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Politik

Abschiebung nach Afghanistan trotz Corona

17. Dezember 2020

Deutschland hat den ersten Abschiebeflug nach Afghanistan seit März durchgeführt. Die Entscheidung, inmitten der Corona-Pandemie in eines der gefährlichsten Länder der Welt abzuschieben, sorgt für Kritik.

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Abschiebeflug nach Afghanistan
Eine Abschiebeflug nach Kabul 2019Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Am Donnerstag sind 30 afghanische Staatsangehörige nach Kabul abgeschoben worden. Das bestätigte das Bundesinnenministerium (BMI) auf Anfrage der DW. Es war der erste Abschiebeflug seit Beginn der Corona-Pandemie im März in Richtung Afghanistan. Das BMI teilte der DW schriftlich mit, dass sich 13 Bundesländer an dem Abschiebeflug beteiligt hatten. Bei allen abgeschobenen Personen handele es sich demnach um volljährige Männer, darunter 27 mit strafrechtlichen Verurteilungen und ein Gefährder.

Unter den Abgeschobenen soll laut dem "Flüchtlingsrat Berlin" ein 21-jähriger Afghane sein, der zuvor Jugendarrest verbüßte, nachdem er mehrere Straftaten begangen hatte. Der Nichtregierungsorganisation zufolge hätte im Januar seine Entlassung angestanden. Die Organisation kritisierte zuvor die geplante Abschiebung mit der Begründung, der Mann leide unter Traumatisierungen, die er auf der Flucht erlitten habe. "Wir wollen die Straftaten des Mannes nicht bagatellisieren. Aber wir halten es für verantwortungslos, sich eines jungen Menschen, der als Jugendlicher nach Berlin gekommen ist und während seiner Kindheit Schreckliches erlebt hat, einfach so durch Abschiebung zu entledigen, noch dazu in Zeiten einer globalen Pandemie", heißt es in einer Presseerklärung.

Mehrere Nichtregierungsorganisationen, darunter "Pro Asyl", hatten in den vergangenen Tagen auf den geplanten Abschiebeflug, der vom Flughafen Leipzig/Halle startete, aufmerksam gemacht. Das letzte Mal hatte Deutschland am 11. März Menschen nach Kabul abgeschoben. Danach baten die Behörden in Afghanistan um einen Abschiebestopp, da die Corona-Pandemie das ohnehin schon arme und kriegsgebeutelte Land zusätzlich belaste.

Scharfe Kritik

Afghanistan gehört zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Die afghanische Regierung und die militant-islamistischen Taliban führen zwar derzeit Friedensgespräche, trotzdem kommt es immer wieder zu Anschlägen im Land. In den vergangenen zehn Jahren wurden dabei mehr als 100.000 Zivilisten getötet oder verletzt. In jüngster Zeit hat die Gewalt wieder stark zugenommen. Unter anderem wurde ein Vize-Gouverneur der afghanischen Hauptstadt und eine bekannte Journalistin getötet.

Auch deshalb sind Abschiebungen in das Land umstritten. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth reagierte empört. "Die vielen Anschläge, Angriffe und Massaker, die in Afghanistan tagtäglich stattfinden, verbieten es, dorthin abzuschieben. Es besteht die Gefahr für Leib und Leben", sagte die Bundestags-Vizepräsidentin der Deutschen Presse-Agentur. Auch der Geschäftsführer von "Pro Asyl", Günter Burkhardt, forderte, den Abschiebeflug aus Deutschland zu stoppen: "Es ist völlig unverantwortlich, während eines bundesweiten Lockdowns stur an diesem Flug ins Ungewisse festzuhalten."

Bundestag | Claudia Roth Bundestagsvizepräsidentin leitet die 86. Sitzung des Bundestages
Kritik an der geplanten Abschiebung kommt unter anderem von der Grünen-Politikerin Claudia Roth Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Aus Kabul kommen ebenfalls kritische Stimmen. Sima Samar, Ministerin für Menschenrechte in der Regierung von Aschraf Ghani, sagt der DW: "Die Gewalt hat auf einem sehr hohen Niveau zugenommen, und ich möchte die Aufnahmegemeinschaften dazu aufrufen, die Asylbewerber auf der Grundlage der humanitären und menschenrechtlichen Gesetze aufzunehmen."

Warum die afghanische Regierung dem Abschiebeflug trotz der Corona-Pandemie zugestimmt hat, ist unklar. Experten vermuten, dass die Zustimmung mit der Afghanistan-Geberkonferenz zusammenhängen könnte, die am 23. und 24. November in Genf stattfand. Dort verpflichteten sich alle Parteien im Abschlusskommuniqué, eine Rückkehr afghanischer Flüchtlinge zu ermöglichen. Das BMI teilt hingegen mit, die afghanischen Behörden hätten bereits Mitte Oktober "der Wiederaufnahme von Rückführungen zugestimmt". 

Offenbar vorher Corona-Test

Für Kritik sorgte auch der genaue Zeitpunkt der ersten Abschiebung seit neun Monaten nach Afghanistan. Am Mittwoch begann in Deutschland ein strenger, bundesweiter Lockdown. Angesichts der auch in Afghanistan hohen Infiziertenzahlen ist es laut Kritikern eine Gefahr für "Leib und Gesundheit", die Menschen nach Afghanistan abzuschieben. "Pro Asyl" hat nach eigenen Angaben Kenntnis, dass "bei einigen für den Abschiebeflug vorgesehenen Männern Verwaltungsgerichte die Abschiebung in einem Eilverfahren gestoppt" hatten, entweder mit Verweis auf "die pandemiebedingte schwierige Lage in dem Land, bei der nicht mehr davon auszugehen ist, dass Rückkehrer in der Lage sein werden, ihre Existenz zu sichern" oder mit Verweis auf die schwierige Sicherheitslage im Land, wie die Organisation der Deutschen Welle mitteilte.

Afghanistan Coronavirus Alltag Kabul City Park
Die Corona-Pandemie grassiert auch in Afghanistan Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Gul

Das BMI teilte mit, dass "entsprechend der Vorgaben der afghanischen Behörden", die abgeschobenen Afghanen zuvor negativ auf das Coronavirus getestet worden seien. 

Auch Rückkehr wird erlaubt

Deutschland ist nicht das einzige Land, das wieder nach Afghanistan abschiebt. In den vergangenen Tagen sollen Flüge aus Österreich und Bulgarien in Kabul gelandet sein. Gleichzeitig erhielt ein 2019 abgeschobener Asylbewerber die Erlaubnis, nach Deutschland zurückzukehren.

Unterdessen wird in Deutschland auch wieder über Abschiebungen nach Syrien diskutiert. Zum Jahresende läuft der Abschiebestopp in das Land aus, nachdem sich die Innenminister der Bundesländer nicht auf eine Verlängerung geeinigt hatten. Die Befürworter argumentieren, dass so wieder die Rückführung von islamistischen Gefährdern und schweren Straftätern geprüft werden könne. Kritiker sagen, eine Abschiebung in ein Bürgerkriegsland sei inhuman und widerspreche dem Völkerrecht.