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Politik

Freihandel in Grenzen

Martina Schwikowski
7. Juni 2019

Afrikas Freihandelszone besteht bis jetzt nur auf dem Papier. Jetzt wollen sich die Minister der bisher 23 Mitgliedsstaaten auf die Umsetzung einigen. Auf die größten Wirtschaftsmächte müssen sie vorerst verzichten.

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Ruanda Kigali Unterzeichnung Afrikanisches Freihandelsabkommen
Beim AU-Gipfel 2018 erklärten Afrikas Staats- und Regierungschefs ihre Absicht zur Gründung der FreihandelszoneBild: Getty Images/AFP/STR

Grenzen sollen fallen, Handelswege in Afrika blühen. Die größte Freihandelszone der Welt - das und nichts Geringeres erhoffen sich die Mitgliedsstaaten von Afrikas neuem gemeinsamen Markt. Das Abkommen über die afrikanische kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) ist Ende Mai in Kraft getreten; 23 afrikanische Staaten haben es bereits ratifiziert. Der nächste Schritt soll nun folgen: Auf einer Ministerkonferenz in Addis Abeba diskutieren die zuständigen Minister ab Freitag über den Weg in die Zukunft für die neu geschaffene Zone. Viele Einzelheiten müssen noch geklärt und weitere Protokolle unterschrieben werden, bevor sie offiziell in Kraft tritt. Ob sie den Afrikanern wirklich die erhofften wirtschaftlichen Vorteile bringen wird - das ist noch Zukunftsmusik.

Chancen für junge Menschen

Der per Unterschrift geschaffene Wirtschaftsmarkt ist auf jeden Fall gigantisch: Sollten die rund 30 weiteren afrikanischen Staaten ihre Zusagen wahr machen, werden schließlich eineinhalb Milliarden Menschen dazuzählen. Politiker hoffen, in Zukunft neue Geschäftsmöglichkeiten und Arbeitsplätze für eine Vielzahl von Afrikanern zu schaffen. Der afrikanische Kontinent liefert zwar Rohstoffe, doch in Afrika werden nicht viele lokal verarbeitete Produkte konsumiert. Sie werden größtenteils aus westlichen Staaten oder China importiert.

Inselstatt São Tomé und Príncipe | Kakaoanbau
Eine Hoffnung: Lokale Erzeugnisse könnten mehr Abnehmer in der Region findenBild: M. Graca

"Dieses Abkommen ist historisch", schwärmt der Ökonom Muhammad Jagana, ehemaliger Präsident der Handelskammer in Gambia. "Dadurch werden Optionen für junge Menschen geschaffen. Die haben oft sehr kreative Ideen und wollen Produkte und Dienstleistungen auf dem ganzen Kontinent verbreiten", sagt Jagana im DW-Interview - und betont die großen Hürden, so ein Abkommen in die Tat umzusetzen: "Wir haben 54 Länder mit verschiedener Gesetzgebung", so der Ökonom. Da sei es kein leichtes Unterfangen, Güter ohne Grenzkontrollen zu vertreiben.

Wirtschaftsgiganten nicht dabei

Jagana setzt auf den Privatsektor, der für die konkrete Ausgestaltung des Abkommens sorgen solle. Ansonsten werde man in den bereits existierenden regionalen Wirtschaftszonen steckenbleiben. Versuche, regionale Freihandelszonen zu etablieren, gibt es in Afrika schon seit Jahrzehnten. So etwa die Zollunion des Südlichen Afrika (SACU), der fünf Staaten am Kap angehören und die eine mehr als hundertjährige Geschichte aufweist. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), der 15 Staaten Westafrikas angehören, geht ihrerseits auf die 1959 geschaffene Westafrikanische Zollunion zurück. Beide haben eine starke Wirtschaftsnation als treibende Kraft: die SACU mit Südafrika, die ECOWAS mit Nigeria.

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Rosslyn Werk in der Nähe von Pretoria BMW
Südafrika ist neben Nigeria die führende afrikanische IndustrienationBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Aber ausgerechnet diese zwei mächtigsten Industrieländer Afrikas boykottieren bisher das AfCFTA-Freihandelsabkommen. "Beide Länder schauen mehr nach innen. Sie sehen die Möglichkeiten nicht, die ihre Unternehmen durch den innerafrikanischen Handel haben könnten", findet Jagana. Dabei biete die Zone Vorteile für alle Länder Afrikas. Kleinere Länder wie Gambia könnten profitieren, weil es einfacher werde, Geschäfte innerhalb Afrikas zu tätigen. Bürger könnten zu günstigeren Preisen kaufen, wenn Waren in der Region produziert würden.

Interessenkonflikte

Der togoische Wirtschaftswissenschaftler Yves Ekue Amaizo zeigt sich hingegen eher pessimistisch. Im DW-Interview spricht er von tatsächlichen Risiken von Preis-Dumping zwischen afrikanischen Ländern. "Nigerianische Landwirte wollen davon nichts wissen. Wenn billigere Erzeugnisse von außerhalb auf den Markt drängen, können sie selbst nichts mehr produzieren, für sie bedeutet es Arbeitslosigkeit", sagt Amaizo. Ähnliches gelte für Unternehmen in der nigerianischen Industrie: "Sie wollen ihr erstes Allradfahrzeug produzieren und dabei nicht Fahrzeugen überrollt werden, die von außen kommen. Die sind oft leistungsstärker und billiger." Die Hauptsorge in der verarbeitenden und Automobilindustrie gilt nicht afrikanischen Produkten - sondern vielmehr Importen aus anderen Weltregionen, die sich in einer großen Zollunion schwerer regulieren ließen, so die Befürchtung.

Die Tatsache, dass der bevölkerungsreichste Staat Afrikas, das erdölreiche Nigeria, nicht Teil der AfCFTA werden will, stellt für Christoph Kannengießer kein Problem dar. Der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft glaubt, Nigeria werde sich dieser afrikanischen Dynamik nicht entziehen können. Der Wirtschaftsgigant fühle sich derzeit allein stärker als in der Gemeinschaft. Das werde aber nicht so bleiben, sagt Kannengießer. Bei solchen Freihandelsabkommen gebe es in vielen Sektoren Gewinner und Verlierer. Das löse zunächst ganz natürlich Verteilungskonflikte aus und führe zu Versuchen, die eigenen Interessen möglichst gut zu wahren und durchzusetzen.

Freihandel muss erst wachsen

Auch wenn noch viel Zeit vergehen werde, bis das komplexe Unterfangen der afrikanischen Freihandelszone Realität sei: Der politische Wille hinter dem Projekt sei "bemerkenswert", sagt Kannengießer. Gerade dem afrikanischen Freihandel müsse man auch Zeit einräumen, um wachsen zu können. Kannengießer erinnert daran, dass auch "der europäische Binnenmarkt nicht über Nacht entstanden" sei.

Ruanda Kigali Unterzeichnung Afrikanisches Freihandelsabkommen
Ruandas Präsident gab der Initiative 2018 den entscheidenden AnstoßBild: Imago/Xinhua/G. Dusabe

Zuletzt ging alles sehr schnell: Nach Jahren des Stillstands brachte 2018 der ruandische Präsident und damalige Vorsitzende der Afrikanischen Union Paul Kagame frischen Wind in das Projekt einer afrikaweiten Freihandelszone. Eine Vereinfachung der Grenzverfahren soll den Weg ebnen. Innerhalb von zehn Jahren soll der innerafrikanische Handel bis zu 25 Prozent des kontinentalen Handels ausmachen.

Zum Vergleich: In Afrika macht der Binnenmarkt derzeit zehn bis 16 Prozent des Gesamtvolumens aus - in Europa liegt dieser Anteil bei 70 Prozent. "Die Afrikaner haben verstanden, dass sie zusammenhalten müssen und dass sie ein enormes Entwicklungspotenzial haben, wenn sie gemeinsam handeln können", sagt Kannengießer dazu. Durch die AfCFTA würde der Kontinent letztlich auch für Investoren aus Europa viel attraktiver.

Wo kommt das Geld her?

Wirtschaftswissenschaftler Yves Ekue Amaizo findet das Bestreben lobenswert, die Transaktionskosten zu senken, um den Handel zu verbessern. Er gibt aber zu bedenken, dass viele Voraussetzungen für ein Freihandelsprojekt noch gar nicht gegeben seien. Dazu gehört die Einrichtung einer Behörde, die für die Kontrolle des Handels und die Beilegung von Handelsstreitigkeiten zuständig sein soll. Oder die Finanzierung dieses neuen Systems. Paul Kagame hat eine Steuer von 0,2 Prozent auf Einfuhren nach Afrika vorgeschlagen, die Maßnahme ist jedoch noch nicht in Kraft.

Die nächsten Schritte für eine funktionierende Freihandelszone anzugehen, liegt jetzt bei den zuständigen Ministern, die in Addis Abeba zusammenkommen. Im Juli wollen dann die Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union nach ihrem Gipfeltreffen offiziell ihre Arbeit aufnehmen, damit die bereits unterzeichnete Zone Wirklichkeit wird.