Alle reden von Rezession: Aber DAX auf Rekordhoch
6. Dezember 2023Die Wirtschaftsdaten aus den vergangenen Wochen sprechen eine eindeutige Sprache: Die Wirtschaft schrumpft, nach einer leichten Erholung im Sommer weist der Trend wieder nach unten. Und damit macht das böse Wort von einer Rezession wieder die Runde.
Am Mittwoch meldete das Statistische Bundesamt in Wiesbaden einen deutlichen Rückgang der Industrieaufträge um 3,7 Prozent gegenüber dem Vormonat. Zwar ist der Rückgang fast ausschließlich auf fehlende Großaufträge zurückzuführen, die das Bild verzerren. Dennoch weist der Trend in positiver Lesart allenfalls seitwärts. Und in der letzten Befragung des Ifo-Instituts gibt die Mehrzahl der Unternehmen an, dass ihre Auftragsbestände "zu klein" seien.
"Folglich dürften immer mehr Unternehmen in den kommenden Monaten ihre Produktion herunterfahren, um sie dem aktuellen Auftragseingang anzupassen", sagt Volkswirt Ralph Solveen von der Commerzbank. "Dies wird dazu beitragen, dass die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr wohl weiter leicht schrumpfen wird."
Der DAX auf einem Allzeithoch
Trotz dieser doch insgesamt recht bescheidenen Perspektiven feiert der Deutsche Aktienindex (DAX) als wichtigstes deutsches Börsenbarometer in Frankfurt in dieser Woche neue Rekorde. Am Dienstag hat der Leitindex seinen Höchststand von Ende Juli übertroffen. Und am Mittwoch konnte das Börsenbarometer gleich noch ein neues Allzeithoch markieren. Wie passt das zusammen?
Zum einen lässt sich nachweisen, dass es öfter geschieht, dass zum Jahresende die Kurse an den Aktienmärkten noch einmal anziehen. Das hat verschiedene Gründe. Einer ist, dass beispielsweise bestimmte Fonds versuchen, im Jahr gut laufende Aktien noch zuzukaufen, um ihr Produkt aufzuhübschen - auch window-dressing genannt.
Zentralbanken im Blickpunkt der Anleger
Die Antwort liegt aber vor allem an den veränderten Erwartungen, die Anleger an die Notenbanken stellen. Und zwar zum Teil gerade auf Grund der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage. "Obwohl sich die weichen Indikatoren in letzter Zeit auf niedrigem Niveau stabilisiert haben, rechtfertigt das schwache makroökonomische Umfeld keine Zinserhöhungen mehr", stellt der Chefvolkswirt der ING, Carsten Brzeski, fest. Sprich: Der Zinsgipfel könnte überschritten sein. Und manche Beobachter rechnen sogar schon damit, dass wichtige Notenbanken wie die amerikanische FED oder die Europäische Zentralbank die Zinsen im kommenden Jahr auch schon wieder senken könnten.
Im Kampf gegen die Inflation hatten beide Notenbanken in den vergangenen eineinhalb Jahren die Zinsen stark angehoben. Die Europäische Zentralbank hatte zehnmal hintereinander an der Zinsschraube gedreht, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Der gewünschte Effekt: Steigende Zinsen verteuern Kredite, Ausgaben und Investitionen gehen zurück - und damit auch die Nachfrage. Und das soll dann letztlich auch zu sinkenden Preisen, also nachlassender Inflation führen. Die in der Regel damit einhergehende konjunkturelle Abkühlung ist ein Grund, weswegen Aktienmärkte in Phasen steigender Zinsen unter Druck geraten können. Kurz gesagt leiden darunter einfach die Geschäfts- und Gewinnaussichten von Unternehmen.
Zum anderen aber führen hohe Zinsen auch dazu, dass Anleihen für Investoren lukrativ werden. Denn deren Zinsen steigen in der Regel mit den allgemein steigenden Zinsen. Deswegen schichten dann viele Investoren um, gehen aus Aktienmärkten raus und stecken ihr Geld in Anleihemärkte. Denn dort winken wieder attraktive Renditen. Zudem ist das Risiko - zumindest bei vielen Staatsanleihen - geringer.
Aktuell sind Anleger also gerade dabei, perspektivisch möglicherweise wieder sinkenden Zinsen "einzupreisen", was die Nachfrage nach Aktien erhöht. Aktienmärkte nehmen so, wenn die Lage von Investoren richtig eingeschätzt wird, künftige Entwicklungen vorweg.
Wirklich keine Crash-Gefahr?
Allerdings ist es aktuell keineswegs sicher, dass es wirklich so kommt. Hauptsächlich hängen die weiteren Schritte der EZB davon ab, wie sich die Inflation im Euroraum entwickeln wird, ob und wann sie sich also wieder der Zielmarke von zwei Prozent annähert. Und das wiederum hängt davon ab, ob und wie stark sich die vergleichsweise hohen Lohnabschlüsse bei den Preisen bemerkbar machen.
Zwar ist auf Grund des starken Verlustes an Kaufkraft noch keine Preis-Lohn-Spirale in Sicht, bei der sich Preise und Löhne gegenseitig in die Höhe schaukeln. Dennoch könnte die "letzte Meile", wie es Bundesbankpräsident Joachim Nagel kürzlich ausgedrückt hat, "die härteste sein". Soll heißen: Eine hohe Inflation grob wieder herunter zu bekommen, ist vergleichsweise einfacher als die letzten Schritte hin zum tatsächlichen Inflationsziel zu gehen. Und das liegt für die EZB bei rund zwei Prozent.
Die Börsenparty könnte also schnell vorüber sein, wenn sich herausstellt, dass die Notenbanken mit ihrem Kampf gegen die Inflation noch nicht am Ende sind. Oder wenn geopolitische Konflikte und Krisen weiter eskalieren.