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Aidans deutsches Leben

Mariya Ilcheva7. November 2015

Der bulgarische Rom Aidan hat fünf Jahre in Deutschland verbracht und sich dort nie ausgegrenzt gefühlt. Trotzdem ist er in seine Heimat zurückgekehrt. Mariya Ilcheva hat ihn im Roma-Viertel in Plowdiw getroffen.

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Der Rom Aidan aus Stolipinovo Plovdiv, Bulgarien (Foto: DW)
Bild: Mariya Ilcheva

"Deutschland ist ein sehr schönes Land. Es ist sehr ruhig und sauber. In diesem Land kann man gut leben. Man muss aber etwas können, einen Beruf haben. Ansonsten ist es sehr schwierig", sagt Aidan. Der bulgarische Rom weiß, wovon er spricht. Fünf Jahre lang lebte und arbeitete er in Krefeld. Sozialhilfe bezog er nie - weder in seiner Heimat Bulgarien noch in Deutschland.

Ich treffe den 32-jährigen Mann im Plowdiwer Roma-Viertel Stolipinovo, wo er geboren und aufgewachsen ist. Mit 50.000 Einwohnern gilt diese Siedlung als das größte Ghetto auf dem Balkan. Wir sitzen in einem Café am Rande des Viertels. Aidan wirkt aufgeschlossen und humorvoll, er lächelt fast ununterbrochen. Seit einem Jahr lebt er wieder in Stolipinovo im Haus seiner Mutter. "Meine Frau hat mich verlassen. Kurz danach ist mein Bruder plötzlich gestorben. Ich hatte eigentlich nicht vor zurückzukehren. Ich hatte ein gutes Leben in Krefeld, sehnte mich aber nach meiner Familie", erzählt er.

"In Krefeld war ich beliebt"

In Deutschland habe er gut verdient, doch der Anfang sei alles andere als einfach gewesen. Anders als viele bulgarische Roma, die ihre Heimat in Gruppen verlassen oder über Arbeitsvermittler ins Ausland gehen, entschied er sich, ganz allein nach Deutschland zu kommen. "Ich konnte kein Deutsch und in den ersten Monaten war ich bereit, für 20 Euro pro Tag zu arbeiten, manchmal auch umsonst. Ich wollte so schnell wie möglich die Sprache lernen und erfahren, wie alle Baugeräte und Materialien auf Deutsch heißen. Ich war sehr fleißig und habe es geschafft", sagt er stolz.

Einige Wochen nach seiner Ankunft in Deutschland meldete der 32-jährige Bulgare ein eigenes Gewerbe an. Er verlegte Laminat und Parkett, dämmte Gebäude, baute Fenster und Türen ein, verputzte und tapezierte Wände und verdiente damit monatlich bis zu 3500 Euro. "In Krefeld war ich gefragt und beliebt", sagt er mit einem breiten Lächeln. "Ich hatte viele Arbeitgeber und Kollegen, die der Meinung waren, dass alle bulgarischen Roma in Deutschland klauen, betteln oder ihr Geld mit Prostitution verdienen. Ich habe ihnen aber bewiesen, dass das nicht stimmt."

Ablehnung gegen Roma in der Heimat

Er kenne aber einige bulgarische Roma, die in Deutschland ihr Geld mit schmutzigen Geschäften verdienen. "So etwas würde ich nie machen. Ich muss immer eine richtige Arbeit haben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, von der Sozialhilfe abhängig zu sein. Was soll das für ein Leben sein? Immer wieder irgendwelche Papiere im Arbeitsamt vorzuzeigen, immer erreichbar zu sein für die Behörden. Das ist nichts für mich", sagt er. Einmal sei er zu Bekannten nach Dortmund gefahren, wo er viele Roma sah, die für sehr wenig Geld arbeiten oder Sozialhilfe beziehen. "Ich war in vielen deutschen Städten. In Dortmund ist es aber am schlimmsten. Dort leben viele bulgarische Roma im Elend."

Auf die Frage, ob er mit bulgarischen Roma arbeiten würde, antwortet er: "Lieber nicht. Einmal habe ich aus Mitleid einen Rom für einen Tag engagiert und ihm 40 Euro bezahlt, damit er mir Kaffee bringt und mit mir spricht, während ich arbeite", erinnert er sich.

Vorurteile gegen Roma sind zwar weit verbreitet. Doch er selbst habe sie in Deutschland nicht zu spüren bekommen. "In Krefeld wurde ich nie nach meinem Äußeren beurteilt, sondern nach meinem Können, nach meinen Fähigkeiten". Er habe sich hier nie diskriminiert, ausgegrenzt oder schlecht behandelt gefühlt. In seinem Heimatland wurde er hingegen abgelehnt wegen seiner Herkunft: Ein Auftraggeber wollte nicht, dass in seinem Haus Roma arbeiten. Sein Nachbar habe schlechte Erfahrung gemacht. Zwei Tage nachdem bei ihm Roma die Wände gestrichen haben, sei bei ihm eingebrochen worden. Aussagen wie diese verärgern Aidan. "Damit verletzen manche Menschen die Würde einer ganzen Ethnie. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Arbeiter jemanden ausrauben würde, bei dem er sein Brot verdient hat."

Der Rom Aidan aus Stolipinovo Plovdiv, Bulgarien (Foto: DW)
Aidan weiß, dass er ein Leben weit weg vom Roma-Ghetto führen kannBild: Mariya Ilcheva

Mit zwölf auf der Baustelle

In seiner Geburtsstadt fing Aidan schon mit zwölf Jahren an, zusammen mit Vater und Bruder auf der Baustelle zu arbeiten. Keiner habe ihn dazu gezwungen, er habe es selbst so gewollt, betont er. In Bulgarien verdiente Aidan gut, mit 24 heiratete er eine angeblich 18-jährige Romni aus Stolipinovo, die aber in Wirklichkeit erst 14 Jahre alt war und ihn bezüglich des Alters angelogen habe. "Wir haben gut gelebt, bis die Wirtschaftskrise ausgebrochen ist", erinnert er sich. Im Jahr 2009 sah er sich gezwungen auszuwandern. Die Aufträge im Baugewerbe waren in Bulgarien stark eingebrochen.

Heute versucht der 32-jährige, in Plowdiw wieder Fuß zu fassen. "Hier läuft es aber ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Im Roma-Viertel ist es sehr schwierig, einen Job zu bekommen. Die meisten Menschen sind sehr arm. Es ist ganz anders als in Krefeld", sagt er. Aidan spielt immer öfter mit dem Gedanken, wieder nach Deutschland zu kommen. Nicht nur wegen der besseren Bezahlung, auch zum Wohl seiner Kinder. "Mein Sohn und meine Tochter sollen ein besseres Leben haben. Sie sollen raus aus dem Ghetto. Ich fühle mich hier gut, aber falls meine Kinder im Roma-Viertel aufwachsen, werden sie nicht sehr weit kommen." Er will auf keinen Fall, dass sein Mädchen schon mit 15 heiratet, wie andere im Viertel. "In Stolipinovo kann ich sie leider nicht beschützen. Wenn jemand vorhat, sie zu 'klauen', kann ich nicht viel dagegen machen. Heutzutage passiert das zwar seltener als früher, aber es kommt immer noch vor", erzählt er nachdenklich.

"Nur auswandern, wenn man einen Beruf hat"

In Krefeld würde er schnell wieder Arbeit finden: Davon ist Aidan überzeugt. Was er anderen Roma raten würde, die nach Deutschland kommen? "Sie sollen am besten nur dann auswandern, wenn sie einen Beruf haben. Ansonsten haben sie keine Chance - und enden wie die anderen Roma in Dortmund. Und das ist wirklich schlimm", antwortet er.