Menschen - und in andere Länder Asiens, Afrikas und des Nahen Ostens durchgeführt. Dies wird zum Teil auf mangelnde Kooperation seitens der Herkunftsländer zurückgeführt, teils auf politischen Widerstand in Deutschland.
EU und Deutschland mit ähnlichen Problemen
Ähnlich ist das in der gesamten Europäischen Union: Ein Vergleich zwischen denjenigen, die eine Aufforderung bekommen, ins Herkunftsland zurückzukehren - etwa nach einem in letzter Instanz abgelehnten Asylgesuch - und wer tatsächlich zurückkehrt, zeigt große regionale Unterschiede. Während 20 Prozent der zwischen 2012 und 2016 zur Ausreise aufgeforderten Afghanen tatsächlich zurückkehren, gehen etwa 96 Prozent Albaner zurück - freiwillig oder unfreiwillig.
Dass die Ausreise final abgelehnter Asylbewerber in europäische Herkunftsländer scheinbar besser funktioniert, hängt sicherlich mit der räumlichen Nähe zur EU und der schlechteren Sicherheitslage in Ländern wie Syrien und Afghanistan zusammen. So geht die derzeitige Asylpolitik vor allem in Bezug auf die Balkanländer auf, aber noch nicht in Richtung Asien und Afrika.