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Angela Merkel: "Ja, ich bin Feministin"

9. September 2021

Ungewohnte Töne von der Kanzlerin: Erstmals in ihrer Amtszeit bekannte sie sich im Gespräch mit der Autorin Chimamanda Ngozi Adichie zum Feminismus.

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Angela Merkel im blauen Blazer sitzt auf einem Stuhl
Angela Merkel ließ erstaunliche Einblicke in ihr Privatleben zu Bild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

So hat man die deutsche Bundeskanzlerin selten erlebt: Sehr persönlich, sehr offen. Am Mittwoch (08.09.2021) traf Angela Merkel auf die nigerianische Schriftstellerin und feministische Ikone Chimamanda Ngozi Adichie. Moderiert wurde die Diskussionsrunde, die anlässlich der Eröffnung von "Theater der Welt" in Düsseldorf stattfand, von der Publizistin Miriam Meckel und der Journalistin Léa Steinacker, die die beiden Frauen abwechselnd befragten. Die Gesprächsrunde konzentrierte sich auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Frauen: Adichie als führende feministische Autorin und Merkel als die mächtigste Politikerin der Welt. Die beiden sprachen locker und offen über Politik und Demokratie, Social Media und Mode.

"Ja, ich bin Feministin"

Es ging auch um Privates. So sprach Merkel über ihre Kindheit, den Tod ihrer Mutter und über ihre Zukunftspläne. Ein großes Thema auf der Theaterbühne war der Feminismus. Merkel war auf einem hochkarätigen Frauengipfel 2017 gefragt worden, ob sie sich denn für eine Feministin halte. Damals hatte sich Merkel noch zurückgehalten: Sie habe sich nicht "mit fremden Federn schmücken" wollen; andere wie Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer haben gekämpft für etwas, das sie, Merkel, sich nicht einfach zu eigen machen wollte. Ihre Haltung dazu hat sich verändert, und das Tor dorthin habe ihr Königin Maxima von den Niederlanden geöffnet: "Sie hat zu mir gesagt, im Kern gehe es doch darum, dass Männer und Frauen in der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am gesamten Leben gleich sind. Und in diesem Sinne kann ich heute bejahend sagen, dass ich Feministin bin." Unter Applaus fügt Merkel hinzu, dass alle Feministen sein sollten.

Festivaleröffnung von Theater der Welt: Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie stehen nebeneinander auf der Bühne
Angela Merkel und Chimamanda Ngozi AdichieBild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Kampf um den Experimentiertisch

Merkel erzählte dem Publikum, was sie als junges Mädchen geprägt hat: "Dass ich als Kind mit geistig behinderten Menschen aufgewachsen bin und da keine Furcht und Berührungsängste hatte", führte sie an. Prägend sei auch gewesen, dass sie Physik studiert habe. Etwa 80 Prozent der Studierenden seien Männer gewesen. Die hätten immer gleich losgelegt, sodass sie oft keinen Experimentiertisch mehr abbekommen habe. Da habe sie dann gelernt, sich in einem männlich dominierten Umfeld ihren Platz zu erkämpfen.

Überschaubares Outfit

Natürlich durfte auch die Frage nach Angela Merkels Garderobe nicht fehlen. So brachte die Bundeskanzlerin das Publikum mit den Worten: "Mein Outfit ist überschaubar" zum Lachen. Ihr schlichter Kleidungsstil ist ihr Markenzeichen und brachte neben Anerkennung auch Kritik ein, etwa von dem 2019 verstorbenen Modezaren Karl Lagerfeld, der sich einmal bereit erklärt hatte, die Kanzlerin in Modefragen zu beraten. Merkel erfreue sich an Farben, sagte sie. "Das ist ja auch in afrikanischen Ländern sehr ausgeprägt." Damit wandte sie sich an Chimamanda Ngozi Adichie und fügte hinzu, dass das Problem sei, dass man in Deutschland viel zu wenig über die verschiedenen afrikanischen Kulturen und die ethnische Vielfalt des Kontinents wisse. "Wir müssen interessierter sein, dann können wir auch viel entdecken. Und deshalb, finde ich, kann Mode ja auch ein Anknüpfungspunkt sein, wo man mal drüber spricht: Wie zieht man sich bei euch an, wie zieht man sich bei uns an - wo sind die Gemeinsamkeiten und wo sind die Unterschiede."

Nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Adichie im orangen Pulli
Die modebewusste Chimamanda Adichie bei der Pariser Fashion WeekBild: Getty Images/F. Durand
Angela Merkel steht am Rednerpult
Ein farbiger Blazer und eine Halskette - Angela Merkels "Arbeitskleidung"Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

"In Deutschland hat sich etwas verändert"

Merkel sprach auch darüber, wie sich die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat: "Bei uns in Deutschland hat sich auf jeden Fall etwas verändert. Mir wäre es vor 20 Jahren nicht so aufgefallen, wenn in einer Diskussionsrunde nur Männer gesessen hätten. Heute finde ich das nicht mehr okay. Da fehlt was." Es gäbe schon einen kleinen Fortschritt, aber man sei noch lange nicht bei gleicher Teilhabe angekommen, so die Kanzlerin.

Demokratie vs. Freiheit

In der Gesprächsrunde ging es auch um Freiheit und Demokratie. Auf die Frage, ob Freiheit nicht auch der Demokratie entgegen wirkt, meinte Merkel: "Um die Demokratie zu bewahren, brauchen wir mehr als nur Politik", sagte Merkel und fügte hinzu, dass Kultur, eine philosophische Sicht auf die Welt, Religion und Geschichte - die Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen - bewahrt werden müssen, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten.

"Wir Politiker können anderen nicht befehlen, dies und jenes zu tun. Gute Politik kann Demokratie fördern, indem sie Anreize schafft, aber sie kann sie nicht erzwingen. Wenn jeder beschließt, die Verkehrsregeln zu brechen, können wir nicht jeden zum Polizisten machen. Die rechtsstaatliche Demokratie lebt davon, dass sie ein hohes Maß an Akzeptanz in der Bevölkerung hat und diese Akzeptanz muss von jeder neuen Generation gelernt werden."

Was kommt nach der Kanzlerschaft?

Auf die Frage, ob sie ruhigen Gewissens aus dem Amt scheide, antwortete die Bundeskanzlerin mit einem sehr klaren "Ja" - und fügte unter dem Applaus des Publikums hinzu: "Ich finde, dass ich meinen Beitrag geleistet habe." Jetzt brauche das Land etwas Neues.

Am 26. September wird in Deutschland ein neues Parlament gewählt, das Merkels Nachfolgerin oder Nachfolger bestimmen wird. In den letzten Wochen hat Merkel den Kandidaten der Christlich Demokratischen Union (CDU), Armin Laschet, nachdrücklich als ihren Nachfolger befürwortet.

Sie selbst brauche jetzt nach 16 Jahren als Bundeskanzlerin erst mal Zeit, um sich über ihre nächsten Schritte klar zu werden. "Ich habe mir vorgenommen, erst mal nichts zu machen und warte mal, was so kommt. Und das, finde ich, ist sehr faszinierend."

kb/rs/sw/mb/suc (AFP, dpa)