Auf schwieriger Mission in China
18. Juni 2019Deutschland ist eine Exportnation. Jeder zweite Arbeitsplatz in der Industrie hängt vom Welthandel ab, auf die gesamte deutsche Wirtschaft bezogen ist es jeder vierte Job. Daher fürchten die Unternehmen kaum etwas so sehr wie Protektionismus. Doch der nimmt rund um den Globus immer weiter zu. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schlug jüngst Alarm. In einer Umfrage gab jedes zweite deutsche Unternehmen an, seit dem letzten Jahr von Handelshemmnissen betroffen zu sein.
"Die Exporterwartungen sind so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr - auch, weil sich die Unternehmen bei ihren Auslandsaktivitäten oft mit Hemmnissen wie Zöllen oder Lokalisierungszwängen zugunsten heimischer Wettbewerber konfrontiert sehen", warnt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Es ist vor allem der Streit zwischen den USA und China, der diese Entwicklung befeuert. Seit Monaten überziehen sich die beiden größten Wirtschaftsmächte der Welt gegenseitig mit Straf- und Sonderzöllen.
Deutschland als Vermittler
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will dem nicht tatenlos zusehen und seine dreitägige China-Reise nutzen, um zu vermitteln. Man müsse das Gespräch suchen und Lösungen finden. "Es macht wenig Sinn, sich über Tausende Kilometer hinweg gegenseitig Schuldzuweisungen auszusprechen", so Altmaier vor seinem Abflug in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Es ist bereits seine zweite China-Visite in diesem Jahr.
In Peking wird der Wirtschaftsminister am Mittwoch (19.06.) Xiao Yaqing, den Minister für Marktregulierung, Miao Wei, den Minister für Industrie und Informationstechnologie und He Lifeng, den Vorsitzenden der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission zu Gesprächen treffen. Am Donnerstagmorgen ist Altmaier mit Vize-Premierminister Liu He verabredet. Anschließend geht es weiter nach Shanghai, wo Gespräche mit Vertretern der deutschen Wirtschaft in China geplant sind und Unternehmensbesuche bei den Niederlassungen von BMW und BASF. An der Tongji Universität wird Altmaier an einer Diskussion über Soziale Marktwirtschaft teilnehmen.
Vorsicht ist geboten
Deeskalation, so lautet Altmaiers Mission. "Wir appellieren an alle Beteiligten, Verhandlungslösungen zu suchen und die vorhandenen multilateralen Strukturen und Instrumente zu respektieren." Das gelte für China und die USA gleichermaßen, betont der Wirtschaftsminister, der unbedingt den Eindruck verhindern will, Deutschland wolle sich mit China gegen die Amerikaner verbünden. Hängt doch die Drohung von US-Präsident Donald Trump, Auto-Importe aus Europa künftig mit höheren Abgaben zu belegen, wie ein Damoklesschwert über den deutschen Autoherstellern.
Doch wird man in Peking überhaupt auf den Gast aus Berlin hören? Die Chinesen sind auf Deutschland derzeit nicht sonderlich gut zu sprechen. Das Verhältnis ist frostig - und das nicht erst, seit in Berlin über die Beteiligung des chinesischen Technikkonzerns Huawei am deutschen 5G-Netz diskutiert wird. Die Stimmung gegenüber seinem Land habe sich deutlich verschlechtert, klagte der Chef der chinesischen Handelskammer in Deutschland, Wei Duan, kürzlich in Berlin. "Das Geschäftsklima ist das schlechteste in der bisherigen Geschichte."
Chinesische Investoren würden in Deutschland behindert, ihr Engagement als Bedrohung dargestellt. "Wir fragen uns: Was wollen die Bundespolitiker? Wollen sie alle chinesischen Investitionen sperren? Sollen wir überhaupt noch nach Deutschland gehen? Kommen noch schlechtere Maßnahmen?", fragte Wei Duan.
Naiv gegenüber China? Das war gestern
Pikanterweise ist Peter Altmaier für diese Entwicklung ein großes Stück mit verantwortlich. Seit einem Jahr führt der CDU-Politiker das Wirtschaftsministerium in Berlin. In dieser Zeit wurde die Außenwirtschaftsverordnung weiter verschärft. Die Prüfschwelle für ausländische Investitionen in deutsche Unternehmen wurde von 25 auf zehn Prozent abgesenkt. Die Liste der Technologien, die als "sicherheitsrelevant" einzustufen sind, wurde erheblich erweitert. Die Bundesregierung kann nun leichter ihr Veto einlegen, wenn sie strategische Investitionen und Übernahmen aus Fernost befürchtet.
Dazu kommt Altmaiers "Deutsche Industriestrategie 2030", die bereits im Herbst endgültig auf den Weg gebracht werden soll. Als der Minister sie im Februar in Berlin vorstellte, warnte er ausdrücklich vor einem wirtschaftlichen Durchmarsch der Chinesen auf Kosten der westlichen Industrienationen. Altmaier will dagegenhalten, indem er Unternehmen, beispielsweise im Bereich der künstlichen Intelligenz, zu europäischen und nationalen Champions ausbauen will. Dafür soll es auch staatliche Beihilfen, also Geld geben.
Die Geschäfte laufen (noch) gut
In den Chefetagen der deutschen Wirtschaft ist man davon nicht begeistert. Auf der anderen Seite wissen auch die Manager, dass im Umgang mit China Stärke gefragt ist. Die Volksrepublik war 2018 erneut Deutschlands größter Handelspartner. Das Handelsvolumen beläuft sich auf rund 200 Milliarden Euro. China ist in der gesamten Region Asien-Pazifik der wichtigste Markt für deutsche Exporte. 2018 wurden Waren im Wert von rund 93 Milliarden Euro dorthin verkauft, das war ein Zuwachs von gut acht Prozent.
Auch die Zahl deutscher Unternehmen, die in China produzieren, ist weiter gewachsen. 2016 beliefen sich die deutschen Direktinvestitionen in China bereits auf rund 76 Milliarden Euro. Das entspricht 6,8 Prozent der gesamten deutschen Auslandsinvestitionen. Allerdings sind ausländische Unternehmen in China weiterhin erheblichen Restriktionen unterworfen. "Wir erleben, dass die Kommunistische Partei den Anspruch auf umfassende Kontrolle aller Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche erhebt", klagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, kürzlich in Berlin. Der Staatssektor werde weiter gestärkt, Ideologie spiele eine herausgehobene Rolle.
Gleiche Spielregeln für alle
Auch das will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Peking ansprechen. Es gehe um gleiche Rechte für Unternehmen, einen vergleichbaren Marktzugang, den Schutz geistigen Eigentums sowie den Verzicht auf staatliche Subventionen. "Über all diese Fragen spreche ich mit meinen chinesischen Kollegen und ich hoffe, dass wir auch Lösungen schrittweise näherkommen", kündigte der Minister an, der auf seiner Reise von einer 20-köpfigen Delegation aus den Reihen der deutschen Wirtschaft begleitet wird.
Es müsse ein Fahrplan entwickelt werden, wie es in den nächsten Monaten und Jahren vorangehen solle. "Wir haben nicht endlos viel Zeit. Deshalb müssen konkrete Fortschritte bald erkennbar werden." Das gilt auch für die angestrebte Reform der Welthandelsorganisation WTO. In diesem Punkt hat Altmaier eine besonders heikle Verhandlungsposition. Denn in einem Teil der Reformvorschläge stimmen die Deutschen mit China überein, in einem anderen aber mit den USA.
Berlin - Peking - Berlin - Washington
Darüber will der Bundeswirtschaftsminister in Kürze auch mit den Amerikanern direkt sprechen. Nach der China-Reise plant Peter Altmaier einen Besuch in den USA. Pendeldiplomatie nennt man das in politischen Kreisen. Für Deutschland steht allerdings deutlich mehr auf dem Spiel als nur die Position eines unbeteiligten Vermittlers. Altmaier kann nur hoffen, dass er in Peking und Washington Gehör findet. Sonst könnten die Deutschen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte, im Handelsstreit auch zum Spielball zwischen den Großmächten werden.