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Alexej Nawalny: Wer ist seine Vertraute Lilia Tschanyschewa?

Kirill Buketov
14. Juni 2023

Der Mitstreiterin des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny ist zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Wie ist die ehemalige Wirtschaftsprüferin Lilia Tschanyschewa zur Kritikerin Putins geworden?

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Lilia Tschanyschewa lächelnd hinter einer Scheibe
Nimmt den Urteilsspruch scheinbar gelassen - Lilia Tschanyschewa im GerichtssaalBild: Kirovsky district court of Ufa press-service/AFP

"Ich bin eine Politikerin, eine Frau, die von männlichen Gegnern verfolgt wird. Ihre Namen sind Putinund Chabirow". So begann Lilia Tschanyschewa (41) ihr Schlusswort am 29. Mai vor dem Bezirksgericht in Ufa, Hauptstadt der russischen Republik Baschkortostan.

Jetzt ist Tschanyschewa wegen Gründung einer "extremistischen Vereinigung" zu sieben Jahre und sechs Monaten Haft verurteilt worden.

Vor ihrer Festnahme leitete Tschanyschewa das lokale Team des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Sie war die erste Mitstreiterin von Nawalny, gegen die ein Strafverfahren wegen "Extremismus" eingeleitet wurde, nachdem das gesamte Netzwerk der Nawalny-Vertretungen in Russland für illegal erklärt wurde.

Karriere oder Bürgerrechte

"Sie liebt ihre Heimat Baschkortostan sehr", erzählt Ehemann Almaz Gatin im Gespräch mit der DW. Gatin und und die Wirtschaftsprüferin Tschanyschewa lernten sich 2017 bei der Unternehmensberatung Deloitte.

Am ersten Abend soll sie ihm von ihrer großen Leidenschaft erzählt haben, das Leben der Menschen besser zu machen. "Und nun stand sie vor der Wahl: Entweder weiter Karriere als Wirtschaftsprüferin zu machen, oder die Firma zu verlassen und sich für Bürgerrechte einzusetzen", erinnert sich Gatin.

Die Wahl fiel zugunsten der Bürgerrechte aus: Im März 2017 wurde Tschanyschewa zur Leiterin des Teams Ufa von Alexej Nawalny. Es war die Zeit, als Nawalny noch darauf hoffte, als Präsidentschaftskandidat bei den Wahlen 2018 anzutreten.

"Als Lilia zu uns kam, spürten wir sofort eine gewisse Zuversicht", erzählt Wegbegleiter Ruslan Schaweddinow gegenüber der DW. Schaweddinow gehört zu den Mitgliedern im Team von Nawalny, die Russland verlassen mussten. "Sie hatte ihre eigene Vision, kannte die Region und die politische Landschaft hervorragend und wusste, wie alles funktioniert", so Schaweddinow.

"Meine Herren, esst weniger!"

Lilija Tschanyschewa wird bei den Protesten in Ufa von den Polizisten festgenommen, Fotos aus dem Archiv.
Lilia Tschanyschewa bei den Protesten in der Regionalhauptstadt UfaBild: DW

Ihre eigentliche Bekanntheit erreichte Lilia im September 2016. Als Beobachterin der regionalen und kommunalen Wahlen in Baschkortostan filmte sie einen Verstoß gegen die Verfahrensregeln.

Ein anderes Video, das sie bekannt machte, wurde 2019 aufgenommen, als Tschanyschewa einer Anhörung über den Haushalt der Republik Baschkortostan beiwohnte und Fragen zur Verwendung öffentlicher Gelder stellte.

"Wie kann man die Einnahmen des Haushalts erhöhen? Stehlt weniger, meine Herren, esst weniger, kürzt euer Gehalt und zahlt weniger an propagandistische Medien", sagte sie damals. Kurz darauf wurde sie von zwei Sicherheitskräften gewaltsam aus dem Gebäude geführt.

Nach diesen Anhörungen erklärte Radij Chabirow, das Oberhaupt der Republik Baschkortostan, dass sie gar nicht an der Anhörung hätte teilnehmen dürfen. "Lilia hat ihn offen herausgefordert", erklärt Schaweddinow. "Dabei ist Chabirow einer der Architekten des politischen Systems, in dem wir leben."

Chabirow ist seit 19. September 2019 Oberhaupt der Republik Baschkortostan. Seitdem veröffentlichte Tschanyschewa regelmäßig Videos und Artikel über den Politiker, unter anderem über den Fahrzeugpark des Republikoberhaupts, über sein luxuriöses Landhaus und den Reichtum seiner Ehefrau.

Als die wichtigste Errungenschaft des lokalen Nawalny-Büros in Ufa gilt, dass das Team ein Projekt zum geplanten Abbau von Kalkstein durch ein großes Chemieunternehmen am Berg Kuschtau verhindern konnte. Tschanyschewa war inoffizielle Führerin der Protestbewegung.

Heiratsantrag im Gefängnis

Lilija Tschanyschewa und ihr Ehmann Almaz Gatin während der Hochzeit
Lilia Tschanyschewa und ihr Ehmann Almaz Gatin auf dem Weg zur TrauungBild: DW

Als die russlandweiten Proteste gegen Festnahme von Alexej Nawalny in Januar 2021 ausbrachen, wurde auch Lilia festgenommen. Almaz Gatin machte ihr einen Heiratsantrag im Untersuchungsgefängnis.

"Sie weinte und sagte, dass sie sehr glücklich sei und auf diesen Antrag gewartet habe. Als sie am 17. Februar entlassen wurde, reichten wir eine Heiratsanmeldung beim Standesamt ein", erinnert sich Gatin. Im selben Jahr wurde die Antikorruptions-Stiftung von Nawalny (FBK) zur "extremistischen Organisation" erklärt. Die lokalen Büros wurden Nawalny geschlossen, Tschanyschewa kündigte eine Pause ihrer politischen Karriere an.

"Es ist schwer, solche Entscheidungen zu treffen, wenn man diese Arbeit seit vielen Jahren macht. Aber wir wollten eine Familie gründen. Wir feierten unsere Hochzeit und bereiteten uns darauf vor, Eltern zu werden. Sie hat das Recht, glücklich zu sein, Ehefrau und Mutter zu werden", sagt Gatin.

Doch ein normales Leben war den beiden nur einige wenige Monate gegönnt. Am frühen Morgen des 9. November 2021 wurde Tschanyschewas Wohnung sowie die anderer Oppositionsvertreter in Ufa aufgrund von Durchsuchungsbefehlen der lokalen Staatsanwaltschaft durchsucht.

"Schauprozess, der mit einer langen Haftstrafe endet"

Lilia Tschanyschewa wurde am 10. November ins Untersuchungsgefängnis gebracht, wo sie sich bis heute befindet. Ihre Mitstreiter sind überzeugt, dass der Fall politisch motiviert ist. 

"Klar tun sie das, um einen Schauprozess durchzuführen, der mit einer langen Haftstrafe enden wird. Es ist offensichtlich, dass der Druck von oben kommt. Sie schnappen sich ein Mädchen, und alle regierungsnahen Medien berichten, dass eine gefährliche 'Extremistin' festgenommen wurde", sagt Wegbegleiter Ruslan Schaweddinow.

"Meine Frau ist jetzt eine junge, pragmatische, demokratische Politikerin. Und in ihren Augen sehe ich weder Angst noch Schrecken, nichts davon. Während ihrer Inhaftierung ist sie viel stärker geworden", so ihr Ehemann Gatin.

Adaption aus dem Russischen: Mikhail Bushuev