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Afrika attackiert das Weltgericht

Ludger Schadomsky12. Oktober 2013

Kenias Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) könnte eine Lawine auslösen: Afrikas Staats- und Regierungschefs beraten, ob sie Kenias Beispiel folgen.

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AU Hauptsitz in Addis Abeba (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

Kenias Präsidentensprecher Manoah Esipisu wählt diplomatische Worte, wenn es um sein Land und den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) geht. Man sei "nicht auf Stimmenfang" gegangen im Vorfeld des Sondergipfels der Afrikanischen Union (AU) am Freitag und Samstag (11./12.10.2013) in Addis Abeba (Artikelbild). Man "freue sich über die Gelegenheit", eine für den Kontinent so wichtige Angelegenheit besprechen zu können, sagte Esipisu vor dem Treffen. Das ist reichlich untertrieben. Tatsächlich hat die kenianische Regierung Emissäre über den gesamten Kontinent geschickt, um gegen das unliebsame Gericht zu trommeln. Dort sind Kenias Präsident Uhuru Kenyatta und sein Vize William Ruto wegen ihrer mutmaßlich aktiven Rolle in der Gewaltwelle angeklagt, die 2007/2008 nach den Wahlen im Land zu Hunderten Toten führte. Das kenianische Parlament hat inzwischen einen Rückzug des ostafrikanischen Landes aus dem Weltgericht abgesegnet.

Im Nachbarn Uganda hat Nairobi einen Verbündeten gewonnen. Präsident Yoweri Museveni warf den Mächten des Westens vor, den IStGH "zu benutzen, um Politiker ihrer Wahl zu installieren und missliebige afrikanische Führer auszuschalten". Der gleiche Vorwurf ist auch aus Äthiopien, Ruanda und Tansania zu hören, die ebenfalls mit Kenias Rückzugsplan sympathisieren. Selbst Südafrikas mächtige Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) sprach im Zusammenhang mit den kenianischen Führern von einem "juristischen Putsch“ und einem "klaren Beleg, dass der IStGH mehrheitlich als Instrument zum Machtwechsel“ diene.

William Ruto
Kenias Vizepräsident William Ruto auf der Anklagebank in Den HaagBild: Michael Kooren/AFP/Getty Images

Die Chefanklägerin des im niederländischen Den Haag ansässigen Gerichtshofs, Fatou Bensouda, hat dem Vorwurf der Voreingenommenheit gegenüber Afrika stets widersprochen. Sie stammt selbst aus Gambia und verweist darauf, dass auch fünf der 21 Richter - darunter der Vizepräsident - Afrikaner sind. Zwar betreffen tatsächlich alle 18 Fälle, die derzeit im IStGH anhängig sind, afrikanische Beschuldigte. Doch meist waren es diese Länder selbst, die das Gericht anriefen, um Menschenrechtsvergehen zu ahnden: die Elfenbeinküste, Uganda, die Zentralafrikanische Republik, Mali und die Demokratische Republik Kongo.

Ist Justitia farbenblind?

"Diese Länder stehen nun besonders in der Verantwortung, das Gerücht zurückzuweisen, dass sich der Internationale Strafgerichtshof gegen Afrika richtet", wird Georges Kapiamba, der Präsident der "Kongolesischen Vereinigung für den Zugang zur Rechtssprechung", zitiert. Er ist Mitunterzeichner eines offenen Briefs, in dem am Montag (07.10.2013) 130 Lobbygruppen aus allen 34 afrikanischen IStGH-Vertragsstaaten ihre Regierungen aufriefen, die Arbeit des Weltgerichts weiter zu unterstützen. Auch Kenia, das nun das Lager der Kritiker anführt, übergab die Untersuchung der Gewaltexzesse nach der Wahl Ende 2007 Den Haag, nachdem im eigenen Land keine Möglichkeit der Strafverfolgung gefunden wurde.

(AFP PHOTO / SIMON MAINA )
Kenias Parlament hat den Rückzug aus dem IStGH mit großer Mehrheit beschlossenBild: Simon Maina/AFP/Getty Images

Die Ablehnung der Afrikaner speist sich aus der Tatsache, dass Weltmächte wie die USA, China und Russland dem IStGH die kalte Schulter zeigen und sich den 122 Unterzeichnerstaaten bisher nicht anschlossen. Afrika will auch mutmaßliche amerikanische, britische und israelische Menschenrechtsvergehen im Irak, in Afghanistan und den Palästinensergebieten untersucht wissen.

Die AU selbst hat keine Autorität, den Mitgliedsstaaten den Austritt aus oder den Verbleib im IStGH vorzuschreiben. Im Mai unterstützte die Union allerdings den Antrag Kenias, die Verfahren gegen Präsident Kenyatta und dessen Vize Ruto zurück nach Afrika zu bringen. Die Begründung: Das Verfahren könne ethnische Spannungen und eine Destabilisierung der Wirtschaft zur Folge haben. Im Oktober ist die Organisation noch einen Schritt weiter gegangen: Die AU will offenbar über einen Antrag bei den Vereinten Nationen erreichen, dass der Prozess verschoben wird.

Südafrika und Nigeria halten zum Gerichtshof

Doch ein Massenboykott scheint innerhalb der AU unwahrscheinlich. "Wir sind weit entfernt von solch einer Position", sagte der südafrikanische Außenamtssprecher Clayson Monyela. Nurudeen Muhammed, Nigerias Staatssekretär im Außenministerium, distanzierte sich von Kenia, das "seine eigenen Gründe" gegen den Gerichtshof habe. Sein Land dagegen hege "keinen Groll" gegen das Weltgericht. Ghanas Präsident John Drimana Mahama bescheinigte im Mai dieses Jahres dem Internationalen Strafgerichtshof sogar eine "erstaunliche Rolle" bei der Verfolgung von "Völkermord und Massenmord".

(REUTERS/Michael Kooren)
Widerspricht den Vorwürfen: IStGH-Chefanklägerin Fatou BensoudaBild: Reuters

Angesichts dieser Loyalitätsbekundungen wichtiger Mitgliedsländer - allen voran Nigerias - im Vorfeld des Gipfels deutet vieles darauf hin, dass es nicht zu einem massenhaften "Walkout" - also einer Aufkündigung des Statuts des IStGH durch die 34 afrikanischen Unterzeichnerstaaten - kommen wird. Als Kompromiss könnte es in Addis Abeba eine symbolische Solidaritätsbekundung für Kenia geben, das Thema ansonsten aber auf den regulären AU-Gipfel im Januar 2014 vertagt werden.

Doch selbst wenn der befürchtete Massenaustritt ausbliebe: Die Beziehungen zwischen dem Weltgericht und Afrika, dem Kontinent mit den meisten Mitgliedsstaaten, müssen sich verbessern. "Sonst werden zahlreiche Länder dem Beispiel Kenias folgen", warnt die Politische Kommissarin der AU, Aisha Abdullahi.

(Toussaint Kluiters dpa)
Das Gerichtsgebäude in Den Haag. Von den 122 Mitgliedern stellt Afrika den größten Block.Bild: picture-alliance/dpa

Den Ursprung der Differenzen sieht Solomon Dersso vom Institut für Sicherheitsstudien in Addis Abeba in der Darfur-Krise: "Damals bemühte sich die AU, einen diplomatischen Kompromiss zwischen den Parteien auszuhandeln - und der IStGH stellte derweil einen Haftbefehl für (Sudans Präsident) Baschir aus." Dersso geht zwar ebenfalls nicht von einem spontanen AU-Massenaustritt in Addis Abeba aus. "Dennoch wird das Treffen schmerzhafte Konsequenzen für den IStGH haben", warnt der Analyst.