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IS-Rückkehrer: "Kein Heil im Krieg"

Lindita Arapi 4. Mai 2016

Hunderte Kämpfer aus den Balkan-Ländern sind derzeit in Syrien aktiv. Lindita Arapi hat einen albanischen IS-Rückkehrer getroffen, der schonungslos von der brutalen Realität des Dschihad erzählt.

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DW-Redakteurin Lindita Arapi im Gespräch mit dem IS-Rückkehrer Ebu Zaid (Foto: DW)
Bild: DW/L. Arapi-Boltz

In Deutschland müssen sich IS-Rückkehrer vor Gericht verantworten - in Albanien grundsätzlich auch. Anders als in der Bundesrepublik gab es im Balkan-Staat bisher aber noch keinen einzigen Prozess gegen einen Dschihadisten, der aus Syrien zurückgekehrt ist - obwohl das albanische Gesetz die Teilnahme an bewaffneten Konflikten im Ausland mit mehreren Jahren Haft bestraft.

Sander Lleshi, Sicherheitsberater des albanischen Premierministers Edi Rama, erklärt, "dass Rückkehrer sich vor einer Strafverfolgung fürchten" und deshalb untertauchen. "Unsere Institutionen bleiben dennoch aufmerksam. Man muss aber sagen, dass heute fast keine Kämpfer mehr das Land in Richtung Syrien verlassen - dank einer gut koordinierten Zusammenarbeit unserer Behörden", fügt er hinzu.

Ein solcher Syrien-Rückkehrer, der unauffällig lebt, ist Ebu Zaid. Er gehört zu den Hunderten von meist jungen Männern aus Albanien und dem Kosovo, die nach Schätzungen der lokalen Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren nach Syrien reisten, um zu kämpfen. Ebu ist kein albanischer Name, aber so möchte der 28-jährige Albaner genannt werden, bevor er der DW seine Dschihad-Geschichte in einem muslimischen Restaurant in Tirana erzählt.

Für 80 Euro nach Syrien

Ein "ungezügelter" Junge sei er gewesen, so beschreibt er sich selbst. Einer, dem Waffen und Schlägereien nicht fremd waren, bevor der Islam dann vor einigen Jahren sein Leben bestimmte. "Er war meine Rettung", erinnert sich der junge Gläubige. Wie in vielen muslimischen Familien in Albanien wären auch seine Verwandten nicht alle religiös gewesen. Er aber vertieft sich in die Lehre des Salafismus, lernt Arabisch, und heiratet früh - "wie es sich für einen Muslim gehört", sagt Ebu. Den Syrien-Krieg verfolgt er zunächst im Internet. "Die Videos vom Krieg, alles was ich sah, das Leid, haben mich als Gläubigen ziemlich getroffen. Ich wollte meinen muslimischen Brüdern helfen. Ich entschied mich, nach Syrien zu reisen und empfand dabei keine Angst, sondern das heroische Gefühl, etwas Gutes zu tun: Ich helfe, Baschar al-Assad zu stürzen."

Ebu Zaid reiste zusammen mit zwei anderen Albanern 2014 nach Syrien. Seinen Eltern erzählte er, dass er in Saudi-Arabien ein Religionsstudium beginnen würde. "Es war einfach: Die Reise von Tirana nach Istanbul kostete mit dem Bus nur 40 Euro und weitere 40 Euro bis zur syrischen Grenze. Da gab es keine Kontrollen", erinnert er sich. Die jungen Albaner wurden auf der anderen Seite der Grenze empfangen und nach Aleppo gebracht, um zunächst an der Seite der Al-Nusra-Front zu kämpfen. "Alles war nach einem genauen Programm organisiert, die Waffen, die Uniformen, das Essen. Ich habe dort viele junge Leute aus Frankreich, Dänemark und Deutschland getroffen. Da ich sehr gut Arabisch konnte, hatte ich mit allen sehr gute Kontakte. Am besten war ich mit einem älteren Herren aus Bosnien befreundet, mit dem redete ich immer."

"Der IS war besser organisiert"

In Aleppo gab es aber nicht nur Gespräche über den Islam. Ebu Zaid erzählt, dass er gerade wegen seiner früheren Erfahrung mit Waffen als "nützlich" galt. Aleppo und die Umgebung, Bab, Arafat werden die Stationen des jungen Freiwilligen, der nach einem Monat in Syrien an den Kämpfen rund um Aleppo teilnimmt. Ob er getötet hat? Ebu Zaid will nicht direkt antworten: "Wir hatten keine Zweifel: Uns standen Feinde gegenüber, sie waren die Soldaten Baschar al-Assads, und es gab keine Gnade nach dem, was sie getan haben." Täglich habe er Tote und Leid erlebt.

Der deutsche Syrien-Rückkehrer Kreshnik B. vor Gericht in Frankfurt, kurz bevor er zu über drei Jahren Haft verurteilt wurde. Foto: Boris Roessler/dpa
Ein Syrien-Rückkehrer vor Gericht in Frankfurt, kurz vor seiner Verurteilung zu mehr als drei Jahren Haft: In Albanien gab es noch keinen Prozess dieser ArtBild: picture alliance/dpa/B. Roessler

Es dauert nicht lange, bis er die inneren Machtkämpfe innerhalb der Brigade der Al-Nusra Front und dem "Islamischen Staat" registriert. Ihn beeindruckt die Propaganda des "Islamischen Staats" noch mehr, deshalb schließt er sich in den letzten Monaten seines Syrien-Aufenthalts dem IS an: "Der IS war besser organisiert und stärker. Die hatten mehr Waffen und wurden besser finanziert, - ich weiß nicht, woher."

Aber gerade die Realität bei den jungen IS-Kämpfern, die er für die stärkeren hielt, ist eine andere. Ein Erlebnis habe ihm die Augen geöffnet, erzählt Ebu Zaid: "Nach stundenlangen Kämpfen bei Aleppo sind wir endlich rausgegangen, um unsere toten Soldaten zu beerdigen, es gab aber auch tote Soldaten aus Assads Truppen. Ein Ägypter aus unserer Gruppe geht hin und schneidet einem toten Soldaten die Ohren ab. Die Verstümmelung von Leichen ist aber im Islam eine große Sünde."

Er sei enttäuscht von den IS-Dschihadisten: "Sie hatten keine religiöse Bildung, sie kennen den Koran nicht wirklich, daher kommt ein solcher Extremismus. Wenn sie dich mit einer Zigarette erwischt haben, wurdest du ermahnt, wenn du Musik gehört hast, zerstörten sie deinen Computer. Viele befolgten die Befehle blind."

Ebu Zaid sieht sich als "getäuschten Gläubigen"

Beim IS in Syrien habe er viele junge Europäer getroffen, die zurückkehren wollten: "Sie haben mich gefragt, ob es mit dem Islam zu vereinbaren sei, zurückzukehren - und ich sagte: Ja. Dann fragten sie andere, die denen sagten: Nein, du kannst nicht mehr zurück. Dort ist nicht das Land des Islam."

Im Jahr 2015, nachdem auch seine beiden albanischen Freunde starben, ist er selbst einer von denen, die nicht mehr dabei sein wollen. "Es war nicht nur die Enttäuschung von dem, was ich dort sah. Besonders die Gesichter meiner Kinder und die Tränen meiner Mutter bei unseren Skype-Gesprächen bewegten mich sehr": So begründet er seine Rückkehr in die Heimat. "Heute würde ich mich als Getäuschten bezeichnen, einen getäuschten Gläubigen. Krieg ist Krieg und niemals schön, da gibt es kein Heil." Dem IS-Kommandanten in Syrien erzählte er, dass er die Erlaubnis brauche, um seine Frau und die Kinder in der Türkei abzuholen.

Nach seiner Rückkehr nach Albanien blieb Ebu Zaid den Behörden fern. "Wer weiß, was dabei raus kommt", sagt er leise. Unauffällig lebt er weiterhin in Tirana als einfacher Arbeiter, seine engen Freunde gratulierten ihm zur Rückkehr. "Heute habe ich mehr Mitgefühl für die Menschen, und bin viel nachdenklicher geworden", meint er.

Für die Sicherheitsbehörden in Albanien zählen die IS-Rückkehrer eindeutig zur Gruppe der potenziellen Gefährder - unabhängig davon, ob sie sich selber als "Getäuschte" bezeichnen würden und Reue zeigen. Sicherheitsberater Sander Lleshi betont, dass diese Leute "sich erstmal vor dem Gesetz verantworten müssen. Erst danach werden die anderen Maßnahmen - wie die Reintegration - folgen." Ob der Arm des Gesetzes die IS-Rückkehrer erreicht, bleibt in Albanien aber äußerst fraglich.