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Alte Philosophen heute gelesen

7. April 2010

Platon, Aristoteles und Epikur – das sind nur einige der klangvollen Namen aus der griechischen Antike. Sie bilden das Fundament der europäischen Kultur, doch die Herangehensweise an ihre Texte hat sich geändert.

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Die Schule von Athen. Fresko von Raffaello Sanzio. Ausschnitt: Platon und Aristoteles (Foto: Electa/Leemage)
Denker der Antike: Platon und Aristoteles (Raffaello Sanzio)Bild: picture-alliance/maxppp

Die Welt ist mehr als sie scheint - das wussten philosophisch veranlagte Griechen spätestens seit Platon sein Höhlengleichnis entworfen hatte. Es beschreibt eine Gruppe von Menschen, die festgebunden in einer Höhle sitzen, von der Außenwelt nehmen sie nur die Schatten an der Wand wahr. Auch wir nehmen, so Platon, von der wirklichen Welt nur die Schatten wahr. Die wirkliche Welt ist für ihn das Reich der Ideen, das dem Menschen nur als Abbild zugänglich ist.

Antike Vorbilder

Unser Zugang zur Welt ist also ausbaufähig – genauso wie der Mensch selbst ausbaufähig ist. Ihn zu verbessern, zu einem höheren moralischen Wesen zu machen, auch das war das Ziel der antiken Lebensphilosophen. Sie entwarfen Bilder des idealen Menschen, die ihre Strahlkraft bis heute nicht verloren haben. Der Ausspruch des Sokrates "Ich weiß, dass ich nichts weiß" wurde zu einem geflügelten Wort und umreißt ein Bekenntnis zu intellektueller Bescheidenheit, das nicht nur Philosophen äußern.

Sokrates (469 - 399 v.Chr.) lehrt den mit Gift gefüllten Kelch (Foto des Stichs: picture-alliance/Judaica Sammlung Richter)
Sokrates (469 - 399 v.Chr.) leert den mit Gift gefüllten Kelch (Stich)Bild: picture-alliance/Judaica-Sammlung Richter

Sokrates aber ist auch bekannt für seinen Mut. Als er wegen angeblicher Gottlosigkeit zum Tode verurteilt wurde, erklärte er dem Gericht, dass er das Urteil annehme. Er gehe dem Tod entgegen, seine Richter dem Leben, fuhr er fort, "wer aber von uns den besseren Weg beschreitet, das weiß niemand, es sei denn der Gott." Es sind solche Szenen, die die Menschen bis heute bewegen. Es mag sich da um Idealbilder handeln, um hohe, oft allzu hohe Ziele. Gerade darum, fand der Philosoph Ludwig Curtius, haben sie allerdings auch Vorbildcharakter. "Die Idee der Klassik", erklärte er Anfang der 1950er Jahre, "ist die vollkommen harmonisch ausgebildete, gesunde menschliche Persönlichkeit".

Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit

Ganz so unbefangen sieht man es heute nicht mehr. Man nimmt die Texte nicht mehr wörtlich, sondern sieht sie eher als Vorgaben, mit denen man sich auseinanderzusetzen hat. Man könne Texte nicht einfach so lesen, wie es einem passt, erläutert etwa der an der Universität Köln lehrende Philosoph Marcel von Ackeren. Es gälte auch den historischen Hintergrund zu beachten, den Kontext, in dem die damaligen Philosophen schrieben. Das aber fällt zumindest den Laien unter den heutigen Leser schwer. Der Grund dafür, erläutert van Ackeren, liege auf der Hand, schließlich könnten sich die antiken Autoren nicht mehr wehren: "In Platons Schriftkritik heißt es, dass die Schrift das Problem hat, dass der Autor sich nicht mehr verteidigen kann. Darum kann man sein eigenes Verständnis, seine eigenen Ideale oder philosophischen Ziele sehr gut in diese teilweise fragmentarisch nur erhaltenen, zum Teil sehr komplizierten Texte hineinprojizieren."

Früher war alles besser...

Avila nach Raffael, Die Schule von Athen Flash-Galerie
Die Schule von Athen - Radierung (1722) von Francesco Avila nach einem Fresko von Raffaello SanzioBild: picture-alliance/akg

Verführerisch sind die antiken Texte, weil sie von menschlichen Idealen handeln. Platon zum Beispiel spricht in seinem Werk "Phaidros" von philosophischen Reden, die "den, der sie besitzt, so glückselig machen, als es einem Menschen nur möglich ist". Gegenüber solchen Verheißungen nimmt sich die Gegenwart der meisten Leser zwangsläufig bescheiden aus. Das ist der Grund, warum die ethischen Texte der griechischen Antike seit jeher gern als Trost- und Erbauungsliteratur gelesen werden. Viele Menschen würden in diese Texte geradezu flüchten, erläutert Marcel von Ackeren, denn von den Zuständen ihrer eigenen Zeit hielten sie ausgesprochen wenig. So hätten sie den Eindruck, es habe in der kulturellen Entwicklung Europas keinen richtigen Fortschritt gegeben. "Man hält die Ideale für verloren – und holt sie sich dann in der Antike wieder."

Grundlagen der politischen Identität Europas

Grundlegendes haben die griechischen Philosophen vor allem in der Politik geleistet. Auf ihren Ideen des Machtausgleiches, der Herrschaft des Volkes beruht die politische Identität Europas bis heute. Dass die Menschen über die Prinzipien ihres Zusammenlebens selbst bestimmen könnten, dass sie nicht mehr von einem göttlichen Willen abhingen – dieser Gedanke sei radikal neu gewesen, erläutert Marcel van Ackeren.

Doch die Demokratie entstand nicht einfach so. Sie war das Produkt hart verhandelter politischer Kompromisse, sagt der Althistoriker Christian Meyer. Die verschiedenen Schichten der Gesellschaft rangen miteinander um Einfluss, heraus kam eine "starke Bürgeridentität, eine praktische regelmäßige Mitsprache breiter Schichten". Das Ergebnis war somit ein gewisses Gleichgewicht zwischen Adel und Volk, eine "Gleichheitsordnung, in der auf der einen Seite die Gleichheit der Bürger im politischen Sinne künftig galt", so Meyer.

Die griechischen Philosophen argumentieren auf höchstem ethischen Niveau. Eins zu eins lassen sich diese Ideale kaum in die Wirklichkeit übersetzen. Insofern sind sie eine Herausforderung – an der man fast notwendig scheitern muss. Aber vielleicht hält gerade das die Texte und ihre Leser in Schwung.

Autor: Kersten Knipp
Redaktion: Petra Lambeck