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Alles Lüge! In Nordkorea gibt es doch HIV

7. Juli 2019

Jahrelang hatte Nordkorea damit geprahlt, dass es dort keine HIV-Infektionen gäbe. Doch das war gelogen, und das Regime ist mit dem Problem komplett überfordert.

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Ein unterernährter Junge in einem Krankenhaus in Wonsan City. (Foto: dpa Poolbild)
Unterernährte wie dieser Junge und Tuberkulose-Kranke haben HIV weniger entgegenzusetzenBild: picture-alliance/dpa/K. Zellweger

Beim letzten Welt-AIDS-Tag im vergangenen Dezember feierten Regierungsvertreter und Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch bei einer Veranstaltung in Pjöngjang, dass zumindest dieser kleine Zipfel des Planeten von HIV unberührt sei. Die komplette Abschottung des Landes habe also auch etwas Gutes. 

Aber auch diese nordkoreanische Behauptung war gelogen: Ein Forschungsteam aus Nordkorea und den USA wollte den Gesundheitsbehörden des Landes nicht glauben und hat selbst nochmal nachgeprüft. Ihr Ergebnis: Tatsächlich gibt es in Nordkorea knapp 8400 HIV-Fälle. Die ersten Fälle gab es wohl bereits 1999. Und in den letzten Jahren sei die Zahl der Infektionen stark angestiegen.

Außergewöhnliches Vertrauensverhältnis

Wie das "Science"-Magazin exklusiv berichtet, habe die ungewöhnliche Zusammenarbeit mit den koreanisch-stämmigen Forschern aus den USA bereits 2013 begonnen. "Unsere nordkoreanischen Kollegen sind an uns herangetreten", so Taehoon Kim, der Mitbegründer von DoDaum, einem gemeinnützigen Verein in New York, der Gesundheits- und Bildungsprojekte in Nordkorea durchführt. "Sie äußerten zunächst Bedenken bezüglich HIV in ländlichen Regionen und fragten, ob wir etwas dagegen tun könnten."

Weil wir die gleiche Sprache sprachen, entstand ein Vertrauensverhältnis, so Kim. "Wir begannen in weiter entfernte Teile des Landes zu reisen, um uns mit Patienten zu treffen und die Probleme zu verstehen." Nachprüfen lassen sich diese Angaben des Vereins-Mitgründers nicht. Wie so oft beim Thema Nordkorea, ist doch eine unabhängige Berichterstattung aus dem abgeschotteten Land nicht möglich.

Seit 2015 habe das nordkoreanische Zentrum für Seuchenbekämpfung einen stetigen Anstieg der Infektionen in den vergangenen zehn Jahren davor dokumentiert. Im September 2018 schloss die nordkoreanische Nationale AIDS-Kommission demnach eine landesweite Umfrage ab, die auf eine starke Zunahme der Infektionen hinweise, vor allem bei Blutspendern und injizierenden Drogenkonsumenten.

Ähnlichkeiten mit China

Dies erinnere an einen Skandal in Zentralchina in den 1990er Jahren, als mehr als 37.000 Blutplasmaspender - meist Landwirte - mit HIV infiziert wurden, so DoDaum. Auch in China war die Existenz von AIDS lange geleugnet worden. Grund war dort mutmaßlich Profitgier. Bei Blutspenden waren kontaminierte Geräte wiederwendet worden. 

Ähnliche Lücken könnte es auch in Nordkorea geben, wo Qualitätssicherungs- und Sicherheitsmechanismen "eher zufällig sind", wie Kim Mun Song sagt, ein Arzt und Direktor für Außenbeziehungen im nordkoreanischen Gesundheitsministerium in Pjöngjang. Die Krankheitshäufigkeit in Nordkorea schätzt das DoDaum-Team auf  0,069 Prozent, was verglichen mit anderen Ländern sehr niedrig ist, weisen doch einige afrikanische Länder zweistellige Raten auf.

China Peking - Aids Kampagne
Anti-AIDS-Plakat in Peking (2004): Mittlerweile geht China offen mit dem Thema HIV/Aids umBild: picture-alliance/Photocome/ROPI

Zuerst hätten die nordkoreanischen Beamten den US-Verein DoDaum gebeten, über die zunehmenden HIV-Infektionen Stillschweigen zu bewahren. Angesichts der Dramatik habe aber Kim Mung Song, der die Verbindungsperson des Vereins von nordkoreanischer Seite war, sein Schweigen gebrochen. 

"Zwar kann die Meldung über die Existenz dieser Patienten zu einer Gegenreaktion der Zentralregierung führen, da sie sehr große Angst vor Infektionskrankheiten hat", so Kim Mun Song gegenüber Science. "Aber durch das Verschweigen und Leugnen des Problems werden die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten nur fortgeschrieben."

Kims Wundermittel

Das Regime hatte 2015 einen angeblichen Wunderimpfstoff gegen bislang kaum oder gar nicht heilbare Viruserkrankungen wie Mers, Ebola und HIV präsentiert. Die "sehr effektive" Substanz namens Kumdang-2 könne laut staatlicher Nachrichtenagentur KCNA auch Tuberkulose und Krebs kurieren, bei Schwangerschaftsübelkeit helfen sowie bei "Schäden, die vom übermäßigen Gebrauch von Computern herrühren". Das Wundermittel bestehe aus Ginseng-Extrakten und aus seltenen Erden.

Nordkorea Kim Jong-un Besuch Eisenbahnlinie
Eisenbahnbau, Proktion, Medizin - Machthaber Kim erteilt gerne Ratschläge in allen LebenslagenBild: picture-alliance/Yonhap

Nordkorea sei laut DoDaum mit dem HIV-Problem völlig überfordert. Es gebe laut Kim nur drei Labore im ganzen Land, die über moderne Analyse-Methoden für HIV-Tests verfügen. DoDaum versorge zwar nach eigenen Angaben jetzt etwa 3000 nordkoreanische Patienten mit einer antiretroviralen Therapie (ARV). Aber die verschärften internationalen Sanktionen gegen Nordkorea machten es fast unmöglich, die nötigen Medikamente ins Land zu schaffen.

Tuberkulose, Mangelernährung und Sanktionen verschärfen das Problem

Erschwerend komme eine sehr hohe Tuberkulose-Rate in Nordkorea hinzu, einschließlich multiresistenter Stämme. Bei Menschen mit Tuberkulose schreitet HIV viel schneller voran. Durch die latente Unterernährung im Lande verschärfe sich die Verbreitung von Tuberkulose und HIV zusätzlich. 

Die Autoren fordern die internationale Gemeinschaft auf, Nordkorea im Kampf gegen HIV/AIDS mehr zu unterstützen. Gleichzeitig warnen sie davor, dass Nordkorea das Problem mit drastischen Maßnahmen angehen könnte. So könnten infizierte Menschen ins Gefängnis kommen, oder abgeschoben werden.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund