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Altmann: "Mazedonien ist an seiner Belastungsgrenze"

Greta Hamann21. August 2015

Die Flüchtlings-Situation in Mazedonien droht zu eskalieren. Nun hat die Polizei sogar Tränengas gegen Flüchtlinge eingesetzt. Im DW-Interview fordert der Balkan-Experte Franz-Lothar Altmann die EU zum Handeln auf.

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Mazedonien Griechenland Flüchtlinge an der Grenze gestoppt
Bild: Reuters/A. Avramidis

Deutsche Welle: Jeden Tag übertreten rund 2000 Flüchtlinge die Grenze von Griechenland nach Mazedonien. Sie wollen weiter in den Norden. Jetzt hat Mazedonien den Ausnahmezustand ausgerufen und ist dabei, die Grenzen teilweise zu schließen. Ist das derzeit das letzte Mittel, das der Regierung bleibt, um mit den ankommenden Flüchtlingen klarzukommen?

Franz-Lothar Altmann: Vom "letzten Mittel" kann man hier nicht sprechen. Denn es ist ein Mittel, das sicherlich keine Lösung bringen wird. Die Schließung der Grenzen in dem Gebiet zwischen Griechenland und Mazedonien, das man als Niemandsland bezeichnen kann, könnte einen ziemlichen Stau bewirken. Aber es würde vor allem bedeuten, dass Schmuggler die Situation ausnutzen und illegale Wege ins Land gefunden werden. Eine komplette Sperrung der Grenzen soll es aber auch nicht geben. Das hat auch Mazedonien selbst gesagt. Man will durchaus den legalen Übertritt ins Land ermöglichen, aber er soll besser kontrolliert werden.

Infografik Flüchtlinge Balkanroute (DW-Grafik: Peter Steinmetz)

Aus diesem Grund wurde jetzt auch der Ausnahmezustand ausgerufen. Was bedeutet das genau?

Das bedeutet, dass nun auch Soldaten an die Grenzen geschickt werden können. Der Ausnahmezustand gilt ja auch nur für die Grenzregion. Dort soll das Militär die Polizei bei der Registrierung der Flüchtlinge unterstützen. Die Polizei ist angesichts der Menge der Flüchtlinge überfordert bei der Registrierung. Diese ist wiederum wichtig für Mazedonien. Die Leute bekommen eine Art Passierschein, der sie berechtigt, innerhalb von 72 Stunden durch das Land zu reisen, Richtung Serbien. Nach drei Tagen müssen sie dann das Land verlassen haben. Wenn die Flüchtlinge nicht registriert werden, hat die Regierung in Skopje Angst, dass die Leute bleiben. Damit wäre Mazedonien, das ohnehin schon in einer schwierigen Situation steckt, überfordert.

Wie schätzen Sie die Situation in Mazedonien ein? Ist das Land wirklich an seiner Belastungsgrenze, wie es auch viele Hilfsorganisationen und Politiker vor Ort sagen?

Ja, Mazedonien ist definitiv an seiner Belastungsgrenze. Das Land ist schon seit Längerem in einer sehr schweren Wirtschaftskrise, es gibt eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. Deswegen versucht man, die Leute so schnell wie möglich durch das Land zu bekommen, damit sie nicht zu einer dauerhaften Belastung werden. Wenn jetzt 2000 Flüchtlinge pro Tag kommen, kann man sich vorstellen, dass so ein armes Land mit gerade mal zwei Millionen Einwohnern mit dieser Menge einfach nicht mehr fertig wird. Die Versorgung funktioniert nicht, die Flüchtlinge kampieren irgendwo auf dem Feld, es gibt keine Auffanglager, wo sie versorgt werden. Es gibt zwar private Flüchtlingsinitiativen, die versuchen den Leuten mit Wasser und mit Nahrung zu helfen. Aber die Regierung selbst scheint total überfordert zu sein.

Die Flüchtlinge, die in Mazedonien ankommen, kommen aus Griechenland, also der EU. Und sie wollen weiter nach Ungarn, wieder in die EU. Sie nehmen den Weg über Mazedonien und Serbien, weil das für sie der kürzeste und derzeit einer der einfachsten Wege ist. Die mazedonische Regierung hat die EU bereits um Hilfe gebeten und angeklagt, sie sei in der Pflicht, zu handeln. Wie sehen Sie die Rolle der EU?

Die EU muss hier helfen. Sie muss zumindest Zeltlager aufstellen, um die Leute zu versorgen. Viele schlafen teilweise auf dem freien Feld. Sie brauchen medizinische Zwischenversorgung. Es muss geholfen werden. Aber dann ist auch das, was unter anderem von deutscher Seite vorgeschlagen wurde, spätestens mittelfristig notwendig. Die Flüchtlinge müssen schon in den Ankunftsländern, ob in Griechenland oder in Italien, von der EU registriert und von da aus auf die einzelnen EU-Länder verteilt werden. Das Problem ist, dass sich ein Großteil der EU-Länder weigert, diese Quoten der EU anzunehmen. Doch jetzt ist die EU gefragt, Ländern wie Griechenland und Mazedonien - und wahrscheinlich demnächst auch Serbien - zu helfen.

Franz-Lothar Altmann (Foto: DW)
Altman ist Professor an der Universität BukarestBild: DW

Franz-Lothar Altmann ist Professor an der Abteilung für Internationale und Interkulturelle Beziehungen der Universität Bukarest und gehört dem Präsidium der Südosteuropa-Gesellschaft München an. Außerdem ist er Mitglied des BTI-Boards (Bertelsmann Transformation Index).

Das Interview führte Greta Hamann.