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Angst vor der Sanktionsspirale

Alois Berger 19. März 2014

Wie wird Russland auf die Sanktionen der Europäischen Union antworten? Deutsche Unternehmen, die in Russland investiert haben, fürchten Enteignungen. Zu Recht?

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VW Reklame im Smoghimmel über Moskau (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Geschichte von Gluhivzi hat die Nervosität noch etwas angeheizt. Vor einigen Tagen tauchten in der dortigen Kaolinfabrik, knapp 200 Kilometer westlich von Kiew, ein paar finstere Männer auf und wollten einen Statthalter in der Geschäftsführung platzieren. Das Unternehmen gehört der deutschen Quarzwerke GmbH in Frechen bei Köln. Der ukrainische Statthalter sollte die Firma kontrollieren und auch Einfluss auf die Gehaltsverteilung nehmen, erzählt Firmenchef Otto Hieber: "Das war eine Organisation, die sich 'völkisches Selbstverteidigungskomitee' nannte."

Die Geschichte ging gut aus. Die ukrainische Belegschaft jagte die Dunkelmänner vom Hof, Otto Hieber hat wieder die Kontrolle über sein ukrainisches Tochterunternehmen. Ein Stück weiter östlich gab es einen ähnlichen Fall. Auch dort versuchten lokale Banden die politschen Wirren zu nutzen, um eine deutsche Firma zu kapern. So etwas spricht sich herum. Gerade unter mittelständischen Unternehmern, die in den letzten Jahren massiv im Osten Europas investiert haben, bekommt das Wort "Risiko" eine unangenehm aktuelle Bedeutung.

Dr. Otto Hieber, Chef der Quarzwerke GmbH auf dem Maidanplatz in Kiew. (Foto: Privat)
Otto Hieber, deutscher Investor in der Ukraine. Lokale Banden gefährden sein UnternehmenBild: privat

Die Bandenkriminalität in der Ukraine sei nur eine der unmittelbaren Folgen der Krise, meint der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) in München, Peter Driessen. Noch mehr Sorge bereiteten ihm die Sanktionen der Europäischen Union: "Als Antwort auf die EU-Beschlüsse könnte auch Russland Konten einfrieren bis hin zur Enteignung von international tätigen Firmen."

Konzerne geben sich gelassen

Rund 6200 deutsche Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren mit Zweigwerken oder Tochterunternehmen in Russland niedergelassen. Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Industrie haben sie mehr als 20 Milliarden Euro dort investiert. Eine Sanktionsspirale zwischen Europa und Russland würde diese Investitionen ins Mark treffen.

Vor einer Woche tauchte im russischen Föderationsrat erstmals das Wort "Enteignung" auf. Ein Mitglied des Rates forderte, europäische Unternehmen notfalls entschädigungslos zu beschlagnahmen. Das war zwar nur eine einsame Idee eines Ratsmitglieds, die keine Resonanz auslöste und keinerlei konkrete Schritte nach sich zog. Doch das Schreckgespenst der Enteignung steht seither im Raum.

Große Konzerne wie Siemens oder Bayer geben sich nach außen demonstrativ gelassen. "Es macht keinen Sinn Schreckensszenarien durchzuspielen", meinte der VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch vor kurzem. Doch am Telefon räumen Manager internationaler Firmen unter dem Siegel der Verschwiegenheit durchaus ein, dass sie genau das machen. "Allein die Tatsache, dass über Enteignungen geredet wird", bestätigt Peter Driessen von der IHK München, "führt dazu, dass man sich darauf vorbereitet: was mache ich, wenn mir bestimmte Zulieferer aus diesem Land ausfallen?"

Siemens-Zug in Sotschi: Planspiele im Hinterzimmer. (Foto: Itar-tass)
Siemens-Zug in Sotschi: Planspiele im HinterzimmerBild: ITAR-TASS/Yuri Belinsky/dpa

Aug um Aug, Zahn um Zahn

Der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer in Moskau, Michael Harms, hält die Angst vor Enteignungen für überzogen. Die russische Regierung habe die letzen 15 Jahre hart dafür gearbeitet, ausländische Investoren ins Land zu holen. Sie habe ein beachtliches Investitionsklima geschaffen mit einer Rechtssicherheit für ausländische Firmen, von der russische Unternehmen nur träumen könnten. Das dadurch gewonnene Vertrauen werde Moskau jetzt nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Doch die Annektierung der Krim hat Harms' Glauben an die Berechenbarkeit der russischen Regierung etwas erschüttert. Zudem ist er überzeugt, dass Russland die Sanktionen des Westens nicht unbeantwortet lassen wird. Moskau werde versuchen, sein Gesicht zu wahren, ohne der eigenen Wirtschaft Schaden zuzufügen: "Russland hat keinerlei Interesse an einer Eskalation", meint der AHK-Vorstandsvorsitzende, "Russland wird maximal ähnlich antworten, aber nicht darüber hinausgehen". Mit anderen Worten: Einreiseverbote gegen Einreiseverbote, Kontensperrungen gegen Kontensperrungen, Handelsbeschränkungen gegen Handelsbeschränkungen.

Hohe Renditen, hohes Risiko

Solange die Europäische Union keine russischen Betriebe enteignet, wird also auch Russland keine europäischen Betriebe enteignen. Doch viele Mittelständler halten bereits die Aussicht auf eine weitere Eskalation für bedrohlich. Antony van der Ley vom nordrhein-westfälischen Landmaschinenhersteller Lemken beklagt, dass die Krise bereits den russischen Rubel zum Absturz gebracht und damit den Handel erheblich erschwert habe: "Das heißt, der russische Bauer muss jetzt 20 Prozent mehr für die gleiche Maschine bezahlen, Aufträge bleiben aus, die russischen Kunden sind sehr zurückhaltend."

Weitere EU-Sanktionen seien in dieser Situation Gift fürs Geschäft, meint van der Ley: "Wenn wir nicht nett zu denen sind, sind die auch nicht nett zu uns." Van der Ley fürchtet vor allem, dass sein russisches Geschäftskonto eingefroren werden könnte: "Dann müssten wir alles vorfinanzieren. Da geht's um sehr viel Geld."

Deutsche Traktoren in Russland (Foto:dpa)
Deutsche Traktoren in Russland: Hoffnung auf größten Agrarmarkt der WeltBild: picture-alliance/dpa

An einen Rückzug vom russischen Markt aber denkt der Lemken-Geschäftsführer auf keinen Fall. Die russische Landwirtschaft sei in einem rasanten Wandel. Russland werde bald die größte Agrarproduktion der Welt haben. Zudem stünden dem hohen Risiko in Russland auch hohe Gewinne gegenüber: "Wir haben hier immer Höhen und Tiefen erlebt", erzählt der Landmaschinenhersteller, "aber wir haben immer einen Weg gefunden, weil die russischen Bauern eben Wert legen auf Geräte aus Deutschland."