Mazyek: "Ich habe Schlimmeres erwartet"
11. Juli 2019Deutsche Welle: Laut dem Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung ist Islam-Skepsis in Deutschland weit verbreitet. Man nehme den Islam nicht als Weltreligion, sondern als politische Ideologie wahr, heißt es dort. Woher, glauben Sie, kommt das?
Aiman Mazyek: Das ist zum Teil ein Ergebnis aus einem ein bis zwei Jahrzehnte langen Diskurs über den Islam. Da geht es auch um die Terminologie: Beispielsweise lädt der Begriff Islamismus geradezu dazu ein, dieser Vorstellung nachzugehen. Aber auch die Propaganda der Rechtsextremisten und Rechtspopulisten trägt dazu bei, wenn sie sagen, der Islam sei keine Religion, sondern eine Ideologie. Diese Diskurse verfestigen natürlich ein bestimmtes Weltbild. Was man dabei immer wieder übersieht, ist, dass 99,9 Prozent der Muslime weltweit den Glauben Islam - so wie wir ihn kennen - leben. Und dann ist da eine kleine Minderheit, die in diesen Diskurs ständig die Schlagzeilen beherrscht.
Sie haben den Blick gerade nach innen gerichtet. Inwiefern tragen Terrororganisationen wie der IS von außen dazu bei, dass sich so ein Bild manifestiert?
Das sind die leider die Stichwortgeber für diese Positionen, die vertreten werden. Der Fehler, der hierbei weiterhin gemacht wird, ist, dass es keine wirkliche Trennschärfe zwischen Extremismus und Religion in diesem Diskurs gibt. Immer wieder kommt es hierbei zu Überlappungen.
Meinen Sie damit die Medien und die Politik?
Es sind nicht nur Medien oder Politik. Es ist der allgemeine Diskurs. Ich würde die Wissenschaft hier in Schutz nehmen - es sei denn, es geht um pseudowissenschaftliche Broschüren. Aber in der Regel ist die Wissenschaft durchaus differenziert. Deswegen ist das keine versteckte Medienschelte, sondern es ist eine Kritik an dem allgemeinen Diskurs.
Aber welche Rolle spielen ihrer Meinung nach die Medien in diesem Zusammenhang? Wie nehmen Sie die Berichterstattung über die Migrations-und Fluchtdebatte wahr?
Es gibt eine ständige Fokussierung auf den Islam. Und es besteht die Tendenz, den Islam als Begründung für bestimmte Fehlentwicklungen in erster Linie verantwortlich zu machen. Der Islam wird schnell als Begründung bemüht. Mein Plädoyer ist nicht, den Islam als Religion aus allen Bereichen rauszunehmen. Also es geht nicht darum zu sagen, das habe nichts mit dem Islam zu tun.
Mein Plädoyer lautet: In dieser Matrix für Begründungen von Problemen oder von Fehlentwicklungen mag die Religion meist im missbräuchlichen Sinne eine Rolle spielen, aber eben nicht alleine. Es spielen kulturelle, soziologische, wirtschaftliche und andere Aspekte eine Rolle, um bestimmte Probleme darzustellen. Das wird meist im Kontext Migration, Geflüchtete, Vertriebene, Islam oder Muslime nicht gemacht. Das alles führt letztendlich zu einer Verengung des Diskurses.
Bei religiöser Toleranz sieht die Untersuchung der Bertelsmann Stiftung Defizite. Vor allem der Islam habe es schwer und werde von etwa 50 Prozent der Bevölkerung negativ wahrgenommen. Von den anderen 50 Prozent aber nicht. Wie aussagekräftig ist diese Studie dann?
Ich finde, man kann darin auch eine ganze Menge Positives sehen. Ich möchte jetzt nicht lakonisch und auch nicht zynisch klingen, wenn ich sage: Ich bin positiv überrascht, dass trotz dieser Dauerpräsenz des schiefen Diskurses 50 Prozent den Islam nicht negativ sehen. Daraus schließe ich, dass der soziale Kitt oder die zwischenmenschlichen Beziehungen noch einigermaßen funktionieren. Ich habe Schlimmeres erwartet.
Denn wir reden hier von einem Diskurs mit Dauerpräsenz. Und dafür sind 50 Prozent ein gutes Ergebnis. Ich wünschte mir natürlich ein besseres, aber ehrlich gesagt hätte mich auch ein schlimmeres Ergebnis nicht überrascht.
50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland stehen Muslimen skeptisch gegenüber. Spüren Muslime denn die Auswirkungen dieser Stimmung in der Gesellschaft?
Es gibt enorme Auswirkungen. Sie müssen nur die Zahlen anschauen: Wir zählen seit 2017 erstmalig islamfeindliche Übergriffe auf Muslime und Einrichtungen. Das waren über 1000 im Jahr 2017. Im vergangenen Jahr waren es etwas weniger Übergriffe. Dafür sind die Angriffe, bei denen Menschen physischen Schaden nehmen, größer geworden. Die Qualität ist heftiger geworden und die Dunkelziffer ist weitaus größer, weil Polizei und Justiz für dieses Thema noch nicht sensibilisiert und geschult sind. Und viele Muslime machen auch keine Strafanzeigen.
Das ist ein Beleg dafür, dass Islamfeindlichkeit oder Muslimfeindlichkeit enorm zugenommen haben. Wir beklagen fast im Wochentakt Übergriffe auf Moscheen oder auch Schändungen. Und der Empörungspegel in der Gesellschaft hält sich in Grenzen - was sicherlich auch mit diesem Diskurs zu tun hat.
Wie können sich denn Islamverbände stärker einbringen, um die Wahrnehmung von Muslimen zu verbessern?
Wir können das, was wir machen, noch mehr und noch besser machen - zum Beispiel Projekte wie der Tag der offenen Moschee, oder Projekte, die die Nachbarschaft zu einem Gespräch in den Moscheen einlädt oder auch unsere Kampagnen, die wir als Zentralrat seit Jahren führen. Auch wenn es darum geht, bei Kundgebungen, Demonstrationen für Vielfalt und für den Erhalt unserer freiheitlichen Demokratie einzustehen: All das, was wir da machen, müssen wir weiter ausbauen. Ich wünsche mir von allen - einschließlich von uns - dass wir noch mehr Engagement, noch mehr Präsenz, noch mehr Eigeninitiative entwickeln.
Was sagen Sie dazu, wenn immer wieder gefordert wird, dass sich Muslime lauter von Terroranschlägen distanzieren müssten?
Wir befinden uns dabei immer in einem Spannungsverhältnis. Wir wissen, dass wir, wenn wir uns dazu positionieren und erklären und diese Taten verurteilen, immer noch Menschen erreichen, die tatsächlich noch nie gehört haben, dass der Islam oder Muslime eine sehr klare Position zu Terrorismus, zu Selbstmordanschlägen und zu Extremismus haben.
Die Gefahr ist dann aber immer, dass man dann immer wieder dazu gezwungen ist, sich zu positionieren, obwohl dies schon längst erfolgt ist. Das hat auch wieder etwas mit dem Diskurs zu tun. Es ist einfach so, dass es in der Diskussion eine fehlende Trennschärfe zwischen Religion und Extremismus gibt. Und das führt zu einem Misstrauensdiskurs.
Aiman Mazyek ist der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
Das Gespräch führte Diana Hodali.