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Was der Westen an der Klimakrise nicht versteht

Ben Knight
6. November 2019

Im Roman "Die Inseln" von Amitav Ghosh steht der Klimawandel im Zentrum. Der viel prämierte Autor erzählt DW-Reporter Ben Knight, wie verschieden die Krise auf der östlichen und westlichen Erdhalbkugel wahrgenommen wird.

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Indien Schriftsteller Amitav Ghosh
Bild: picture-alliance/Eidon/MAXPPP/dpa/D. Giagnori

Als kleiner Junge war Amitav Ghosh völlig klar, woher die Ananas kamen, die auf seinem Teller landeten. "Sie kamen aus dem Garten. Ich habe zugeschaut, wie die Leute sie in kleine Stücke schnitten", erzählt er.

Sein Garten lag im indischen Kalkutta - mein Garten in einem Vorort von Manchester in England. Es gab dort nur etwas Gras, einen Baum und einen alten Fußball. Trotzdem aßen auch wir Ananas in kleinen Stücken, allerdings meistens aus der Dose. Ich habe nie darüber nachgedacht, woher die Früchte kamen.

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Bei einem Treffen mit Amitav Gosh sind wir darauf zu sprechen gekommen. Ich besuchte den indischen Autor im September in Brooklyn. In seiner Küche sprachen wir über unsere Erinnerungen. Wie unterschiedlich man etwas wahrnimmt, ist auch Thema in seinem Werk "Die große Verblendung. Der Klimawandel als das Undenkbare" aus dem Jahr 2016.

Der Autor stellt gleich zu Beginn die Frage, warum es so schwierig ist, den Klimawandel in einem modernen englischsprachigen Buch zum Thema zu machen - zumindest dann, wenn es kein Science-Fiction-Roman ist. Sein Schluss: Die westliche Literatur war in den letzten 200 Jahren in einer Welt gefangen, in der die menschliche Komödie und Tragödie nichts mit Umweltthemen zu tun hatte. In dem Buch erörtert Ghosh auch die Dynamik der Macht. Seiner Meinung nach führt diese dazu, dass die Klimadebatte in der östlichen Hemisphäre ganz anders geführt wird, als in der westlichen.

Westliche Romane, meint er, müssten meistens zwei Vorgaben erfüllen: Sie müssten plausibel sein und menschliches Handeln beschreiben. Könnte sowas passieren? Schafft unser Held es, sich durch sein moralisches Abenteuer zu kämpfen? Sein neues Werk "Die Inseln" ist in gewisser Weise der Versuch, sich von diesen Konventionen zu befreien. Es ist voller anormaler Taifune und unwahrscheinlicher Zufälle  - und macht den Klimawandel zur Rahmenhandlung.

BdTD Indien Gebet im überschwemmtem Tempel
Amitav Ghosh sagt, dass für viele Menschen die Klimakatastrophe bereits eingetreten ist Bild: Getty Images/AFP/U.S. Mishra

Krise und Erkenntnis

Sein Buch "Die große Verblendung" unterscheidet sich auch von anderer erst kürzlich erschienener Literatur, die sich mit dem ökologischen Untergang beschäftigt - "Die unbewohnbare Erde" von David Wallace-Wells (2019) oder "Confessions of a Recovering Environmentalist" (2017) von Paul Kingsnorth beispielsweise. Die Bücher handeln von Menschen in den USA beziehungsweise in Großbritannien, die eine schreckliche Erfahrung gemacht haben und jetzt versuchen, damit umzugehen.

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Auch Ghosh ist sich der existenziellen Bedrohung bewusst, doch er scheint keine Angst zu haben. Er ist der Meinung, dass die aktuelle Krise viel mehr über die koloniale Vergangenheit aussagt als über eine zerstörte Zukunft. Für einige Menschen auf dieser Welt ist die Katastrophe bereits eingetreten.

"Ich habe einen Freund, der Philosoph ist und sagt: Alle Zukunftsprojektionen sind grundsätzlich Projektionen der Macht", erzählt er. "Deshalb sind es fast immer die Weißen, die diese Projektionen machen, weil sie tatsächlich das Verschwinden der Macht in die Zukunft projizieren. Ich weiß nichts über die Zukunft."

"Ich komme aus einem Teil der Welt, in dem wir nie rosige Erwartungen an die Welt oder an die Zukunft hatten", sagt Ghosh. "Wir wussten, dass es viele Veränderungen geben würde und erlebten diese Veränderungen hautnah. Menschen im Westen, glaube ich, wird der Glaube an Stabilität und ein Zukunftsversprechen mitgegeben. Das war bei mir nie so."

Laut Amitav Ghosh ist der Westen dazu übergegangen, sich auf "Experten-Diskurse" von Wissenschaftlern zu verlassen. Das führe dazu, dass die Forschung den angsterfüllten Menschen Hoffnung gibt - Hoffnung in eine wirtschaftsfreundliche, nachhaltige Entwicklung, in Biokraftstoffe oder klimafreundliche Technologien, von denen  sie glauben, dass sie das System retten werden, bevor es zusammenbricht.

Indonesien Smog aufgrund von Waldbränden
Zunehmende Waldbrände, Überschwemmungen und Dürren treffen vor allem die ärmeren Länder Bild: Getty Images
Indien Wasser und Umwelt
Ghosh sieht den Klimawandel als einen Aspekt des Britischen Empires Bild: Getty Images/AFP/A. Dey

Dass eine grundlegende wirtschaftliche Anpassung möglich wäre, die auch eine Neuverteilung der Ressourcen vorsieht, sei zu furchteinflößend. Das Ende des Kapitalismus werde als genauso schlimm empfunden wie das Ende der Welt.

"Die Menschen, die die Klimakrise zuerst erlebt haben, stehen am anderen Ende: Bauern, Fischer, Inuit, indigene Völker, im Wald lebende Völker in Indien. Die mussten sich bereits anpassen, meistens, indem sie ihre Heimat verließen, auf der Suche nach einer neuen Lebensgrundlage", berichtet Ghosh . "Und indigene Völker haben bereits das Ende der Welt durchlebt und Wege gefunden, zu überleben."

Das Britische Empire

Ghosh hält es für keinen Zufall, dass die bereits erwähnten Vorgaben für Romane in der Zeit entstanden, als der Westen anfing, fossile Brennstoffe zu nutzen, um sein Weltmachtstreben voranzutreiben.

"Der Klimawandel ist ein wichtiger Aspekt des Britischen Empires", sagt er. "Das Kolonialreich wurde im Grunde mit fossilen Brennstoffen errichtet. Es war die britische Vorherrschaft über die Kohle, die ihnen den großen militärischen Vorteil gegenüber dem Rest der Welt verschaffte."

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Dies sei auch einer der Gründe, warum erneuerbare Energien eine Bedrohung für das System darstellen, das der Westen über Jahrhunderte aufgebaut und verteidigt habe. "Eines ist sicher, wenn im großen Stil auf erneuerbare Energien umgestellt würde, dann würde das die globale, politische Ordnung völlig durcheinanderbringen", sagt Ghosh. Denn: Öl und Gas müsse durch Meerengen geleitet werden, die von den USA, Australien, Großbritannien und Kanada kontrolliert werden. Das würde diesen Ländern einen großen geopolitischen Vorteil verschaffen.

Indien Wasser und Umwelt
Ghosh sagt, dass Bauern, Fischer, Inuit und indigene Völker den Klimawandel schon hautnah erlebt haben Bild: Getty Images/AFP/M. Kiran

Macht und Gerechtigkeit

So gesehen sei es kein Wunder, dass der Klimawandel im Westen vor allem Ängste vor dem sozialem Abstieg und dem Aussterben auslöst. "Ich denke, die Menschen im Westen spüren, dass sich die gesamte Ordnung in einer Weise verändert, die für sie extrem bedrohlich ist", sagt Ghosh.

Darum stehe das Problem der historischen Ungerechtigkeit für die Menschen der östlichen Hemisphäre im Mittelpunkt der Klimadebatte. "Wenn Sie zu einem Indonesier, Inder oder Chinesen gehen, zu Menschen also, die sich der Klimarisiken durchaus bewusst sind, und sagen: 'Warum reduziert ihr nicht sofort alle Emissionen?' Was werden Sie zu hören bekommen? Die Antwort, immer hochpolitisch, lautet: 'Der Westen hat das Problem geschaffen, sollen sie dort zuerst alles aufgeben.' Das ist das schreckliche Dilemma, in dem wir stecken."

Der Klimawandel hat in den Entwicklungsländern bereits viel Verwüstung angerichtet. Trotzdem geht man davon aus, dass der Reichtum, den die Menschen über Jahrhunderte aufgebaut haben, bei einem totalen ökologischen Zusammenbruch als Puffer dienen und Schlimmeres verhindern wird.

"Uns wird immer erzählt, dass sich die reichen Länder besser anpassen können. Ich glaube nicht, dass das tatsächlich der Fall ist", sagt Ghosh. "Ich denke, Länder mit sehr komplexen Systemen, wie die USA und Europa, sind in vielerlei Hinsicht viel fragiler. Denken Sie nur an die Verteilung von Lebensmitteln."

Und so sind wir auf die Ananas gekommen. Es ist einfacher, sie zu bekommen, wenn sie in deinem Garten wächst.