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Kampf um die Dschihad-Vorherrschaft

Andreas Gorzewski27. November 2014

Immer mehr Terrorgruppen in Afrika und Asien schließen sich dem "Islamischen Staat" an. Der ist aggressiver und derzeit erfolgreicher als Al-Kaida. Die Folgen der Gewichtsverschiebung sind noch nicht abzusehen.

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ISIS-Kämpfer in einem Propagandavideo (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/abaca/Yaghobzadeh Rafael

Die schwarze Flagge des "Islamischen Staates" (IS) weht längst nicht mehr nur in Syrien und dem Irak. Auch Terrorgruppen in anderen Ländern schwören dem selbst ernannten Kalifen und IS-Führer, Abu Bakr al-Baghdadi, die Treue. Zuletzt erklärte eine Gruppe im ost-libyschen Derna ihr Herrschaftsgebiet zur "Provinz" des "Islamischen Staates". Auch Dschihadisten aus Ägypten, Jemen, Saudi-Arabien und Algerien hätten sich den neuen Kalifat unterstellt, verkündete Al-Baghdadi in einer Audio-Botschaft. Damit verliert das Terror-Netzwerk Al-Kaida immer mehr seine ideologische Führungsrolle unter muslimischen Extremisten.

Die Vorläufer-Organisationen des IS waren einst als Al-Kaida-Ableger im Irak entstanden. Der Jordanier Abu Musab al-Sarkawi führte die irakische Gruppe, kümmerte sich aber schon bald nicht mehr um Vorgaben oder Ermahnungen. Vor allem mit seiner Brutalität gegenüber Schiiten wich er von der Al-Kaida-Linie ab. Das Terrornetzwerk ist zwar insgesamt strikt sunnitisch, spitzte den konfessionellen Konflikt mit den Schiiten aber meist nicht zu. Al-Sarkawi wurde 2006 getötet. Als Jahre später Al-Baghdadi die irakische Gruppe übernahm und sie unter der Abkürzung ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) auch in Syrien kämpfen ließ, wurde der Bruch zwischen beiden Dschihad-Organisationen erneut deutlich. In Syrien lieferten sich Kämpfer beider Gruppen blutige Gefechte.

Krieg gegen den nahen oder fernen Feind

Die beiden ringen um Einfluss in der weltweiten Dschihad-Bewegung. Es geht um Geld, Kämpfer und die Deutungshoheit im militanten Islamismus. Katherine Brown, Terrorismus-Expertin am Londoner King's College vergleich Al-Kaida und den IS mit Franchise-Unternehmen, die es lokalen Gruppen ermöglichten, sich in die Ideologie des globalen Dschihad einzuklinken. Al-Kaida hat unter anderem die Gruppen "Al-Kaida im islamischen Maghreb" (AQMI) und "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAP) auf ihrer Seite. Auch die somalische Al-Schabab-Miliz hat Al-Kaida-Führer Ayman al-Sawahiri die Treue geschworen. Der IS konnte die Gruppen "Ansar Bait al-Makdis" auf der Sinai-Halbinsel und die algerische Gruppe "Dschund al-Chilafa", die im September eine französische Geisel enthauptet hatte, an sich binden.

Abu Bakr al-Baghdadi (Foto: EPA)
Immer mehr Extremistengruppen erkennen Al-Baghdadi als Kalifen anBild: picture-alliance/dpa

Die Rivalen unterscheiden sich vor allem in ihren Zielen. "Al-Kaida hat niemals erklärt, selbst regieren zu wollen", sagt die Professorin im DW-Gespräch. Dagegen betone der IS den Willen zum Herrschen und biete anderen Gruppen an, Teil dieses Herrschaftssystems zu werden. In Nord-Syrien und dem West-Irak hat der IS bereits ein riesiges Territorium unter seiner Kontrolle und baut dort staatsähnliche Strukturen auf. Mit der Ausrufung des Kalifats beansprucht Al-Baghdadi die weltweite Führung der Muslime. Soweit ist Al-Kaida nie gegangen.

Ein weiterer Unterschied liegt Brown zufolge in der Strategie. Die Al-Kaida-Zentrale habe beschlossen, nicht so sehr die geographisch naheliegenden Gegner wie Staat und Herrscher in Nordafrika und Nahost zu bekämpfen. Vielmehr richte sich der Kampf gegen die "fernen Feinde", wie die USA und deren Verbündete. Der "Islamische Staat" greift dagegen direkt die Staaten in seinem Umfeld an. Anschläge auf Ziele in Europa oder den USA hat der IS bislang nicht verübt.

Anziehungskraft von Al-Kaida verblasst

Weltbewegende Terrorattacken wie am 11. September 2001 in den USA oder 2005 in London hat Al-Kaida schon lange nicht mehr verübt. "Solange Al-Kaida zeigen konnte, dass es mit Erfolg gegen den fernliegenden Feind kämpft, konnten es Anhänger und Geld anziehen", sagt Brown. Als die spektakulären Anschläge gegen westliche Ziele jedoch ausblieben, ging beides zurück.

Stattdessen entwickelt der IS eine immer stärkere Anziehungskraft auf bislang eigenständig operierende Organisationen oder Gruppen, die sich von Al-Kaida-Ablegern abspalten. Dafür gebe es verschiedene Gründe, sagt Aymenn Jawad al-Tamimi, Analyst der Denkfabrik Middle East Forum. "Das kann daran liegen, dass sie den IS für eine erfolgreichere Marke im Dschihad halten als Al-Kaida", erklärt Al-Tamimi, der am Interdisziplinären Zentrum im israelischen Herzliya forscht.

Kämpfer der Nusra-Front mit Fahne auf einem Panzer am 25.11.14 (Foto: Reuters)
In Syrien stehen sich Kämpfer der Nusra-Front (im Bild) und des IS gegenüberBild: Reuters/H. Katan

Al-Kaida-Führer Al-Sawahiri hat sich bislang nicht zum neuen Kalifat geäußert. "Al-Sawahiri hat sich selbst als ineffektiver Al-Kaida-Führer erwiesen in seinem Versuch, den IS-Ansturm aufzuhalten", urteilt Al-Tamimi. Allerdings wirke er wohl hinter den Kulissen. So habe er Gerüchten zufolge einen Abwerbeversuch der Al-Schabab-Miliz durch den IS vereitelt.

Eine direkte Konfrontation zwischen beiden Dschihad-Organisationen gibt es derzeit nur in Syrien. Eine zweite Konfliktfront könnte sich im Jemen entwickeln, mutmaßt Al-Tamimi. Ob der IS langfristig Al-Kaida ausstechen kann, ist nach Einschätzung der King's College-Dozentin Brown noch unklar. Dafür sei der weitere Zufluss von Kriegsfreiwilligen und Geld entscheidend. Darüber hinaus könnte auch die US-geführte Koalition gegen den IS eine Rolle spielen.

Ayman al-Sawahiri (Archivfoto: DPA)
Al-Sawahiri reagierte bislang nicht auf das IS-KalifatBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Könnte der eskalierende Konflikt zwischen dem IS und Al-Kaida sich günstig für den internationalen Anti-Terror-Kampf auswirken? Wenn sich die beiden Dschihad-Organisationen gegenseitig schwächten, werde der Kampf gegen sie leichter - so das mögliche Kalkül. Doch Al-Tamimi glaubt nicht, dass die Rechnung aufgeht. In Syrien hätten beide Gruppen trotz der Rivalität ihre Positionen gefestigt und dabei weniger radikale Rebellengruppen weiter geschwächt. Daraus ergebe sich für den Westen kein Ansatzpunkt, um dem Dschihadismus einen entscheidenden Schlag zu versetzen.