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Alkohol: Das ganz normale Gift

15. September 2022

Sekt zum Anstoßen, Bier zum Feierabend und Schnaps, wenn's richtig mies läuft. Aber dummerweise macht Alkohol auch krank und abhängig. Am Alkohol zeigt sich: Was als normal gilt, ist noch lange nicht gut.

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Leere Schnapsflaschen beim Straßenkarneva
Bild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture alliance

Cannabis scheidet die Geister. Legalisierung, ja oder nein? Die übergeordnete - und vollkommen berechtigte - Frage ist, wie gefährlich ist das Rauschmittel? 

Alkohol hingegen vereint. Leidenschaftliche Debatten führen viele Menschen besonders gerne in geselliger Runde mit Freunden oder Kollegen, das Weinglas oder die Flasche Bier in der Hand und genügend Nachschub im Kühlschrank. Alkohol gehört einfach dazu. Die Frage, wie gefährlich Alkohol ist, wird in solchen Runden wohl kaum diskutiert.

Menschen kommen zusammen, um zu feiern, zu entspannen oder sich zu belohnen. Und eventuell auch, um über die Gefahren anderer Drogen zu diskutieren, während sie selbst ein Suchtmittel konsumieren, das für unseren Körper Gift ist. 

Bereits geringe Mengen Alkohol schaden

"Alkohol ist ein Zellgift", sagt Christina Rummel. Die studierte Soziologin ist Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Eigentlich sei jeder Schluck schlecht für den Körper, so Rummel. Um dem Kind einen Namen zu geben, wurden irgendwann Grenzwerte festgelegt, die ein Großteil der Deutschen jedoch regelmäßig überschreitet.

"Die Grenze liegt für Frauen bei 12 Gramm Alkohol pro Tag und 24 Gramm für Männer", sagt Rummel. Diese Differenz ergibt sich aus dem unterschiedlichen Wasseranteil im Körper der beiden Geschlechter. Frauen haben ein geringeres Wasservolumen, in dem sich der Alkohol verteilen kann. Allerdings sind auch 24 Gramm Alkohol nicht viel. Diese Menge entspricht etwa einem Glas Sekt. Und nach dem zweiten? "Ab da wird es gefährlich", sagt Christina Rummel. 

Der aktuelle "Alkoholatlas Deutschland" macht deutlich, wie gefährlich der regelmäßige und übermäßige Alkoholkonsum ist. Alkohol ist an der Entstehung von über 200 Krankheiten beteiligt. Dazu gehören verschiedene Krebsarten, Herz-Kreislauferkrankungen, Typ-2-Diabetes und Lebererkrankungen. Für letztere ist der Alkoholkonsum sogar allein verantwortlich. Laut DHS seien rund 62.000 Todesfälle im Jahr allein in Deutschland dem Alkoholkonsum zuzuschreiben.

Christina Rummel spricht neben diesen Gefahren für jeden einzelnen Trinker außerdem von den teils verheerenden Folgen des "Passivtrinkens" wie sie es analog zum Passivrauchen nennt. Dazu gehört beispielsweise Alkoholkonsum in der Schwangerschaft, der zu schweren Organschäden beim Ungeborenen führen kann. Und für ältere Kinder sind betrunkene Eltern kein schöner Anblick und auch das Risiko gewalttätiger Auseinandersetzungen innerhalb der Familie steigt mit dem Alkoholpegel.

Und dann ist da noch der finanzielle Aspekt, denn der Alkoholkonsum verschlingt enorme Summen. Sie lassen sich unterscheiden in direkte Kosten für Behandlungen beim Arzt, Krankenhausaufenthalte und Medikamente und indirekte Kosten, beispielsweise durch Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung. "Die direkten und indirekten Kosten beziffern sich auf rund 57 Milliarden im Jahr", sagt Rummel. Geld, das wir alle zahlen. 

Alkohol als Einstiegsdroge

Wie schädlich genau Alkohol für den einzelnen Menschen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Nicht nur das Geschlecht spielt eine Rolle, auch das Gewicht, die Art der Ernährung oder die Einnahme von Medikamenten können den zerstörerischen Effekt beschleunigen. Übergewichtige Raucher mit Vorerkrankungen haben - wie so oft - besonders schlechte Karten. Außerdem ist das Alter entscheidend: je früher das erste Bier getrunken wird, desto größer ist die Gefahr bleibender Schäden und das Risiko für eine Abhängigkeit.

Deshalb sei die Aufklärung von Jugendlichen natürlich besonders wichtig, so Rummel. Aber auch Erwachsene seien sich der Gefahren oft nicht wirklich bewusst. "Alkohol ist zu tief in unserer Gesellschaft verankert." 

Alkoholkonsum als soziale Norm

"Nur knapp vier Prozent der deutschen Bevölkerung trinken keinen Alkohol", sagt Christina Rummel. Wer bei einer Party lieber zu Wasser als zu Wein greift, muss sich rechtfertigen. Krank, schwanger oder einfach nur Spielverderber? Trinken ist in vielen Gesellschaften eine soziale Norm. Soziale Normen beschreiben, was übereinstimmend gedacht, gefühlt und erwartet wird, erklärt der Sozialpsychologe Hans-Peter Erb in einem Youtube-Video. Diese Normen würden von der Mehrheit einer Gesellschaft getragen. Deshalb fallen Menschen, die keinen Alkohol trinken oft ähnlich unangenehm auf wie Veganer. 

Die psychologische Funktion solcher sozialer Normen sei die Vereinfachung des Lebens, so Erb weiter. Wir lernen bestimmte Verhaltensweisen, die uns das Leben in einer Gesellschaft leichter machen und uns sozial integrieren. Das Trinken von Alkohol ist eine davon.

Hochrangige Politiker, die als Botschafter für Brauereien oder Winzer unterwegs sind und Werbung, die suggeriert, dass sich durch Biertrinken der Regenwald retten ließe, stützen die Norm des Alkoholkonsums nach Kräften. 

Normal ist nicht gleich gut

"Schon wenn es um verhältnispräventive Maßnahmen geht, rennen Sie gegen eine Mauer", sagt Christina Rummel über die erfolglosen Versuche, die gesundheitlichen Folgen des Alkoholtrinkens mit gezielten Maßnahmen abzufangen. Die Rufe nach solchen verhältnispräventiven Maßnahmen, wie einer Steuererhöhung oder höhere Preise für alkoholische Getränke in Deutschland verhallen ebenso wie die Vorschläge die Werbung einzuschränken oder Alkohol mit Warnhinweisen zu versehen, wie es auf Zigarettenschachteln der Fall ist. 

Nicht nur regelmäßiges, moderates Trinken gilt als normal. Wer am Wochenende den Nachhauseweg in Schlangenlinien läuft, befindet sich ebenfalls in guter Gesellschaft. Normalität ist nicht automatisch gut. Normalität kann beim Alkoholkonsum einen krankhaften Zustand legitimieren, sodass der Einzelne gar nicht merkt, dass er ein Problem hat. "Viele Menschen suchen sich viel zu spät Hilfe", sagt Rummel.

So bleibt es dabei, dass die Verantwortung für das Trinkverhalten bei jedem einzelnen liegt. Gerade Erwachsene, die sich vielleicht nicht mehr bewusstlos saufen, dafür aber regelmäßig einen über den Durst trinken, sollten sich häufiger hinterfragen, findet Rummel.

Christina Rummel will niemandem das Bier aus dem Kühlschrank räumen, aber die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen empfiehlt, die täglichen Alkohol-Höchstgrenzen nicht zu überschreiten und darüber hinaus mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einzulegen. Damit versucht sie, sich an einem für den deutschen Durchschnittstrinker verkraftbaren Maß zu orientieren. Und sie bietet jedem, der Hilfe benötigt, diese Hilfe an. 

Vielleicht brauchen Menschen einfach irgendeine Art von Rausch? "Ja", sagt Rummel, "wahrscheinlich ist das so." Der Wunsch nach einem Rausch, auch der sei normal. Aber jeder sollte sich wenigstens der Gefahren von Alkohol bewusst sein.