Akzeptanz als olympische Disziplin
13. September 2006"Auf die Plätze, fertig, los!" Der Startschuss fällt und die Teilnehmerinnen am 100-Meter-Lauf auf dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportplatz rennen unter glühender Sonne los, während die Zuschauer auf der Tribüne sie lautstark anfeuern. Am Ende der Bahn werden die Athletinnen von Betreuern in Empfang genommen, die sie ausbremsen, ansonsten würden sie wohl einfach weiter laufen.
Das ist der erste und einzige Fakt, der vermuten lässt, dass die Läuferinnen nicht nur "olympic", sondern auch "special" sind: Alle Teilnehmer der Wettbewerbe sind geistig oder mehrfach behindert. Die einzige andere Voraussetzung für die Teilnahme sind Sportsgeist und regelmäßiges Training: Einschränkungen bezüglich Geschlecht, Nationalität, Alter oder Religion soll es nach der Philosophie der Veranstalter nicht geben.
"Jeder hat eine Chance"
In 15 olympischen Disziplinen konkurrieren mehr als 2500 Sportler um die Qualifikation zur Teilnahme an den Special Olympics World Games 2007 in Schanghai. Darüber hinaus gibt es ein wettbewerbsfreies Programm mit dem Motto "Jeder hat eine Chance!", bei dem auch Schwerstbehinderte mitmachen können. Und es wird getanzt: Vor der Max-Schmeling-Halle drehen sich Mädchen zu "Let's Twist Again" auf einer Bühne, die Zuschauer auf den Holzbänken davor wiegen sich im Rhythmus. Daran, dass Sport Freude machen kann, lassen die Athleten der Special Olympics keinen Zweifel.
Am Dienstagabend (13.9.2006) wird das Sport-Event mit Pauken und Trompeten eröffnet: Die Tribünenplätze in der schummrigen Arena der Max-Schmeling-Halle sind voll besetzt, als sämtliche teilnehmenden Athleten mit ihren Betreuern, insgesamt fast 4000 Menschen, feierlich Einzug halten. Über 40 Minuten dauert es, bis zu den Klängen einer Percussion-Band alle ihren Platz eingenommen haben.
Mit einem bunten Mix aus Sport und Kultur führen die Moderatoren Ulla Kock am Brink und Wolf-Dieter Poschmann durch die Veranstaltung: Zwischen den offiziellen Rednern bietet unter anderem die Berliner Theatergruppe "Ramba Zamba" mit einem Programm Abwechslung, bei dem der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind: Die Kostümierung reicht von Lederstrapsen bis zum Biene-Maja-Outfit und ein Jimi-Hendrix-Double bringt eine sehr eigene Version von "Wild Thing". Entsprechend fröhlich und ausgelassen ist die Stimmung in der Halle.
Integration durch Sport
Die Special Olympics-Organisation hat Vertretungen in 160 Ländern und ist damit der weltweit größte Sportverband für Menschen mit geistiger Behinderung. In Deutschland treiben rund 35.000 geistig behinderte Menschen Sport, weltweit sind es über zwei Millionen. Seit ihrer Gründung 1969 in den USA setzt sich Special Olympics dafür ein, durch das Medium Sport die Akzeptanz von Menschen mit geistiger Behinderung zu verbessern. "Die Special Olympics Games sind für Menschen mit geistiger Behinderung eine Chance zu zeigen, was sie können", sagt Anthony Netto, Trainer der Nationalmannschaft behinderter Golfer. "Die Athleten sind ein Vorbild für die Gesellschaft, nicht nur für andere Behinderte, sondern auch für die so genannten Normalen. Sie können zeigen, wie sehr man das Leben genießen kann."
Behinderungen, so Netto, bestünden in erster Linie in den Köpfen gesunder Menschen: in ihrer Weigerung, geistig und körperlich Beeinträchtigte als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anzuerkennen. Bundespräsident Horst Köhler, Schirmherr der diesjährigen Special Olympics, schließt sich dieser Forderung an: "Menschen mit geistiger Behinderung gehören zu uns", sagte er. Special Olympics seien eine Möglichkeit für diese Menschen, Anerkennung und Respekt zu erfahren, so Köhler.
"Flagge zeigen für Schwächere"
Gernot Mittler, Präsident von Special Olympics Deutschland e.V., dankte bei seiner Rede auf der Eröffnungsfeier dem Bundespräsidenten dafür, dass er "für Schwächere in der Gesellschaft Flagge zeigt. Nicht alle in der Leistungsgesellschaft können höher, schneller, weiter", so Mittler. Umso wichtiger sei es, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sie zu lenken. Erfreut zeigte sich Mittler deshalb über die bisher höchste Medienpräsenz bei den Special Olympics.
Stellung beziehen auch die zahlreichen Volontäre, die bei den diesjährigen Spielen einen Großteil der Betreuung übernehmen. "Man bekommt ja auch etwas wieder", sagt Stefan Queiser, Volontär des Energie- und Automationstechnikkonzerns ABB. "Von den Menschen, und dann noch die gesponserten Klamotten." ABB ist einer der Hauptsponsoren von Special Olympics, das als gemeinnützige Non-Profit-Organisation auf solche angewiesen ist. Neben ABB unterstützen auch andere namhafte Unternehmen wie s.Oliver, Real, Otis und die Coca Cola Company Special Olympics.