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Afghanistan: Taliban verbieten Frauen das Sprechen

27. August 2024

Neue Anordnungen der Taliban untersagen Frauen, in der Öffentlichkeit ihre Stimme zu erheben. Westliche Regierungen scheinen nicht in der Lage zu sein, konkrete Maßnahmen gegen die Taliban zu ergreifen.

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Afghanische Frauen mit Burka (Archiv)
Mit Burka: Afghanische Frauen aus der Provinz Helmand (Archiv)Bild: SHAH MARAI/AFP via Getty Images

Die Taliban-Herrscher in Afghanistan haben vergangene Woche ein "Tugend"-Gesetz zur Durchsetzung der bereits durch die Sittenpolizei überwachten strengen Verhaltensregeln eingeführt. Damit verschärfen die Taliban die bereits weit verbreiteten Beschränkungen für Frauen und Mädchen in der afghanischen Gesellschaft: Sie müssen nicht nur ihr Gesicht und ihren Körper in der Öffentlichkeit verhüllen. Jetzt dürfen sie auch nicht mehr ihre Stimme außerhalb des Hauses erheben.

Die neuen Regelungen erweitern die Kontrolle der islamistisch-fundamentalistischen Gruppe über das Privatleben der Afghanen und greifen tief in das Leben, Verhalten und die sozialen Interaktionen der Menschen ein.

Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsgruppen haben die neuen Vorschriften scharf kritisiert. Rosa Otunbajewa, Leiterin der UN-Mission in Afghanistan, sagte, die Gesetze vermittelten eine "beunruhigende Vision" für Afghanistans Zukunft und verschärfen die "bereits unerträglichen Einschränkungen" der Rechte von Frauen und Mädchen, wobei "sogar der Klang einer weiblichen Stimme" außerhalb des Hauses offenbar als moralischer Verstoß angesehen werde.

Verbannung von Frauen aus dem öffentlichen Leben

Seit ihrer Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban die in den letzten zwei Jahrzehnten erzielten Fortschritte in Bezug auf Frauenrechte wieder zunichtegemacht.

Afghanische Mädchen sehnen sich nach Schule

Sie haben Frauen und Mädchen aus fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens verbannt. Mädchen wurde der Schulbesuch über die sechste Klasse hinaus untersagt, und Frauen wurde der Zugang zu lokalen Arbeitsplätzen und Nichtregierungsorganisationen verweigert. Die Taliban haben die Schließung von Schönheitssalons angeordnet und Frauen den Besuch von Fitnessstudios und Parks verboten. In der Öffentlichkeit dürfen sie sich nur in Begleitung eines männlichen Verwandten, eines Mahram, aufhalten.

Die Einführung neuer Verbote signalisiere nicht nur Kontrolle, sondern eine Festigung des autoritären Würgegriffs der Taliban, sagte Fereshta Abbasi, Expertin von Human Rights Watch (HRW). "Dieses Taliban-Gesetz befasst sich mit den kleinsten menschlichen Interaktionen und geht damit über die Überwachung persönlicher Beziehungen in der Gesellschaft hinaus", sagte sie der DW. "Unsere Sorge ist, dass die Taliban dieses Gesetz in der härtesten Weise umsetzen werden. Es wird für die Bürger Afghanistans keine Privatsphäre mehr geben, und dieses Gesetz schafft eine offene Plattform für weitere Menschenrechtsverletzungen im Land."

Macht und Straflosigkeit

Die neuen Bestimmungen betreffen auch Männer, da sie Vorschriften zur Männerkleidung und Bartlänge enthalten. Darüber hinaus verbieten sie unter anderem Homosexualität, Tierkämpfe, kulturelle Feiern, das Abspielen von Musik in der Öffentlichkeit und das Feien von nichtmuslimischen Feiertagen wie Nowroz sowie das Abbrennen von Feuerwerk.

Abbasi wies darauf hin, dass das Ministerium der Taliban "zur Verhinderung des Lasters und zur Verbreitung der Tugend" eine "enorme Macht und Straffreiheit" genieße. Das Ministerium teilte in diesem Monat mit, dass es im vergangenen Jahr über 280 Sicherheitskräfte entlassen habe, weil sie sich keinen Bart wachsen ließen. Über 13.000 Menschen seien wegen "unmoralischer Handlungen" im Einklang der Scharia, des islamischen Rechts, festgenommen worden.

"In einer Situation, in der es in Afghanistan so etwas wie einen Gerichtsprozess nicht gibt, können Mitglieder dieses Ministeriums in den meisten Fällen Einzelpersonen direkt bestrafen, was gegen die grundlegendsten Gesetze und Prinzipien der Menschenrechte verstößt", sagte Abbasi.

"Eine neue Art von Krieg"

Amira (Name geändert), die aus Sicherheitsgründen darum bat, ihren richtigen Namen nicht zu erwähnen, studierte Journalismus an einer Universität in Kabul. Nach der Machtübernahme der Taliban konnte die junge Frau ihr Studium nicht fortsetzen, da die Taliban die Bildung von Frauen eingeschränkt haben. Sie äußerte sich besorgt über die aktuelle Situation. "Nach so vielen Jahren des Krieges fühlen wir uns immer noch nicht sicher und sehen uns nun einer neuen Art von Krieg im Namen der Religion gegenüber. Wir werden von der Gesellschaft ausgeschlossen und leben wie in einem Gefängnis, während Frauen anderswo weiterhin Fortschritte machen."

Roya (Name geändert), die für eine Flüchtlingsorganisation in der Provinz Nangarhar arbeitet, äußert sich ähnlich: "Als afghanische Frau ist es schwer vorstellbar, unter diesen Bedingungen zu leben. Wenn ich mich als berufstätige Frau unterdrückt fühle, wie muss es dann erst Frauen ergehen, die hauptsächlich zu Hause bleiben? Wir erwarten nicht, dass sich unsere Situation in Zukunft verbessern wird, und wir werden gezwungen sein, uns das Leben zu nehmen."

Trotz weitverbreiteter Kritik hat das militante Regime bisher keine Anzeichen dafür erkennen lassen, dass es bereit ist, seine harte Politik aufzugeben. Der oberste Führer der Gruppe, Hibatullah Achundsada, zeigt sich stattdessen davon überzeugt, dass den afghanischen Frauen ein "bequemes und wohlhabendes" Leben geboten werde.

Informelle Verbindungen zu den Taliban

Die internationale Gemeinschaft hat die Taliban für ihren Umgang mit den Frauen energisch verurteilt. Länder auf der ganzen Welt haben jedes Engagement mit Afghanistan davon abhängig gemacht, dass die Taliban den Zugang von Mädchen zu Bildung, Menschenrechte und eine inklusive Regierung verbessern.

Dennoch ist es der Gruppe gelungen, de facto diplomatische Beziehungen zu mehreren Ländern in der Region aufzubauen, darunter Russland, China, Pakistan, Indien und verschiedene zentralasiatische Staaten.

Afghanistan: Systematische Unterdrückung von Frauen

Und die Vereinigten Arabischen Emirate haben letzte Woche die Beglaubigungsschreiben eines von den Taliban ernannten Diplomaten als Botschafter Afghanistans angenommen. Damit ist der Golfstaat nach China das zweite Land, das einen Taliban-Gesandten auf dieser Ebene akzeptiert.

Die Vereinigten Arabischen Emirate erklärten, der Schritt sei Teil ihrer umfassenderen Bemühungen, humanitäre Hilfe zu leisten und Stabilität zu fördern. Allerdings wirft er Fragen über die Folgen einer Zusammenarbeit mit einem islamistisch-fundamentalistischen Regime auf, das offen gegen Menschenrechte verstößt.

Debatte über den weiteren Weg

Auch in Deutschland wird die Debatte über den Umgang mit den Taliban immer kontroverser. Außenministerin Annalena Baerbock kritisierte die neuen Gesetze scharf als "fast 100 Seiten Frauenfeindlichkeit", die die Hälfte der afghanischen Bevölkerung zum Schweigen bringen. Sie lehnte Forderungen nach einer Aufnahme von Beziehungen zwischen Berlin und dem Taliban-Regime entschieden ab.

Dennoch drängen Oppositionsparteien, darunter die Christlich Demokratische Union (CDU), auf einen pragmatischeren Ansatz. Sie argumentieren, dass Deutschland mit den Taliban zusammenarbeiten sollte, um die Abschiebung abgelehnter afghanischer Asylbewerber und krimineller Flüchtlinge zu erleichtern.

Dieser Vorschlag hat eine Kontroverse ausgelöst. Kritiker warnen, dass die Herrschaft der Taliban damit legitimiert und das Engagement Deutschlands für die Menschenrechte untergraben werden könnte.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Zukunft für afghanische Frauen und Mädchen zunehmend düster. Menschenrechtsgruppen sind derweil der Meinung, die internationale Gemeinschaft müsse über bloße Rhetorik hinausgehen und konkrete Maßnahmen ergreifen, um die afghanischen Frauen zu unterstützen und die Taliban für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen.

Helay Asad und Ghazanfar Adeli haben zu diesem Bericht beigetragen.