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Katastrophe

Absturz im Iran: Mehr Fragen als Antworten

Miodrag Soric
9. Januar 2020

Behörden in Teheran erklären schon jetzt, dass der Absturz der ukrainischen Boeing 737 am Mittwochmorgen technische Gründe gehabt habe. Deutsche Experten sind zurückhaltender.

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Iran | Überreste des abgestürzten Flugzeugs der Ukraine International Airlines
Bild: Reuters/West Asia News Agency

"Jetzt über die Ursachen des Absturzes zu reden, ist völlige Spekulation", meint Professor Andreas Bardenhagen vom Institut für Luft- und Raumfahrt der Technischen Universität Berlin. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sei alles möglich: ein technischer Defekt, Sabotage, ein Raketeneinschlag. Wichtig sei, die Untersuchungen völlig ergebnisoffen zu gestalten, meint er im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Ähnlich sieht es Sebastian Steinke vom Stuttgarter Fachmagazin "Flugrevue". Es käme öfter vor, dass in den Stunden nach einem solchen Unglück spekuliert würde und widersprüchliche Informationen an die Öffentlichkeit drängen. Die beiden Black Boxes der ukrainischen Boeing 737-800, die sich im hinteren Teil des Flugzeuges befänden, seien nach Aussagen der iranischen Behörden geborgen worden. Wenn sie nicht beschädigt seien, würden sie jetzt untersucht, so Steinke. Erst danach könne man sich genauer zu den Unglücksursachen äußern.

Stromausfall an Bord?

Auffällig sei, dass es keinen Funkkontakt zwischen den Piloten und dem Teheraner Flughafen gegeben habe. Er stelle sich die Frage, ob die Elektrik an Bord schlagartig ausgefallen sei. "Normalerweise gibt es auch bei großen technischen Problemen einen kleinen Moment für die Piloten, um einen kurzen Funkspruch abzusetzen," so Steinke im Gespräch mit der DW. Das meint auch Andreas Bardenhagen. Es sei vorgekommen, dass Triebwerke explodieren. Fragmente der Turbine können in den Rumpf oder in den Flügel eindringen. Jedoch seien Flugzeuge so gebaut, dass die Stromversorgung und die Hydraulik weiter funktionierten. "Es ist unwahrscheinlich, dass alles gleichzeitig ausfällt", meint er. Die Behörden in Teheran sagen, dass der Voice Recorder, der die Gespräche im Cockpit aufzeichne, inzwischen in den Händen der Ermittler sei. Das Gerät sei jedoch beschädigt. 

Iran Flugzeugabsturz Ukraine International Airlines | Wrackteile bei Teheran
Spurensuche im Trümmerfeld: Helfer an der Absturzstelle bei TeheranBild: Reuters/Wana/N. Tabatabaee

Die ukrainische Boeing 737-800 war nur zwei Jahre alt. Dass bei einem neuen Flugzeug eine Turbine ausfällt, findet Bardenhagen ungewöhnlich. Das komme eher bei älteren Modellen vor. "Der Absturz ist mysteriös", meint Volker Thomalla, selbst Pilot und Chefredakteur des Portals "Aerobuzz". Nicht glaubwürdig findet er, dass iranische und ukrainische Behörden wenige Stunden nach dem Absturz einen Triebwerkfehler als Ursache benennen. "Piloten werden im Simulator regelmäßig trainiert, um mit solchen Situationen umzugehen." Im Gespräch mit der Deutschen Welle erinnert er an 2009, als ein Pilot in New York seinen Airbus 320 im Hudson River aufsetzt, nachdem beide Triebwerke ausgefallen waren. Alle Passagiere hatten damals überlebt. Jetzt sei es für ihn "völlig in Ordnung", dass der Iran die Flugschreiber an die Ukraine weitergebe. Doch auch andere Organisationen müssten einbezogen werden. 

Laut der Pilotenvereinigung Cockpit gebe es nach einem Flugzeugunglück international festgelegte Vorgehensweisen, wie nach den Ursachen des Unglücks geforscht werde, meint ihr Sprecher Andreas Schütz. Danach müssten bei diesem Absturz mindestens vier Organisationen beteiligt sein, um ein transparentes und von allen Seiten respektiertes Ergebnis vorliegen zu haben. In diesem Fall seien dies die Luftsicherheitsbehörden des Irans und der Ukraine, der Betreiber der Airline, also Ukraine International Airlines, sowie der Flugzeughersteller Boeing. Hängt die Ursache des Absturzes möglicherweise mit dem Triebwerk zusammen, sollte auch dessen Hersteller mit einbezogen werden. Zu der Unfallursache im Iran äußert sich die Pilotenvereinigung nicht. Dafür sei es zu früh, meint Schütz.

Die Rolle des Herstellers

Eine professionelle Untersuchung verfolge vor allem ein Ziel: Es müsse verhindern werden, dass sich ein vergleichbares Unglück wiederhole, erklärt Thomalla. Das sei auch wichtig für die Hersteller. Deshalb, so die Erfahrungen der Vergangenheit, unternehmen die meisten Hersteller gar nicht erst den Versuch, die Untersuchung zu beeinflussen. Wegen den angespannten politischen Beziehungen zwischen USA und Iran wollte Teheran den Flugzeug- und Rüstungskonzern Boeing möglicherweise nicht bei den Untersuchungen vor Ort dabeihaben, sagt Thomalla. Anders verhält es sich beim Triebwerkhersteller CSM International, einem französisch-amerikanischen Unternehmen. Er glaubt, dass Iran und die Ukraine keine Probleme damit hätten, wenn französische Ingenieure bei den Untersuchungen mitarbeiten.

Der Unfall ereignete sich am Mittwochmorgen, als das Flugzeug in etwa 2400 Meter Höhe flog. Thomalla wundert sich über ein Video, welches angeblich den Absturz zeigt. "Wer zückt in der Dunkelheit sein Handy und filmt den dunklen Himmel?", fragt er. Die Bilder, die die iranische Nachrichtenagentur von der Unfallstelle verbreitet, hält er dagegen für echt. Thomalla fragt sich, wie einige Löcher in den Wrackteilen, zu erklären seien. Es gebe ein Foto eines Loches im Seitenleitwerk, das auf einen Einschlag von außen schließen lasse. Das sei ungewöhnlich, meint er. "Die Wrackverteilung des Trümmerfeldes schließt einen Abschuss des Flugzeuges nicht aus."

US-amerikanischen Quellen zufolge sei die Maschine von einer iranischen Luftabwehrrakete "versehentlich" abgeschossen worden; das Pentagon verweigerte dazu jeden Kommentar. Der iranische Verkehrsminister Mohammed Eslami wies einen terroristischen Hintergrund oder Spekulationen über einen Abschuss der Boeing zurück. Prof. Andreas Bardenhagen von der TU Berlin findet es sehr ungewöhnlich, dass die iranischen Behörden kurz nach dem Unglück bereits die Ursache zu wissen glauben. "Schließlich sind die Erkenntnisse derzeit noch sehr widersprüchlich", meint er.

Vertreter der ukrainischen Fluggesellschaft meinen, dass technisches Versagen der Piloten ausgeschlossen werden könne: Die Crew sei sehr erfahren und gut ausgebildet gewesen. Außerdem sei das Flugzeug erst am letzten Montag gewartet worden.