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Amnesty: "Boko Haram ist noch nicht besiegt"

Mark Caldwell/tk14. April 2015

Auch ein Jahr nach der Entführung der Schülerinnen von Chibok sei die Gefahr in Nigeria noch nicht gebannt, sagt Daniel Eyre von Amnesty International im DW-Interview. Die Regierung müsse die Bevölkerung schützen.

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Nigeria Kind Flüchtlingscamp Boko Haram Malen
Bild: Desmazes//AFP/Getty Images

Deutsche Welle: Vor einem Jahr entführte Boko Haram mehr als 200 Mädchen aus einer Schule in Chibok. Laut Amnesty International hat die islamistische Miliz aber noch viel mehr Menschen entführt. Ihre Organisation geht von 2000 Frauen und Mädchen aus, die seit Anfang 2014 verschleppt worden sind. Was ist mit ihnen passiert?

Daniel Eyre: Uns liegen Informationen von denjenigen vor, die entkommen sind. Sie berichten von Folter, Vergewaltigungen und von Zwangsverheiratung. Einige wurden auch zu Kämpferinnen ausgebildet. Wir haben mit einer 19-Jährigen gesprochen, die vergangenen September in ein Boko-Haram-Lager verschleppt wurde. In drei Monaten wurde sie mehrmals vergewaltigt, unter anderem von sechs Männern gleichzeitig. Boko-Haram-Kämpfer zeigten ihr zudem, wie man schießt und Bomben abfeuert. Sie musste bei einem Angriff auf ihr Heimat-Dorf mitmachen. Das ist nur eine der vielen entsetzlichen Geschichten von Menschen, die fliehen konnten.

Wie kann es sein, dass Boko Haram ungestraft operieren kann?

In der zweiten Jahreshälfte 2014 ist es Boko Haram gelungen, die Kontrolle über einige der wichtigsten Städte im Nordosten Nigerias zu erlangen. Zunächst vertrieben sie die Soldaten aus den Militärstützpunkten und erbeuteten die dort gelagerten Waffen. Mit diesen Waffen griffen sie weitere Ziele an. Seit 2014 hat Boko Haram mehr als 5500 Zivilisten getötet. Die Terror-Organisation ist dadurch in den vergangenen15 Monaten immer stärker geworden. Erst seit Mitte Februar 2015 konnte das nigerianische Militär mit Unterstützung von anderen Ländern Boko Haram aus wichtigen Städten zurückzudrängen. Das heißt aber nicht, dass der Konflikt vorbei ist. Selbst während dieser Zeit hat Boko Haram Zivilisten angegriffen. Ein Dorfbewohner erzählte mir, in seinem Dorf seien 27 Männer hingerichtet worden.

Schwächt die Militäroffensive der Regierung Boko Haram und kann sie damit die Verschleppung weiterer Opfer verhindern?

Leider ist es noch zu früh, um das abzuschätzen. Erst letzte Woche berichtete mir ein Dorfbewohner von einem Angriff auf sein Dorf am 27. März. Noch auf der Flucht vor dem Militär hat Boko Haram viele Dörfer zerstört. Satellitenbilder zeigen, dass Boko Haram allein in der Stadt Bama etwa 5900 Häuser zerstörten. Sie haben die Häuser angezündet, kurz bevor sie flohen, und Menschen sind darin verbrannt. Boko Haram ist immer noch sehr gefährlich.

Was muss der neue nigerianische Präsident Muhammadu Buhari unternehmen, um Boko Haram und den Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen?

Der Schutz der Zivilbevölkerung muss bei den Militäroperationen oberste Priorität haben. Zwar war es ein großer Verdienst, die Terrormiliz aus einigen Städten zu vertreiben; wie ich aber schon geschildert habe, greifen die Extremisten weiterhin Dörfer an. Zweitens muss die Regierung sicherstellen, dass Menschen in Not auch Zugang zu Hilfsleistungen bekommen. Viele, die ihr Zuhause verlassen haben, sind geschwächt, unterernährt oder krank. Das ist eine große Belastung für die Gemeinden, die sie aufnehmen. Amnesty International appelliert zudem an die nigerianische Regierung, Boko Harams Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Ist das auch eine Aufgabe für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)?

Zuallererst ist es die Aufgabe der nigerianischen Regierung. Wir hoffen, dass der IStGH unseren Bericht zu Kenntnis nimmt und bei seinen vorläufigen Untersuchungen berücksichtigt, die schon in Gange sind. Amnesty International und der IStGH aber erwarten vor allem von der Regierung Nigerias, die Initiative zu ergreifen und zu zeigen, dass sie bereit und fähig ist, die Strafverfolgung anzugehen.

Daniel Eyre ist Nigeria-Experte bei Amnesty International.

Das Interview führte Mark Caldwell.