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Kunst

Ai Weiwei teilt aus

Sabine Peschel
9. August 2019

In einem Interview mit der "Welt" kritisiert der Künstler und Polit-Aktivist das gesellschaftliche Klima in Deutschland. Selbst die Berlinale hofiere China, so Ai Weiwei.

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Ai Weiwei in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Bild: imago images/S. Simon

Ai Weiwei ist der weltweit bekannteste lebende Künstler aus China. In Deutschland ist er spätestens seit der Documenta 12 in weiten Kreisen hochangesehen. Damals, im Jahr 2007, brachte er für sein Kunstprojekt "Fairytale" 1000 meist jüngere Chinesen nach Kassel, zusammen mit ihm selber kamen 1001 Menschen. Zuvor waren schon 1001 antike Holzstühle aus China in Kassel angekommen, die Ai in Grüppchen und Haufen in der ganzen Stadt verteilt hatte. Das Kunst-Märchen – das bis dahin teuerste Documenta-Projekt – war perfekt.

Seitdem lieben ihn die Deutschen. Die deutschsprachigen Medien berichteten ausführlich, als er 2011 für drei Monate von der Bildfläche verschwand und niemand wusste, wohin ihn die chinesische Geheimpolizei verschleppt hatte. Als er im Frühsommer jenes Jahres wieder freikam, hielt die Berliner Hochschule der Künste ein Angebot über eine befristete Gastprofessur für ihn bereit.

Der Künstler Ai Weiwei mit einigen chinesischen Gästen an einem Tisch bei der Documenta XII in Kassel
"Fairytale" - Der Künstler mit seinen chinesischen Gästen bei der Documenta XIIBild: T. Lohnes/AFP/Getty Images

Antreten konnte Ai Weiwei sie erst vier Jahre später, als er 2015 ausreisen durfte. Seitdem lebt er mit seinem kleinen Sohn und dessen Mutter in Berlin. Er arbeitet mit seinem Stab in einem großen Atelier, das sich in den Katakomben einer ehemaligen Brauerei im schick gentrifizierten Stadtteil Prenzlauer Berg befindet. Sein Freund und Kollege, der dänische Künstler Olafur Eliasson, ist sein direkter Nachbar. 

"Deutschland ist keine offene Gesellschaft"

Jetzt, während im Düsseldorfer Kunsthaus K20/21 die jüngste und umfassendste von drei Mega-Ausstellungen in Deutschland läuft – nach "So Sorry" im Haus der Kunst München und "Evidence" im Berliner Gropiusbau – hat der Künstler durch ein Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" viel Aufsehen erregt: Er wolle Deutschland verlassen. "Dieses Land braucht mich nicht." Fast alle großen deutschen Medien berichten über diese "Abrechnung", in der er die Gründe für seinen baldigen Weggang nennt.

Dass der Künstler Deutschland verlassen will und sich schon unweit von New York nach einer geeigneten Bleibe im US-amerikanischen Bundesstaat New Jersey umgesehen hat, ist seit Monaten bekannt. Schlagzeilen machte seine Kritik an dem Land, das ihn mit weit offenen Armen empfangen hatte. "Deutschland ist keine offene Gesellschaft", sagt Ai gleich am Anfang des Gesprächs. "Es gibt kaum Raum für offene Debatten, kaum Respekt für abweichende Stimmen."

Ai Weiwei in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Immer im Zentrum der Medienöffentlichkeit: Ai Weiwei bei der Pressekonferenz zu seiner Düsseldorfer AusstellungBild: Getty Images/AFP/I. Fassbender

"China diktiert die Konditionen"

Selbstzentriert und vorrangig auf den Schutz der eigenen Gesellschaft bedacht, sei Deutschland. Vor allem aber kritisiert Ai Weiwei die deutsche Politik, Wirtschaft und Kultur, die zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen schweige und sich verbiege, um die Beziehungen zu ihrem wichtigsten Außenhandelspartner nicht zu belasten. China diktiere die Konditionen über Produktivität und Gewinne.

Chinesisches Geld stecke zum Beispiel auch in der Filmproduktion. Selbst das Berliner Filmfest beuge sich dieser Macht und ihrem Einfluss. Die Berlinale hatte im Februar Ais Episoden-Beitrag zum aktuell in deutschen Kinos anlaufenden Film "Berlin, I Love You" abgelehnt und auch seinen Dokumentarfilm "The Rest" über Flüchtlinge in Europa, der später auf anderen renommierten Festivals lief, nicht gezeigt. Auch der Film "I Can't Remember" des Dokumentarfilmers und Schriftstellers Zhou Qing über die chinesische Kulturrevolution sei nicht angenommen worden, weil man sich der chinesischen Zensur unterwerfe.

Der Autor und Dokumentarfilmer Zhou Qing aus China
Der Autor und Dokumentarfilmer Zhou QingBild: Ai Weiwei/Zhou Qing

Der Vorwurf: Auch die Berlinale beuge sich der Zensur

Zhou, der wie Ai in Berlin lebt und mit ihm befreundet ist, bestätigt diesen Eindruck: "13 chinesische Filme wurden 2019 auf der Berlinale gezeigt, und alle hatten das 'Drachensiegel' der chinesischen Zensurbehörden", sagte er gegenüber der DW. Als der weltberühmte, dem Pekinger Regime eigentlich nahestehende Regisseur Zhang Yimou seinen Film "Eine Sekunde" aus unerklärlichen Gründen zurückziehen musste, habe man dessen alte Autoritäten verherrlichendes Monumentalepos "Hero" gezeigt. Ai Weiwei gehörte, was nicht allgemein bekannt ist, gemeinsam mit Zhang Yimou und dem Regisseur und Autor Chen Kaige zur ersten Studentengeneration nach der Kulturrevolution an der Pekinger Filmhochschule.

Ob in seinen Filmen wie "Human Flow" oder in seiner Kunst hat Ai Weiwei seit Jahren ein vorrangiges Thema, in dessen Zusammenhang seine Äußerungen zu sehen sind: Menschen auf der Flucht. Auch er selbst sei ohne Heimat, nachdem ihn China zurückgewiesen habe. In Berlin sei er wiederholt diskriminiert worden, auch dies sei ein Grund für seinen bevorstehenden Weggang. "Ich bin ein Flüchtling."

Eine große Anzahl Flüchtlinge an der Grenze zwischen Jordanien und Syrien, im Vordergrund Kinder, Filmstill aus Ai Weiweis Film "Human Flow" von 2017
Flüchtlinge an der Grenze zwischen Jordanien und Syrien, Filmstill aus Ai Weiweis Film "Human Flow" von 2017Bild: 2017 Human Flow UG

Für eine kritische Kommunikation

Engagiert und streitbar war Ai Weiwei schon immer. Ob in China, wo er gegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen eintrat, oder in Deutschland, hielt er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Nur Tage nach seiner Ankunft 2015 führte er eine offene Auseinandersetzung mit der Wochenzeitung "Die Zeit" und der "Süddeutschen Zeitung", die ihm angeblich unterstellt hatten, aus Angst vor seiner Ausreise Zugeständnisse gemacht zu haben. Schon damals rauschte es ordentlich im deutschen Blätterwald.

"Ich bin Künstler. Kommunikation ist wichtig, um der andere Seite meine Arbeit verständlich zu machen", sagte Ai damals gegenüber der "Süddeutschen". Mit seinem kritischen Interview hat er erneut Denk- und Diskussionsanstöße gegeben.