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Politik

Bundesregierung wegen Afghanistan unter Druck

19. August 2021

Haben Geheimdienste und Bundesregierung bei der Einschätzung der Lage zu Afghanistan versagt? Parteiübergreifend hagelt es Kritik. Auch ein Untersuchungsausschuss ist denkbar.

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Afghanistan | Taliban-Kämpfer in Kabul
Taliban-Kämpfer auf Patrouille in Kabul Bild: Rahmat Gul/AP/picture alliance

Parallel zur Rettung verzweifelter afghanischer Ortskräfte und anderer Helfer aus der Hauptstadt Kabul hat in Berlin die politische Aufarbeitung begonnen. So kamen im Bundestag der Innenausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) zu Sondersitzungen zusammen. Im Raum steht der Vorwurf, dass die Bundesregierung den Vormarsch der militant-islamistischen Taliban völlig unterschätzt hat. Im PKGr stellte sich der Chef des für die Auslandsaufklärung zuständigen Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, den Fragen der Abgeordneten. Die zuständigen Behörden hätten dargelegt, dass nach ihren Erkenntnissen die jüngsten Entwicklungen in Kabul und in Afghanistan nicht absehbar gewesen seien, sagte Ausschusschef Roderich Kiesewetter (CDU) im Anschluss.

Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes
Ein Rücktritt von BND-Chef Bruno Kahl steht derzeit nicht im Raum (Archivbild)Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Deutlicher wurde FDP-Fraktionsvize und PKGr-Mitglied Stephan Thomae. Der BND sei "in Bezug auf Afghanistan einer vollständigen Fehleinschätzung unterlegen", sagte er. Die Analyse geheimdienstlicher Fehler sei aber keine Entlastung für die Bundesregierung, betonte Thomae zugleich. Der Linke-Politiker André Hahn, der an beiden Sondersitzungen teilgenommen hatte, erklärte, die Regierung habe in den vergangenen Wochen "keinen Plan" zur Rettung afghanischer Ortskräfte gehabt. Stattdessen habe es ein "Hickhack" um Zuständigkeiten gegeben und ein "Gerangel, wer denn die Federführung dort hat". Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, der ebenfalls im PKGr sitzt, sieht noch viele Fragen offen.

Untersuchungsausschuss im Oktober? 

Unabhängig davon mehren sich die Stimmen, die das Afghanistan-Debakel durch einen parlamentatischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet sehen wollen. Der stellvertretende Vorsitzende der Freien Demokraten, Wolfgang Kubicki, rechnet nach eigenen Worten nach der Bundestagswahl Ende September fest mit solch einem Gremium. Auch Ulla Jelpke von der Linken plädiert dafür. Dafür offen zeigt sich auch die Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz.

Die Grünen wollen zunächst die Regierungerklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Afghanistan am 25. August abwarten. Merkel selbst bezeichnete die laufende Evakuierungsaktion als "hochkomplizierten Einsatz" und eine koordinierte internationale Aktion, bei der Deutschland eine wichtige Rolle spiele. Mit Usbekistan - wohin die Menschen von Kabul aus zunächst gebracht werden - gebe es eine sehr intensive Zusammenarbeit, so die Kanzlerin in Gießen weiter.

Bundeskanzlerin Angela Merkel
Kanzlerin Angela Merkel will sich am kommenden Mittwoch im Bundestag ausführlich zu Afghanistan äußern (Archivbild)Bild: Kay Nietfeld/dpa/Pool/picture alliance

In der Kritik steht auch das Bundesinnenministerium. Der Vorwurf lautet, Minister Horst Seehofer (CSU) beziehungsweise sein Haus hätten die Aufnahme verzögert. Dazu sagte eine Ministeriumssprecherin, das Aufnahmeverfahren für afghanische Ortskräfte sei innerhalb der Bundesregierung abgestimmt worden.

Bundeswehrsoldaten bei Masar-Scharif
Die Bundeswehr beendete nach fast 20 Jahren Ende Juni ihren Afghanistan-Einsatz Bild: Maurizio Gambarini/dpa/picture alliance

Unterdessen wurde bekannt, dass die Bundeswehr bereits vor ihrem Abzug aus Afghanistan Charterflüge für die Ausreise von Ortskräften geplant hatte. Laut Verteidigungsministerium waren am 17. Juni zwei Maschinen spanischer Fluggesellschaften angefragt worden, um bis zu 300 Personen vom nordafghanischen Masar-i-Scharif nach Deutschland zu fliegen. Es habe sich dann aber herausgestellt, dass die Flüge nicht notwendig gewesen seien, "weil die Menschen Ende Juni noch auf anderem Wege ausfliegen konnten". Einige Ortskräfte hätten bereits Tickets für Linienflüge gehabt, andere hätten zu dem Zeitpunkt noch nicht ausreisen wollen, erklärte das Ministerium weiter.  

Deutsche Soforthilfe für Afghanistans Nachbarländer

Die Bundesregierung wird eine Soforthilfe von 100 Millionen Euro für Geflüchtete aus Afghanistan zur Verfügung stellen. Wie das Auswärtige Amt auf Twitter mitteilte, sollen mit dem Geld internationale Hilfsorganisationen unterstützt werden, die die Menschen in den Nachbarländern versorgen. Nach der Machtübernahme der Taliban versuchen derzeit Zehntausende aus Afghanistan in die Nachbarstaatem zu fliehen, die meisten nach Pakistan.

se/qu/jj (dpa, afp, rtr)