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Abstimmung über Boliviens Erdgas

17. Juli 2004

Viele Bolivianer würden die Erdgasressourcen des Landes am liebsten verstaatlichen. Der neue Präsident hält aber an den Verträgen mit ausländischen Investoren fest. Ein Referendum soll für Ruhe im Land sorgen.

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Freude über den Machtwechsel im Herbst 2003Bild: AP

Auf den ersten Blick macht die Lage einen guten Eindruck: Die Bolivianer können über die Nutzung der Erdgasvorkommen ihres Landes abstimmen. Doch das Referendum am Sonntag (18.7.2004) ist sehr umstritten. Die Frage nämlich, die die meisten Bolivianer bewegt, steht überhaupt nicht auf dem Stimmzettel - die nach einer Verstaatlichung der Erdgasförderung. Stattdessen muss das Volk über fünf komplizierte Fragen befinden, die alle nur das Ziel haben, die Erdgaspolitik von Präsident Carlos Mesa abzusegnen. Er versucht seit neun Monaten eine Gratwanderung zwischen den Interessen multinationaler Konzerne, internationaler Geldgeber und jenen der eigenen, zumeist armen Bevölkerung.

Empörte Bevölkerung

Im Oktober 2003 hatten die Bolivianer nach wochenlangen, teilweise blutig niedergeschlagenen Protesten Mesas Vorgänger, den Multimillionär Gonzalo Sanchez de Lozada, nach nur 14 Monaten aus dem Amt gejagt. Noch am gleichen Tag, dem 17. Oktober 2003, ernannte das Parlament seinen bisherigen Stellvertreter Mesa zum neuen Staatschef. Als eines der Zugeständnisse, die dem damaligen Vize den Weg zur Präsidentschaft ebneten, hatte er ein Referendum über die Erdgaspolitik versprochen. Denn der geplante Export von Erdgas hatte die Bevölkerung empört.

Das vorgesehene Geschäft war unversehens zum Symbol für die andauernde Ausbeutung des Andenstaates geworden. Durch 40-Jahres-Verträge hatte Sanchez de Lozada 1996 Konzernen aus den USA, Spanien oder Brasilien traumhafte Geschäfte gesichert. 2003 war dann der Bau einer Gaspipeline geplant, die durch das Nachbarland Chile zur Pazifikküste führen sollte. Von dort aus wollte ein Zusammenschluss von Energieunternehmen aus den USA, England, Spanien und Argentinien das Gas nach Nordamerika exportieren. Kostenpunkt der Investoren: fünf Milliarden US-Dollar. Regierungsgegner warfen dem Präsidenten vor, die Ressourcen des Landes an ausländische Geldgeber zu verschleudern. Nach Berechnungen der damaligen Opposition wären nur 18 Prozent der Umsätze des Projektes nach Bolivien geflossen. Dabei kann das Land Einnahmen gut gebrauchen. Zwei Drittel der Bevölkerung sind arm, Bolivien ist eines der ärmsten Länd Lateinamerikas.

Kurswechsel in der Ergaspolitik

Eine Kündigung dieser Verträge und stattdessen eine Verstaatlichung der Vorkommen lehnt allerdings auch Mesa weiterhin ab, auch wenn er die Rolle des Staates stärken möchte. Bolivien könne sich nicht im Alleingang von der Marktwirtschaft verabschieden und ausländische Investoren verprellen. Erdgas wird bereits nach Argentinien und Brasilien exportiert und bringt knapp 20 Prozent der Ausfuhrerlöse.

Auch Oppositionsführer Evo Morales, der sich für die Präsidentenwahl 2007 gute Chancen ausrechnet, sieht in dem Referendum ein taugliches Instrument für einen Kurswechsel in der Erdgaspolitik. Seine "Bewegung für Sozialismus" wirbt dafür, bei drei der fünf Fragen mit Ja zu stimmen. Damit hat Morales seine früheren Bündnispartner aus den sozialen Bewegungen gegen sich aufgebracht. Bauerngruppen und Gewerkschaften riefen zu Straßenblockaden gegen die ihrer Meinung nach undurchsichtige Volksabstimmung auf. Oder sie empfehlen, den Stimmzettel ungültig zu machen.

Kein Meilenstein der Demokratie

Präsident Mesa hat die Volksabstimmung zur Pflicht für jeden Wahlberechtigten erklären lassen. Wer nicht teilnimmt, soll umgerechnet 15 Euro Strafe zahlen, Saboteuren drohen mehrjährige Haftstrafen. Dass das Referendum zu einem Meilenstein der Demokratie werden könnte, wie er einmal verkündete, glaubt der Präsident offenbar selbst nicht mehr. Unternehmer aus den Förderregionen Santa Cruz und Tarija tun das Referendum schlicht als Zeitverschwendung ab. Auch innerhalb der Parteien gehen die Meinungen weit auseinander. Und unter der mehrheitlich indianischen Bevölkerung herrscht trotz einer aufwändigen Werbekampagne der Regierung vor allem Verwirrung. (kap)