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Stich ins Wespennest

Christoph Hasselbach12. August 2015

Der Internationale Rat der Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat beschlossen, sich für eine Legalisierung von Prostitution einzusetzen. Viele Frauenrechtlerinnen sind begeistert, andere entsetzt.

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Bordellfenster (Foto: picture-alliance/Joker/A. Stein)
Bild: picture-alliance/Joker/A. Stein

Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty nannte es einen "historischen Tag" für die Organisation. Doch historisch ist vor allem die Woge der Kritik, die sich jetzt über Amnesty ergießt. Shetty begründete die Entscheidung damit, Prostituierte seien "eine der am meisten vernachlässigten Gruppen der Welt, die in den meisten Fällen ständig der Gefahr von Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt" seien. Ziel sei, die Rechte von Prostituierten zu schützen. Doch Amnesty will sich damit auch für die Entkriminalisierung von Zuhältern und Bordellbetreibern einsetzen. Vor allem daran entzündet sich die Kritik.

Es nützt der Organisation nichts, dass sie ausdrücklich von Sex in gegenseitigem Einverständnis zwischen Erwachsenen spricht. Es geht also weder um Minderjährige noch um Zwangsprostitution oder Menschenhandel. Auch die Beteuerung, der Beschluss ändere nichts daran, dass für Amnesty Zwangsarbeit und Menschenhandel mit dem Ziel sexueller Ausbeutung weiterhin schwere Menschenrechtsverstöße seien, versöhnt die Kritiker keineswegs.

"Amnesty auf der Seite von Zuhältern"

Lea Ackermann, Gründerin der Hilfsorganisation Solwodi, die sich um die Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Beziehungsgewalt kümmert, sagte der "Osnabrücker Zeitung": "Amnesty stellt sich auf die Seite von Zuhältern und Menschenhändlern."

Meryl Streep Foto: "picture-alliance/dpa/F. Arrizabalaga
Die Schauspielerin Meryl Streep hat den offenen Brief gegen den Beschluss mit unterzeichnet.Bild: picture-alliance/dpa/F. Arrizabalaga

Entsetzt ist man auch bei der deutschen feministischen Zeitschrift "Emma". Sie ruft schon jetzt das "unrühmliche Ende der Menschenrechtsorganisation" aus und schreibt: Die Organisation, die einst zum Schutz politischer Gefangener gegründet worden sei, wolle "ausgerechnet diejenigen, die Milliarden an dem Handel mit Frauen verdienen, vor Bestrafung schützen und schlägt sich jetzt auf die Seite der Täter".

Bereits vor dem Beschluss hatte das Bündnis gegen Frauenhandel, CATW, in einem offenen Brief gesagt, das Ansehen von Amnesty International werde "ernstlich beschmutzt", wenn die Organisation so entscheide, wie sie dann entschieden hat.

Darunter finden sich auch so prominente Namen wie die Hollywood-Schauspielerinnen Meryl Streep, Kate Winslet und Emma Thompson. Eine Online-Petition gegen den Beschluss hatten mehr als 8500 Menschen unterzeichnet.

Lob vom Berufsverband der Prostituierten

Es gibt aber auch Zustimmung. Und die kommt vor allem aus dem Gewerbe selbst. So sagte Johanna Weber, die politische Sprecherin des deutschen Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen: "Wir brauchen mehr Rechte, denn das ist unser Schutz, und keine Verbote." Auch für den Deutschen Frauenrat, einen breiten Dachverband von Frauenorganisationen in Deutschland, ist der Beschluss positiv. Susanne Kahl-Passoth, die stellvertretende Vorsitzende des Rates, sieht die Entscheidung als Stärkung der Frauenrechte.

Claudia Zimmermann-Schwarz, Abteilungsleiterin im nordrhein-westfälischen Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, versteht die ganze Aufregung nicht. im Gespräch mit DW betont sie, es gehe schließlich "um die einvernehmliche Sexualität, die mit Entgeld bezahlt wird, zwischen erwachsenen Menschen, und nicht um Abhängigkeit, Ausbeutung oder Menschenhandel." Sie habe sich "riesig über diese Entscheidung gefreut".

Zimmermann-Schwarz hat mehrere Jahre den "Runden Tisch Prostitution" in Nordrhein-Westfalen geleitet. Als Erfahrung daraus rät sie, sachlich und unvoreingenommen an die Materie heranzugehen: "Nur durch das unmittelbare Gespräch mit Menschen aus der Branche konnten die vielen falschen inneren Bilder, die wir alle von Prostitution haben, abgeräumt werden, und wir konnten einen realistischen Blick gewinnen." Wer sage, Amnesty setze sich jetzt auch für Zuhälter ein, betreibe eine "Skandalisierung, die dem Thema überhaupt nicht gerecht wird." Zimmermann-Schwarz lobt den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen und seine "mutigen Menschen, die dazu stehen, was sie tun".

Große Unterschiede

Die Empörung spiegelt wohl auch unterschiedliche kulturelle und moralische Welten und unterschiedliche Gesetzgebungen zur Prostitution wider. Auch innerhalb Europas prallen diese Welten aufeinander. So hat die französische Nationalversammlung vor kurzem beschlossen, künftig Freier zu bestrafen, nicht aber die Prostituierten. Das heißt, der Kauf von Sex soll strafbar werden, nicht aber der Verkauf. Dieses sogenannte Nordische Modell gilt in Island, Schweden und Norwegen. Legal und geregelt ist Prostitution unter anderem in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz. Zwangsprostitition ist aber überall in Europa verboten.

Traktat mit der Aufschrift "Sexarbeit ist Arbeit" Foto: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt
Ganz normale Arbeit?Bild: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt

Amnesty-Vertreter sagen, die Delegierten hätten es sich bei dem Beschluss wirklich nicht leicht gemacht. Man habe zahlreiche Betroffene gehört und die Vereinten Nationen, Hilfsorganisationen und Menschenrechtsanwälte konsultiert. Bei den scharfen Kritikern dürfte dieser Hinweis allerdings wenig ausrichten.