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Wirtschaftsboom in Afrika

Sabine Kinkartz10. Juni 2014

Sechs Jahre nach dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise scheint sich die Weltwirtschaft zu erholen. Nirgendwo wächst sie so stark wie in vielen afrikanischen Ländern. Doch wohin führt der Boom?

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Ein afrikanischer Arbeiter steht auf einer Ölplattform in Nigeria. (Foto: Sunday Alamba/AP/dapd)
Bild: AP

Die Wirtschaft in Afrika wächst. Das zeigt auch der jüngste "African Economic Outlook", ein Wirtschaftsbericht, den die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jedes Jahr gemeinsam mit der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) und dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) herausgibt. Die Konjunktur auf dem gesamten Kontinent soll 2014 im Schnitt um 4,8 Prozent und 2015 um weitere 5,7 Prozent zulegen. Im vergangenen Jahr war das Bruttoinlandsprodukt um 3,9 Prozent gestiegen.

Vor ein paar Jahren sei von Afrika noch als einem "hoffnungslosen Kontinent" gesprochen worden, sagt AfDB-Wirtschaftsexperte Anthony Musonda Simpasa. "Heute ist Afrika ein zukunftsträchtiger Ort, ein Kontinent voller Hoffnung, und wir gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren anhält." Vor allem die Länder südlich der Sahara boomen. Dort erwarten die Experten eine Wachstumsrate von bis zu sieben Prozent. Motor des Wachstums ist Nigeria, das seine Einnahmen in erster Linie der Ölförderung verdankt.

Stau in Luanda, Angola (Foto: DW/António Cascais)
Stau im angolanischen LuandaBild: DW

Positiv entwickeln sich auch Äthiopien, Ruanda, Tansania, Uganda, die Elfenbeinküste und Sierra Leone. "In den Ländern ist eine Mittelschicht herangewachsen, die die Wirtschaft antreibt", sagt Simpasa. Die Menschen konsumieren, sie lassen den Dienstleistungssektor und Branchen wie die Telekommunikation und den Gesundheitssektor wachsen. Auch langlebige Konsumgüter und Autos werden stärker nachgefragt. "Man wundert sich, wenn man in manche Städte kommt, wie groß die Verkehrsstaus inzwischen sind." Auch der Bildungssektor profitiere von der Mittelschicht, denn Bildung und Ausbildung werde als Teil des wachsenden Lebensstandards begriffen.

Deutsche Unternehmen zögern noch

Der 'African Economic Outlook' kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass der Kontinent sein Wirtschaftswachstum vor allem dem Handel und Export von Rohstoffen verdankt. Bei der Ausfuhr von Agrarerzeugnissen und Dienstleistungen blieben die Länder weit unter ihren Möglichkeiten, sagt OECD-Wirtschaftsexperte Jan Rieländer, einer der maßgeblichen Autoren des Wirtschaftsausblicks.

Länder wie China haben den afrikanischen Boom schon lange im Blick. Der Handel zwischen der Volksrepublik und Afrika summierte sich 2013 auf 200 Milliarden Dollar. Bis 2020 will die chinesische Führung dies noch einmal verdoppeln.

Li Keqiang, Präsident von China beim Besuch in Äthiopien mit Ministerpräsident Hailemariam Desalegn. (Foto: Reuters)
Auf der Suche nach einträglichen Partnerschaften: Der chinesische Präsident Li Keqiang in ÄthiopienBild: Reuters

Deutschland kommt da bei weitem nicht mit, auch wenn die Bundesrepublik das boomende Afrika ebenfalls ins Auge gefasst hat. "Wir wollen unsere Handelsbeziehungen vertiefen", sagt Thomas Silberhorn, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der 'African Economic Outlook' zeige ganz klar auf, dass sich in Afrika derzeit ein rapider wirtschaftlicher, sozialer und politischer Wandel vollziehe. Der Wirtschaftsausblick sei ein guter Botschafter für Afrika. "Afrika verspricht für die nächsten Dekaden sicherlich die meisten Möglichkeiten und das größte Entwicklungspotenzial, denn die afrikanische Wirtschaft wächst schneller als die von Lateinamerika oder dem Nahen Osten, nicht zu sprechen von Europa."

Deutsche Unternehmen tun sich aber noch schwer mit dieser Erkenntnis. Erst jedes fünfte der im Ausland aktiven deutschen Unternehmen macht Geschäfte mit Afrika, zeigt eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) unter Exporteuren. 2013 lieferten deutsche Unternehmen Waren im Wert von fast 1,1 Billionen Euro ins Ausland. Davon landeten aber nur zwei Prozent in Afrika, die Hälfte davon in Südafrika. Geschäfte mit Afrika gehen für die Mehrheit der deutschen Firmen noch nicht über Handelsbeziehungen hinaus. Afrika erscheint nur den wenigsten stabil genug, um dort direkt zu investieren. 1500 bis 2000 deutsche Unternehmen sind dem DIHK zufolge in Afrika tätig. Die deutschen Investitionen auf dem Kontinent belaufen sich aktuell auf fast neun Milliarden Euro, davon rund fünf Milliarden in Südafrika und knapp drei Milliarden in Nordafrika.

Wachsende Investitionen

Dabei schätzt die Afrikanische Aufbaubank, dass in diesem Jahr mehr als 200 Milliarden US-Dollar Investitionskapital aus dem Ausland nach Afrika fließen werden. Dies sei etwa das Vierfache im Vergleich zum Jahr 2000. Investiert wird vor allem im Industrie- und Dienstleistungssektor. Hier sieht OECD-Wirtschaftsexperte Rieländer große Chancen für die Entwicklung. Mit Hilfe der Investitionen müssten sich die afrikanischen Länder stärker in die globalen Wertschöpfungsketten eingliedern, analysiert er.

Jan Rieländer am Rednerpult (Foto: DW/C. Vieira)
OECD-Wirtschaftsexperte Jan RieländerBild: DW/C. Vieira

Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel Äthiopien. Die Regierung in Addis Abbeba möchte eine leistungsfähige Textil- und Bekleidungsindustrie aufbauen. Schon 2015 sollen Kleidungsstücke im Wert von einer Milliarde US-Dollar exportiert werden. 2012 beliefen sich die Exporte in der Textilbranche erst auf 66 Millionen US-Dollar. Allerdings war es bisher auch üblich, Stoffe beispielsweise aus Asien zu importieren. Diese Vorleistungen mussten erst einmal bezahlt werden und schmälerten den Gewinn. Jetzt soll eine Wertschöpfungskette vom Anbau der Baumwolle über die Produktion von Garnen und das Weben von Stoffen bis hin zur Fertigung von Kleidungsstücken etabliert werden.

Die Abnehmer stehen schon bereit, unter ihnen das schwedische Textileinzelhandelsunternehmen Hennes & Mauritz. Seit einem Jahr bezieht H&M Textilien aus Äthiopien, das Geschäft soll weiter ausgebaut werden. Das Unternehmen lobt die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen, Zoll- und Steueranreize für Textilexporteure, die lokale Wollproduktion sowie die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachkräfte. Beklagt wird der verschlossene Finanzsektor, die hohen Transportkosten, die extrem langen Transportzeiten sowie Strom- und Internetausfälle. Dazu kommt eine grassierende Korruption.

Es bleibt viel zu tun

Diese Probleme haben auch andere afrikanische Länder. Zudem hapert es an der konstanten Einhaltung von Qualitätsstandards und das beurteilen ausländische Investoren besonders kritisch. In manchen Branchen ist es ein regelrechter Ausschlussgrund. "Wir stellen Medikamente her, da geht es um Leben und Tod und da kann es keine Kompromisse bei der Qualität geben", betont beispielsweise Michael Rabbow vom Pharmariesen Boehringer Ingelheim. "Es darf keine Medikamente erster und zweiter Klasse geben."

Dem Manager, der auch Vorsitzender des Beirates der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist, ist aber durchaus bewusst, dass der Aufbau der Industrie in Afrika ohne Hilfe von außen nicht möglich sein wird. "Wir nehmen das sehr ernst", betont er und verweist auf Ausbildungs- und Trainingsprojekte im Bereich der Landwirtschaft.

OECD-Wirtschaftsexperte Rieländer kann das nur unterstreichen. "Was wir tun können, ist unser Wissen anzubieten und zu transferieren, so dass sich kleine und mittlere Unternehmen entwickeln können." Im 'African Economic Outlook' mahnt er aber auch mehr politisches Engagement der afrikanischen Regierungen an. Drei Voraussetzungen müssten erfüllt sein, damit aus einem Entwicklungsland ein Schwellenland werden könne. "In den Schwellenländern haben die Regierungen die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung erkannt. Es gibt Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln, ein grundlegendes Gesundheitssystem und Schulen", analysiert Rieländer.

Der zweite Bereich sei eine grundlegende Infrastruktur vor allem in der Energieversorgung und im Transportwesen, sowie der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten. Schließlich sei aber auch eine gute Regierungsführung Voraussetzung dafür, dass sich eine mittelständische Wirtschaft entwickeln könne. Dazu gehöre die Anerkennung von Menschenrechten, die Einhaltung von weltweit anerkannten Normen beispielsweise im Arbeitsrecht und die Bekämpfung der Korruption. "In allen diesen Bereichen sind wir gefragt, den afrikanischen Staaten zu helfen. Wir müssen unsere Partner in die Lage versetzen, die richtigen Strukturen schaffen zu können."