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PolitikAsien

Afghanischen Kindern droht ein Hungerwinter

17. November 2022

Das Leid von Millionen Menschen in Afghanistan droht in Vergessenheit zu geraten. Vor allem Kinder und Frauen brauchen dringend Hilfe.

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Aus einer Gruppe Frauen in blauer Verschleierung blickt ein Mädchen in die Kamera
Frauen warten auf Brotausgabe in der afghanischen Hauptstadt KabulBild: ALI KHARA/REUTERS

Rund 23 Million Menschen in Afghanistan leiden unter akuten Hunger - Tag für Tag. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) warnt vor einer der größten und schwersten Hungerkrisen der Welt in Afghanistan. Laut einem aktuellen Bericht der FAO, der vor einer knappen Woche veröffentlichen wurde, ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung von der Krise betroffen. Ursachen sind unter anderen die anhaltende Dürre, die politische Instabilität und die Folgen der COVID-19-Pandemie. Auch der abrupte Stopp westlicher Unterstützung nach der Machtergreifung durch die Taliban im August 2021 trägt zu der Notlage bei. Der Anteil der Bevölkerung, der auf humanitäre Hilfe angewiesen ist, wächst weiter. 

Unter der schlechten humanitären Lage leiden besonders Frauen und Kinder, wie Zahra (Name geändert) und ihre drei Töchter. Die 40-jährige Frau aus der Provinz Bamian sah sich gezwungen, ihre Töchter gegen deren Willen zu verheiraten. Im Gespräch mit der DW erzählt sie: "Mein Mann war nach einem Schlaganfall gestorben. Bis zur Machtübernahme der Talibanarbeitete ich als Putzfrau. Meine Kinder konnten zur Schule gehen." Dann kamen Chaos und Wirtschaftskrise. 

Menschen ohne Perspektive

Nach der Machtübernahme der Taliban stoppten zahlreiche Regierungen die Hilfe für Afghanistan. Zuvor wurden drei Viertel der öffentlichen Ausgaben von der internationalen Gemeinschaft gedeckt. Im Ausland geparkte Reserven der afghanischen Zentralbank wurden eingefroren. Staatliche Angestellte wie Lehrer, Polizisten und Beschäftigte im Gesundheitswesen und in der Verwaltung konnten nicht mehr bezahlt werden. 

Afghanistan: Ärztinnen gesucht

Familien, die Frauen wie Zahra anstellen konnten, gerieten selbst in Not, und Zahra verlor das wenige Einkommen, das sie bis dahin hatte. "Wir hatten kaum noch etwas zum Essen. Aus Not habe ich meine Töchter an Männer gegeben, die sie heiraten wollten. Ohne Mitgift, ohne Fest und Feierlichkeiten. Sie wurden von Männern geholt, die in anderen Teilen des Landes leben." Die Töchter sind 20, 17 und 15 Jahre alt. Zahra hofft, dass es ihnen gut geht, zumindest besser als ihr selbst. 

Ländliche Bevölkerung besonders bedroht 

In den ländlichen Gebieten ist die Situationbesonders angespannt. Die Folgen des Klimawandels, wie eine seit Jahren anhaltende Dürre und Wetterextreme machen das Leben immer schwieriger. Im vergangenen Sommer fielen in den Trockengebieten plötzlich heftige Niederschläge. Der ausgedörrte Boden konnte das Wasser nicht ausreichend aufnehmen. Die Folge waren Überschwemmungen, bei denen mehr als 180 Menschen ums Leben kamen. Ein Sprecher der Taliban-Regierung sagte der Deutschen Presseagentur, tausende Häuser sowie tausende Hektar Land seien zerstört, Ernten vernichtet worden: "Die Menschen haben alles verloren."

Verkaufte Kinder in Afghanistan

Laut einer Umfrage unter 1450 Familien, welche die NGO "Save the Children" im Mai 2022 in Afghanistan durchführte, waren rund 97 Prozent dieser Familien nicht in der Lage, ihre Kinder ausreichend zu ernähren. Nach Angaben der Familien werden Mädchen schlechter ernährt als Jungen. Neun von zehn Mädchen machen sich Sorgen, weil sie kaum noch Energie zum Lernen, Spielen oder für ihre täglichen Aufgaben haben.

Die Not ist so groß, dass immer mehr afghanische Eltern sich gezwungen sehen, ihre Kinder zu verkaufen: an kinderlose Ehepaare, als Bräute, an Menschenhändler oder auch als Kämpfer für radikalislamische Gruppen. "Menschen in Afghanistan, vor allem Frauen und Kinder brauchen Hilfe. Sie leiden am stärksten unter den Sanktionen", sagt Samira Sayed-Rahman aus Kabul im Gespräch mit der Deutschen Welle. Samira Sayed-Rahman arbeitet für die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) in Afghanistan und ist täglich mit Frauen in Kontakt, die unter diesen Bedingungen leiden

Humanitäre Hilfe alleine ist sinnlos

Sayed-Rahman nennt ein weiteres Problem: "Es gibt nicht einmal genug Geldscheine. Die Banknoten fallen auseinander. Geschäftsleute akzeptieren nicht alle Banknoten, von armen Frauen schon gar nicht." Das IRC habe im vergangenen Jahr mehr als drei Millionen Menschen in verschiedenen Teilen des Landes erreicht. Aber humanitäre Hilfe sei nicht die Lösung für die wirtschaftlichen Probleme Afghanistans. Vielmehr müssten die wirtschaftlichen Beschränkungen aufgehoben und die Entwicklungsfinanzierung wieder aufgenommen werden. "Die Wirtschaft Afghanistans war jahrelang in hohem Maß von ausländischen Devisen abhängig, und wenn diese Hilfe auf einmal ausfällt, leidet zuerst und am allermeisten die Bevölkerung."

Mitarbeit: Mohammad Akrami