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Angst deutscher Gewerkschaften vor Lohndumping

17. März 2023

Die Bundesregierung plant, die Zahl der Personen aus den Westbalkanstaaten zu verdoppeln, die unabhängig von ihrer Qualifikation ein Arbeitsvisum erhalten können. Gewerkschaften befürchten billige Arbeitskräfte.

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Symbolbild | Fachkräftemangel in Deutschland
Bild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Laut Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gibt es zurzeit in Deutschland 1,98 Millionen offene Stellen. Um dem jetzt schon chronischen Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, plant die Bundesregierung, die bestehende Gesetzgebung zur Arbeitsmigration zu liberalisieren. Ein Teil des Gesamtpakets ist auch die sogenannte "Westbalkanregelung" (WBR).

Geplant sind zwei wesentliche Veränderungen. Einerseits soll sie entfristet werden - die bisherige Regelung ist nur noch bis Ende 2023 gültig. Andererseits soll das Kontingent auf 50.000 Arbeitssuchende jährlich verdoppelt werden.

Arbeitserlaubnis - ohne Qualifikation

Als in der zweiten Hälfte des Jahres 2015, auf dem Höhepunkt der sogenannten "Flüchtlingskrise", etwa eine Million Geflüchtete - überwiegend aus Syrien, Afghanistan und dem Irak - über die Balkanroute nach Deutschland kamen, schlossen sich ihnen auch zahlreiche Menschen aus sechs Westbalkanländern an - Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Sie stellten damals etwa 30 Prozent der Asylanträge, die Erfolgsaussichten waren allerdings eher gering: Nur etwa fünf Prozent bekamen einen positiven Asylbescheid.

Um die aufwendigen Rückführungsaktionen zu vermeiden, schloss die damalige Regierung der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit diesen Ländern ein Abkommen über die Aufnahme der abgeschobenen Personen sowie über die Prüfung der Ausreisewilligen schon in ihren Herkunftsländern.

Großer Bedarf: Pflegekräfte aus den Westbalkanländern sind in Deutschland sehr gefragt
Großer Bedarf: Pflegekräfte aus den Westbalkanländern sind in Deutschland sehr gefragtBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Zusätzlich dazu wurde 2016 die Westbalkanregelung verabschiedet. Sie sieht ein Kontingent von Arbeitssuchenden vor, die ohne große bürokratische Hürden nach Deutschland kommen können, um hier zu arbeiten. Das Besondere dabei: Dieser Personenkreis - anders als etwa Fachkräfte, die im Rahmen der Blue-Card-Regelung eine Arbeitsstelle suchen - braucht keine Qualifikation vorzuweisen.

Es gibt nur zwei Voraussetzungen: Der Antrag auf Arbeitserlaubnis muss bei den deutschen Vertretungen in diesen Ländern gestellt werden, und man darf vorher nicht versuchen, Asyl zu beantragen.

Eine Win-Win-Situation?

Die Regelung sollte alle Seiten befriedigen. Einerseits wurde eine geregelte und erleichterte Einwanderung von ungelernten oder mittelqualifizierten Arbeitnehmern in den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht.

Andererseits sollte die Maßnahme auch die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt in den Herkunftsländern entlasten. So beträgt etwa in Kosovo die allgemeine Arbeitslosigkeit knapp 21 Prozent, während die Quote bei den Jugendlichen sogar rund 55 Prozent erreicht. In Bosnien und Herzegowina oder in Nordmazedonien liegt die Jugendarbeitslosenquote bei über 35 Prozent.

So verwundert es nicht, dass aufgrund der bisher gültigen Westbalkanregelung die Bundesagentur für Arbeit bis Ende 2020 etwa 260.000 Grundsatzgenehmigungen und 98.000 Arbeitsvisa an Arbeitnehmer aus den Westbalkanländern erteilt hat.

Angst vor Lohndumping

Durch die geplanten Änderungen sollen diese Zahlen angehoben werden, was - wie erwartet - von den Arbeitgebervertretern sehr begrüßt wird. Schließlich üben sie permanenten Druck auf die Regierung aus, die Einwanderungsbedingungen für die fehlenden Arbeitskräfte zu liberalisieren.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist hier vorsichtiger. Man begrüße zwar die Arbeitsmigration, sagt Evelyn Räder, beim DGB-Vorstand zuständig für die Arbeitsmarktpolitik. Doch sie betont, dass die Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer aus den Westbalkanländern sehr wichtig seien: "Die Menschen, die kommen, sind weitgehend abhängig von ihrem Arbeitgeber. Sie haben eine Aufenthaltserlaubnis, die an ihren Arbeitsplatz geknüpft ist. Das löst Ängste aus, dass sie, wenn sie nicht spuren, zurückgeschickt werden", sagt Räder. Zudem sprechen sie oft kein Deutsch und werden nicht über ihre Rechte aufgeklärt. All dies führe in der Praxis dazu, dass diese Arbeitnehmer schlechtere Arbeitsbedingungen akzeptierten - was in der Folge zu Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt führen könne, gibt Räder zu bedenken.

Nicht "Fachkräfte", sondern "Arbeiter"

Drei Viertel der Arbeitnehmer aus den Westbalkanländern arbeiten auf Baustellen, in der Gastronomie und in der Alten- und Krankenpflege, 44 Prozent allein auf dem Bau. Meist handelt es sich dabei um Nebenjobs mit relativ niedrigen Löhnen.

Drei Viertel der Arbeitnehmer aus den Westbalkanländern arbeiten auf Baustellen
Drei Viertel der Arbeitnehmer aus den Westbalkanländern arbeiten auf BaustellenBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Obwohl die Bundesregierung die Reform des Arbeitsrechts in Bezug auf ausländische Arbeitnehmer damit begründet, dem Fachkräftemangel im Land entgegenzuwirken, weicht die Westbalkanregelung davon ab, da keine Qualifikation erforderlich ist, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten.

Dabei geht es laut DGB-Einschätzung gar nicht darum, Fachkräfte anzuwerben, sondern Arbeitskräfte für einfache Tätigkeiten zu gewinnen. "Es ist ein reines Arbeitskräftebeschaffungsprogramm zugunsten von Arbeitgebern, die über diesen Weg Arbeitskräfte gewinnen, die sie aber bei Bedarf schnell wieder loswerden können", sagt Räder.

Prekariat auf Baustellen

Besonders ausgeprägt ist dies in der Baubranche. Der Hauptverband der Bauindustrie hat im vergangenen Jahr die Verlängerung des jahrzehntelangen Tarifvertrags gekündigt. Arbeiter können nun mit einem gesetzlich garantierten Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde bezahlt werden, was weniger ist als die früheren Stundenlöhne, die auf Baustellen im Durchschnitt zwischen 13 und knapp 16 Euro lagen.

Auf diese Weise können Arbeitgeber Druck auf alle ausüben, die einen höheren Lohn einfordern - es gibt immer billigere Arbeitskräfte. Gleichzeitig müssen sie keine Klagen befürchten: Arbeiter vom Westbalkan sind eine besonders gefährdete Gruppe, sie kennen ihre Rechte nicht, und für viele sind selbst diese schlechteren Arbeitsbedingungen im Vergleich mit der Lage in ihren Heimatländern akzeptabel. Zudem gibt es praktisch keine wirksamen staatlichen Kontrollen.

Arbeitnehmerschutz und Tarifautonomie

"Wir befürchten, dass auf diese Weise Druck auf die Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten in der Baubranche entsteht. Es wird schwieriger, gute Tarifverträge abzuschließen, und ohne sie entsteht einfach ein Dumpingprogramm zur Lohnsenkung", warnt Evelyn Räder vom DGB.

Arbeitende Migranten in Deutschland
"Es wird schwieriger, gute Tarifverträge abzuschließen", befürchtet der DGBBild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Die Lösung sieht der Deutsche Gewerkschaftsbund in weiteren Änderungen der Westbalkanregelung. Eines der wichtigsten Anliegen ist die Möglichkeit, den Arbeitgeber zu wechseln, ohne erneut eine Arbeitserlaubnis beantragen zu müssen - so, wie es bei anderen ausländischen Arbeitnehmern auch der Fall ist.

Nach der aktuellen Regelung muss die Beantragung eines Arbeitsvisums im Herkunftsland des Arbeitnehmers erfolgen, das Visum wird schließlich für eine bestimmte Tätigkeit erteilt. Ein Wechsel ist möglich, muss aber erneut bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden. Für die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer ist das kompliziert, vielen ist diese Möglichkeit ohnehin nicht bekannt.

Zudem fordern die Gewerkschaften, dass eine Beschäftigung auf Basis der Westbalkanregelung nur dort möglich sein soll, wo Tarifverträge bestehen. Damit würden einerseits die Arbeitnehmer selbst geschützt, andererseits würde die Tarifautonomie der Gewerkschaften nicht ausgehebelt.

Evelyn Räder vom DGB hat eine klare Botschaft für Menschen in den Ländern des Westbalkans, die in Deutschland Arbeit suchen: "Informieren Sie sich über Ihre Rechte und bitten Sie gegebenenfalls um Hilfe. Sie müssen nicht alles hinnehmen, was Ihnen angeboten wird. Hier haben Arbeitnehmer auch wirklich Rechte."

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