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Abwarten und im Gespräch bleiben

Rolf Wenkel
19. Februar 2017

Eigentlich hatten sich die Beamten im Wirtschaftsministerium in Berlin mit dem Wahlprogramm von Hillary Clinton auseinandergesetzt. Nun musste man umdenken - und das Beste daraus machen.

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Containerhafen von Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

Das Brexit -Votum der Briten und der Wahlausgang in den USA sorgen für Unruhe. Wie die EU und die Briten den Ausstieg aus der Union gestalten, ist momentan ebenso wenig vorhersehbar wie eine klare Linie in den eher erratischen Äußerungen Donald Trumps zur Wirtschaftspolitik. Entsprechend schwer ist es für die Bundesregierung, jetzt schon eine klare Haltung gegenüber der Wirtschafts- und Handelspolitik der neuen US-Administration zu entwickeln, sagt Berend Diekmann, Chef jenes Referats im Berliner Wirtschaftsministerium, das für die USA, Kanada und Mexiko zuständig ist.

Grundsätzlich ist die Bundesregierung nach den Worten Diekmanns davon überzeugt, dass "wir weiterhin offene Märkte und einen fairen Welthandel brauchen". Protektionismus schade nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern der Welt insgesamt. Denn restriktive Grenzmaßnahmen, Importzölle und Bestimmungen zum besonderen Schutz für die jeweils eigene Industrie behinderten und verfälschten den Wettbewerb. Zudem gefährdeten solche Maßnahmen das Prinzip der offenen Gesellschaft, die mit ihren Nachbarn nicht nur Waren austausche, sondern auch Gedanken, Wissen, Werte und Ideen.

Dr. Berend Diekmann, Leiter des Referats VA1 (USA, Kanada, Mexiko) im Berliner Wirtschaftsministerium
Dr. Berend Diekmann, im Berliner Wirtschaftsministerium für Kanada, USA und Mexiko zuständigBild: privat

Rückzug ins Nationale

Tatsächlich sind die protektionistischen Absichten und Ideen des Donald Trump weder neu noch auf die USA beschränkt. Auch die Argumente der Brexit-Befürworter in Großbritannien waren und sind protektionistisch. Zudem haben bei den anstehenden Wahlen in Frankreich und in den Niederlanden Populisten und Nationalisten gute Erfolgsaussichten. Kurzum: Nicht nur in den USA ("America first"), auch in Europa ist allgemein ein "Rückzug ins Nationale" zu beobachten.

Dieser Rückzug ins Nationale ist auch als Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung zu verstehen. "Viele Menschen sehen die Globalisierung als eine Bedrohung für den eigenen Arbeitsplatz, für Klima und Umwelt, für sozialen Frieden und regionale Stabilität", räumt Berend Diekmann ein. "Damit müssen wir umgehen, darüber müssen wir diskutieren".

Abschottung, das ist schon fast eine Binsenweisheit, schadet der deutschen Wirtschaft ganz besonders, weil sie auf offene Märkte angewiesen ist. Die Hälfte aller Industriearbeitsplätze in Deutschland hängt direkt oder indirekt vom Export ab - insgesamt ist das ein Viertel aller Arbeitsplätze. "Wenn wir anfangen würden, uns abzuschotten, würden wir uns zuallererst selbst schaden", ist Diekmann überzeugt.

Langfristige Erfolge

Ein Beispiel für den langfristigen Nutzen offener Märkte sei die Welthandelsorganisation WTO. Ihr Vorläufer, das "General Agreement on Tariffs and Trade" GATT, ist 1947 als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren gegründet worden. "Wenn Sie damals einen Deutschen gefragt hätten, was das bringt, hätte der mit den Schultern gezuckt", sagt Berend Diekmann. Der Segen dieser Institution habe sich nämlich erst in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gezeigt.

Nach wie vor hält die Bundesregierung multinationale Handelsabkommen, wie sie in den Handelsrunden der WTO angestrebt werden, für den Königsweg. Bilaterale oder regionale Abkommen sind aus Sicht der Bundesregierung nur zweite Wahl. "Das hat gute Gründe", sagt Berend Diekmann. Abkommen innerhalb der WTO stünden für transparente, nicht diskriminierende Handelsregeln sowohl für Industrie- als auch Schwellen- und Entwicklungsländer. Segensreich sei vor allem das System der Streitschlichtung in der WTO, das es jedem, auch dem kleinsten Staat ermöglicht, auch die großen Staaten zu verklagen und zur Verhaltensänderung zu zwingen. Große Staaten könnten nämlich das Regelwerk der WTO, in der sie selbst Mitglied sind, nicht einfach ignorieren.

Doch insbesondere die letzte multilaterale Verhandlungsrunde innerhalb der WTO, die Doha-Runde, hat gezeigt, dass es immer schwerer, wenn nicht gar unmöglich wird, alle WTO-Mitglieder für ein neues Abkommen zu gewinnen. Deshalb kommen jetzt verstärkt regionale Abkommen zum Zuge. Und hier hält die Bundesregierung, so Diekmann, das Ceta-Abkommen der EU mit Kanada für absolut vorbildlich. "Das bezieht sich nicht nur auf den Abbau von Zöllen - das ist sogar der kleinere Teil", sagt Diekmann. Wichtiger sei die gegenseitige Anerkennung von Standards und Normen, Regeln für die Auftragsvergabe und ein umfangreiches Kapitel zur Nachhaltigkeit und sozialen Standards, die Vorbild sein könnten für künftige Abkommen der EU mit anderen Regionen der Welt.

Regionalabkommen zweite Wahl

TTIP dagegen, das Abkommen der EU mit den USA, befindet sich nach den Worten Diekmanns "im Eisschrank". Was weder heiße, dass es tot sei, noch dass man morgen darüber weiter verhandeln könne. Erfahrungsgemäß brauchen neu gewählte Regierungen einen Selbstfindungsprozess von etwa einem Jahr, bevor man wieder ins Gespräch komme, und auch in Europa stünden Wahlen und Regierungswechsel an. "Nur eins ist klar: Wir müssen mit den USA im Gespräch über ein Handelsabkommen im weitesten Sinne und über Vereinbarungen zum Außenhandel bleiben", sagt Diekmann.

Denn ohne die USA läuft gar nichts in der Wirtschaftspolitik. Sie nehmen ungefähr neun Prozent der gesamten Exporte Deutschlands ab ,sind unser wichtigster bilateraler Handelspartner, wichtiger als Frankreich, wichtiger als Großbritannien. "Es wäre töricht und nicht im Interesse unseres Landes, wenn wir plötzlich mit den Amerikanern nicht mehr sprechen würden", warnt Diekmann.

Erhebliche Unruhe - auch unter deutschen Investoren - hat die von den USA angekündigte Neuverhandlung des Nafta-Abkommens zwischen Kanada, Mexiko und den USA ausgelöst. Nafta existierte seit über 20 Jahren. Das war Zeit und Anlass genug für große deutsche Unternehmen, nicht nur aus der Automobilindustrie, große Wertschöpfungs- und Produktionsverbünde in dieser Region aufzubauen. Diesseits und jenseits der US-Grenzen hat dies zu einer tiefen Arbeitsteilung und zu Tausenden gutbezahlter Jobs geführt. "Diese Rahmenbedingungen sind plötzlich in Gefahr", sagt Diekmann, "das ist natürlich ein großes Thema."

Schnitt ins eigene Fleisch

Auf den ersten Blick erscheint Mexiko am meisten erpressbar. Es verkauft 80 Prozent seiner gesamten Exporte in die USA und kauft dort 50 Prozent seiner gesamten Einfuhren. Doch für die USA ist Mexiko auch nicht ganz unwichtig: 13 Prozent der US-Importe kommen aus Mexiko und 15 Prozent der US-Exporte gehen nach Mexiko. "Das sind Größenordnungen, bei denen sich auch die USA überlegen müssen, wie sie mit ihrem Nachbarland umgehen wollen". Denn wenn die US-Amerikaner die Axt an diese Handelsbeziehungen anlegen, schneiden sie sich auch ins eigene Fleisch. In den mexikanischen Exporten stecken, je nach Produkt, mehr als 40 Prozent US-amerikanischer Vorleistungen. Zölle von 35 Prozent würden große Teile der Zulieferindustrie in den Südstaaten der USA in den Ruin treiben - und dort eine Menge Arbeitsplätze vernichten, die ein Donald Trump eigentlich vermehren wollte.